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„Wir setzen die Erfolge von acht Jahren aufs Spiel“

■ Ana Guadalupe Martinez, Kommandantin der „Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN), zur Bereitschaft der Guerilla El Salvadors, Wahlen zu akzeptieren, und zu den Folgen einer Wahlniederlage oder eines Wahlsiegs der Linken

Am 24.Januar hatte das FMLN-Oberkommando in einer überraschenden Wende bekanntgegeben, daß die Guerilla das Ergebnis der kommenden Präsidentschaftswahlen respektieren würde, wenn diese vom März auf den September dieses Jahres verschoben würden. Die FMLN will die Kandidatur ihres Bündnispartners Guillermo Ungo (Präsident der FDR und Kandidat der Wahlallianz „Demokratische Konvergenz“) unterstützen und setzt auf deren Sieg an den Urnen.

taz: Das Angebot der FMLN, sich an den Wahlen zu beteiligen, wenn diese sechs Monate verschoben werden, haben die Militärs ausgeschlagen. Gibt es noch Hoffnungen?

Ana Guadelupe Martinez: Uns war von Anfang an klar, daß die Armee und die Rechte unseren politischen Vorschlag in ihrer ersten Reaktion kaum positiv bewerten würden. Die Streitkräfte fürchten, daß in einem Verhandlungsprozeß - und die Aufschiebung der Wahlen bringt einen Verhandlungsprozeß mit sich - ihre repressive Politik und ihre Linie des Antiguerrillakampfes in Frage gestellt würden. Wenn Verteidigungsminister Vides Casanova sagt, unser Vorschlag sei verfassungswidrig und die Wahlverschiebung für die Armee inakzeptabel, dann verwirft er die Möglichkeit eines wirklichen Übereinkommens. Uns würde es nicht überraschen, wenn es bei dieser Haltung bleibt.

Reagans Politik gescheitert

Wie seht ihr die Position der USA?

Die neue Regierung hat keine neue Alternative und setzt daher die Politik fort, die sie von Reagan geerbt hat. Wir wissen, daß es in der neuen Regierung Leute gibt, die die Notwendigkeit einer Wende in der Salvador-Politik sehen, deswegen hat es wohl auch noch keine klare Abfuhr für unseren Vorschlag gegeben.

Solange Washington nicht eindeutig nein sagt, bleibt die Tür offen?

Das glauben wir. Am Ende der Reagan-Ära hätte ein politisches Zentrum - Napoleon Duarte und die Christdemokratie - den geschwächten Extremen gegenüberstehen sollen. Aber die PDC hat sich nicht konsolidiert, während ARENA zur Rechten und die FMLN zur Linken gestärkt sind. Also ist die Politik Reagans gescheitert. Die USA können weder die extreme Rechte noch die Armee vollständig kontrollieren. Deswegen wollen sie das Ergebnis der internen Debatten abwarten und erst anschließend Stellung beziehen.

In welchen der Forderungen aus eurem Vorschlag wollt ihr denn noch flexibel sein?

Wir können fast in allen Punkten flexibel sein. Nur die Terminfrage ist kaum verhandelbar, denn man muß minimale demokratische Bedingungen schaffen. Dieses Land lebt seit acht Jahren im Krieg und ist an der Spitze der Menschenrechtsschänder gestanden.

Ist auch der Rückzug der Armee in die Kasernen am Wahltag verhandelbar?

Es geht um die Schaffung eines Klimas der Freiheit für freie Wahlen. Die bisherigen Wahlprozesse sind von der Armee organisiert worden. Sie hat die Flugzeuge und Hubschrauber gestellt, die Wahlräte in manchen Dörfern, vor allem in den Konfliktzonen, organisiert, die Leute auf Lastwagen verladen und zu den Urnen geschleppt. Es ist Aufgabe der politischen Parteien, die Wahlorganismen zusammenzustellen und die Kampagne zu führen.

Aber sowohl die Soldaten als auch die FMLN-Kämpfer sollen ihre Stimme abgeben dürfen?

Das ist ein staatsbürgerliches Recht.

Glaubt ihr, daß die Convergencia Democratica, der bisher ein ehrenvoller dritter Platz eingeräumt wurde, bis zum vorgeschlagenen Termin Mitte September Chancen auf den Sieg hat?

Wir glauben, daß die salvadorianische Bevölkerung heute zwei sehnliche Wünsche hat: den Wunsch nach Frieden und den Wunsch nach Veränderung. Unser Vorschlag beinhaltet beides: den Frieden, weil das Wahlergebnis nach einem wirklich sauberen Prozeß die Situation im Lande stabilisieren wird. Und die Plattform der Convergencia enthält die wichtigsten Forderungen nach Gerechtigkeit, für die wir und das salvadorianische Volk kämpfen. Wenn die Wahlen wirklich in einem Klima der Demokratie abgewickelt werden, wird das Volk für die Convergencia stimmen.

Guerilla mit politischer Basis

Man sieht die FMLN gerne als Ansammlung von Guerilleros mit Gewehren. Aber dieser Guerillero mit seinem Gewehr hat auf nationalem Niveau eine politische und soziale Basis geschaffen, die sich nicht nur über den bewaffneten Kampf, sondern durch verschiedene Organisationsformen äußert und sich im gegebenen Moment in die politische Basis für eine Wahlplattform der FMLN verwandeln würde. Auf diesen Überlegungen beruht unser Vorschlag.

Am Anfang war die FMLN nicht ganz glücklich darüber, daß der mit ihr verbündete linke Parteienzusammenschluß „Frente Democratico Revolucionario“ (FDR) nicht nur nach El Salvador zurückkehrte, sondern sich auch zur Wahlbeteiligung entschloß. Wäre denn der jetzige Vorschlag ohne diese Entscheidung überhaupt möglich gewesen oder war alles von Anfang an ausgemacht?

So genial sind wir nicht, daß wir das alles von Anfang an geplant hätten. Man paßt seine Linie jeweils den Gegebenheiten an. Die Rückkehr der FDR-Führer war in der Tat Anlaß für interne Debatten. Unsere Vorbehalte bezogen sich vor allem auf Sicherheitsaspekte und auf die Rolle, die die FDR in der Praxis der beschränkten politischen Öffnung spielen könnte. Aber mit der Zeit sahen wir, daß die Entscheidung richtig war, und die Vorbehalte verschwanden. Wenn die FDR nicht am Wahlprozeß beteiligt wäre und unsere Initiative in öffentlichen Diskussionen verbreitet und verteidigt hätte, dann hätte sie wohl kaum diese durchschlagende Wirkung gehabt.

Gibt es Absprachen über eine Beteiligung der FMLN an einer möglichen Linksregierung?

Nein. Als wir den Vorschlag machten, planten wir noch nicht so weit voraus. Zuerst wollten wir eine heftige Diskussion im Inneren entfesseln. Für Überlegungen, wer sich an einer zukünftigen Regierung beteiligen soll, ist die Zeit noch nicht reif. Wir glauben aber, daß sowohl Guillermo Ungo als auch sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Mario Reni Roldan, unsere Allianz und daher die Interessen der FMLN und des salvadorianischen Volkes vertreten. Wenn sie es für notwendig halten, Abkommen nicht nur mit ihrem direkten Verbündeten, also der FMLN, sondern auch mit anderen Parteien und sozialen Gruppen zu suchen, um die Regierung zu konsolidieren, dann verstehen wir das als politische Notwendigkeit.

Regierungsbeteiligung

Eine Beteiligung von einzelnen Persönlichkeiten der FMLN wird aber auch nicht ausgeschlossen?

Es ist schwierig, das zu diskutieren, bevor die konkrete Situation eintritt. Wenn es einen überwältigenden Sieg der Convergencia gibt, dann kann sie sicherlich auch entscheiden, ob die Beteiligung von Persönlichkeiten der FMLN der Sache dient.

Was würde die Niederlage der Convergencia bedeuten?

Als wir unseren Vorschlag machten, setzten wir alles aufs Spiel, was wir in diesen acht Jahren erreicht haben. Deswegen muß auch jeder erkennen, daß der Vorschlag sehr ernst ist. Schließlich versprechen wir darin auch, das Wahlergebnis anzuerkennen. Wenn die Convergencia unter wirklich demokratischen Bedingungen und trotz der Unterstützung der FMLN geschlagen wird, dann bedeutet das eine politische Niederlage. Welche Berechtigung hätte unter diesen Umständen die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes, wenn die soziale Basis, die wir in all diesen Jahren aufgebaut haben, so klein ist. Auch international würde uns eine Niederlage die Glaubwürdigkeit nehmen.

Nehmen wir an, der Rechtsextremist Cristiani oder der Christdemokrat Chavez Mena gewinnt unter akzeptablen Bedingungen.

Dann müßten wir mit dieser Regierung die Bedingungen unserer Waffenniederlegung aushandeln. Gewisse Bedingungen werden wir stellen können.

Wie geht es weiter, wenn der Vorschlag scheitert und die Wahlen, wie geplant, am 19.März durchgezogen werden?

Unsere Absicht war, die soziale Explosion, die sich anbahnt, zu verhindern. Wenn unser Vorschlag auch eine breite Debatte ausgelöst hat, so verringert er nicht die Wirtschaftskrise und die dramatischen Bedingungen, unter denen die Mehrheit des Volkes leben muß. Er ändert auch nichts an der Ablehnung, auf die die Counterinsurgency -Politik der letzten Jahre trifft. Wenn unser Vorschlag nun auf Ablehnung stößt, dann wird die Unzufriedenheit der Bevölkerung weiter zunehmen, und die Bedingungen für eine soziale Explosion wachsen stetig, so daß es früher oder später zu einem Aufstand kommen wird. Wenn wir also von einer letzten Chance sprechen, dann setzen wir kein Ultimatum, sondern stellen nur fest: die Situation ist so aussichtslos, daß nur unser Vorschlag die soziale Explosion verhindern kann. Deswegen muß er ernst genommen werden und darf nicht nur deswegen verworfen werden, weil er von der FMLN kommt. Die salvadorianische Gesellschaft ist eine Bombe, deren Lunte brennt und von Monat zu Monat kürzer wird.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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