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„Ein preußischer Libero“

■ Erich Pommer - Ein Produzent macht Filmgeschichte

Wolfgang Jacobsen

Zur Retrospektive der diesjährigen Berlinale, deren Hauptteil ein umfangreicher Block von Erich Pommer produzierter Filme bildet, und zugleich aus Anlaß des 100. Geburtsjahres dieses bekannten deutschen Filmproduzenten, erscheint die erste deutschsprachige Monographie zu Leben und Werk Pommers. Mit Ausnahme von ein paar amerikanischen Dissertationen, einigen Essays und Lexikonartikeln ist dazu bislang wenig veröffentlicht worden - man kann sich denken, warum: es ist ein schwieriges Unternehmen, über einen Produzenten zu arbeiten, und sei er noch so bedeutsam, denn die „Quellenlage“ (so würden wohl die Historiker sagen) ist problematisch, da man der Produzententätigkeit nur mittelbar auf die Spur kommen kann.

Zwischen den zehner und fünfziger Jahren hatte Pommer maßgeblichen Einfluß auf die Geschichte vor allem des deutschen Films, das belegt Wolfgang Jacobsen mit einer Fülle von Materialien, mit Auszügen aus Filmperiodika, Rezensionen der Tagespresse und längeren Artikeln aus Kulturzeitschriften. Über Pommer zu schreiben, erfordert, einen tiefen Schnitt durch die Filmgeschichte zu machen, vom Vorabend des ersten Weltkriegs über die Filme der Emigration bis hin zum bundesrepublikanischen Nachkriegskino - ein Aufriß, an dem sich vom Metier vieles zeigt. Nicht allein von Stars und Regisseuren mit hinlänglich bekanntem Namen, sondern auch von den verdeckten Akteuren des Gemeinwesens Film, deren Namen nie „zum Begriff“ geworden, Architekten, Kameraleute, Komponisten und Drehbuchautoren, die nie zu literarischen Ehren gekommen sind. Da zeigen sich filmwirtschaftliche und -politische Strategien, etwa im deutsch-amerikanischen Filmwettbewerb Anfang der zwanziger Jahre, undurchsichtige Prozesse, willkürliche Entscheidungen hinsichtlich der Stoffwahl und der Besetzung von Funktionen und Rollen. Was sich letztlich durchsetzte und wovon allein noch ein hergestellter Film, in dem alle notwendigen Teilarbeiten sich aufgelöst haben, Zeugnis ablegen kann, das war einmal in Bewegung gesetzt worden aufgrund finanzieller Erwartungen, mit der Hoffnung auf Weltmarktdurchbruch im Konkurrenzzusammenhang, auf schnelle Rendite und erhöhten Umsatz, auf Markterweiterung und Eroberung neuer Absatzgebiete. Selbstverständlich, wie könnte es anders sein. Und doch ist bei allen ökonomischen Abhängigkeiten im Filmgeschäft ein gewisser Sinn für Talente, Ideen, Stoffe, Neuerungen überhaupt von Bedeutung, eine Fähigkeit, verschiedene Akteure zusammenzubringen (anfangs womöglich zu entdecken) mit der Perspektive auf ein noch fiktives Resultat.

Gerade der deutsche Stummfilm der zwanziger Jahre läßt sich als bloßes Ergebnis von Ufa-Spekulationen nicht erklären, vielmehr geht aus ihm durchaus risikobereites Bestreben nach dem „künstlerischen Film“ hervor, die große Ambition, mit dem deutschen Film Maßstäbe zu setzen, die Erforschung aller filmtechnischen Mittel voranzutreiben und sozusagen ein „Gesamtkunstwerk“ auf Zelluloid zu bannen. Diese Tendenzen, die in den Bildvorstellungen, den Raum- und Architekturvisionen eines Fritz Lang Gestalt annahmen (Man kann sagen, daß Pommer, der den „Nibelungen„-Film und „Metropolis“ produziert hat, Lang 1917/18 entdeckte) - oder die mit der „entfesselten Kamera“ in den Filmen F.W. Murnaus („Der letzte Mann“) zum Ausdruck kamen, diese Tendenzen begründen den Ruhm Erich Pommers.

Zwei Jahre nach Kriegsende war die deutsche Filmindustrie der drittwichtigste Industriezweig in Deutschland, geht man nach Investitionskapital und Beschäftigtenzahlen. - „Kunst gewährleistet Export, und Export bedeutete die Rettung. Pommer war nicht nur ein eifriger Anhänger dieser Doktrin, sondern besaß überdies eine unvergleichliche Witterung für filmische Qualität und Publikumsgeschmack“, bemerkt Siegfried Kracauer über den von ihm so bezeichneten „hochwertigen Unterhaltungsfilm“ Pommers.

Unter dem Titel „Geschäftsfilm und künstlerischer Film“ äußert sich Erich Pommer, dem bereits der Ruf des „künstlerischen Produzenten“ vorausgeht, in einem Artikel vom Dezember 1922 über seine langfristigen Perspektiven: „Der künstlerische Film hat... in seiner geschäftlichen Bewertung im Laufe der Jahre allerlei Transformationen durchgemacht. Zuerst wurde ihm jegliche Existenzmöglichkeit rundweg abgesprochen. Mit der schönen Faulheit, die das Schlagwort gebiert, hieß es: Es gibt keinen künstlerischen Film und kann nie einen geben, denn Kunst und Film sind Gegensätze in sich. Als sich der Film an das Schlagwort nicht kehrte, sondern entschlossen den Weg aus einer Art Schwarz-Weiß-Woche in Vergnügungswarenhäusern zur Kunst suchte und fand, kam das Schlagwort Nummer Zwei und predigte: Der künstlerische Film ist zwar möglich, aber er ist nie und nimmer ein Geschäft! Womit man versuchte, dem kaum geborenen Wesen meuchlings das Genick zu brechen. Aber es ist nicht einzusehen, warum dem Film das unmöglich sein sollte, was z.B. dem Theater in seiner guten Zeit möglich war: mit höchsten künstlerischen Mitteln und Zielen zumindest ebensoviel Geschäfte zu machen, wie mit den plumpen Knalleffekten für die breite Masse. Nicht das Was das Wie ist hier wie überall das Ausschlaggebende (...). Ich bin fest überzeugt, daß sich aus der Filmmasse allmählich eine Garde von Klassikern herausbilden wird, die an später Wirksamkeit hinter den Klassikern der Theater nicht zurückstehen werden. „Caligari“ beispielsweise und „Der müde Tod“ werden zu ihnen gehören...“

Durchweg wird die These belegt, daß der deutsche Film der Weimarer Republik eine „gelungene Verbindung von kaufmännischen und künstlerischen Aspekten“ verkörpere; die Eigenheit des deutschen Films liege in seinen technischen Leistungen, in Handwerk und Industrie, die wiederum einen charakteristischen psychologischen Ausdruck von Geschichten und Personen ermöglichen und verfeinern. Es ist gerade das Artifizielle, das im Vergleich mit den US-Filmen jener Zeit in Deutschland im Vordergrund steht - Kolportage, Melodramen und literarische Adaptionen.

Dies Buch spricht über die Verantwortlichkeiten des Produzenten - der Name des „Produktionsleiters“ taucht erst seit dem jahr 1927 in den Vorspannangaben der Film auf über seine möglichen Einflüsse auf Drehbücher, Dramaturgie, filmische Ausführung. Anhand von Selbstzeugnissen, statements, zeitgenössischen Debatten in der Fachpresse und vor allem einer präzisen Betrachtung bestimmter von Pommer produzierter Filme wird der Versuch unternommen, einen „Produktionsstil“ zu umreißen. Das Zentrum des Buches wird erkennbar als ein Objekt der Umschreibung; ein permanenter wechselseitiger Beschreibungszusammenhang stellt sich her zwischen den Polen der Film- und Kulturgeschichte und Pommers Werkbiographie. „Das Schreiben über Filmgeschichte ist immer auch noch biographische Rekonstruktion. Bei Erich Pommer sind Berührungspunkte zwischen privater Biographie und der Entwicklung des Films in Deutschland wie Knoten an einer Schnur“ (W. Jacobsen im Vorwort).

Pommer hat in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten ingesamt 225 Filme produziert - das weist die komplette Filmographie von Jörg Schöning aus. Der Schwerpunkt liegt in erster Linie beim Stummfilm und frühen Tonfilm, der in Pommer einen weitsichtigen und innovationsbereiten Förderer hatte. Von dem internationalen Erfolg des expressionistischen „Cabinett des Dr. Caligari“ („Mit diesem Film beginnt der Mythos des kreativen Produzenten Pommer“ - so der Autor) bis zum „Blauen Engel“ und dem von der Ufa geförderten Genre der „Tonfilm-Operette“ während der Zeit der großen Arbeitslosigkeit, „Die drei von der Tankstelle“ etwa und „Der Kongress tanzt“, in denen Schauspieler wie Heinz Rühmann und Willy Fritsch erst richtig populär wurden, in dieser Spanne liegt die große Etappe Pommers.

„Mit dem Tonfilm 'Der blaue Engel‘ rückt also die deutsche Produktion, nach den in ihrer Starrheit so filmfremd albernen Liederbildern und nach den soldatischen Tonfilmen aus Ungarn- und anderem Operettenland, in die Weltproduktion ein durch technische wie - oder klingt's noch lächerlich? durch geistige Qualität, nämlich der Motive, Menschenschilderung, Milieuzeichnung.“ Das schreibt Kurt Pinthus in einer zeitgenössischen Besprechung.

Doch steht der Name Pommer auch für den Film des Exils. Der Produzent war 1933 aus Deutschland vertrieben worden, als die Ufa begann, sich von den Verträgen mit ihren jüdischen Mitarbeitern zu 'lösen‘. Ein Arrangement mit der nationalistischen Führung der deutschen Filmwirtschaft lehnte Pommer konsequent ab. „Liliom“ von Fritz Lang und „Jamaica Inn“ unter der Regie von Hitchcock sind aufgrund des Bekanntheitsgrades der Regisseure von Pommers Exilfilmen die geläufigsten.

Kurze Zeit, nachdem Pommer mit seiner Frau im Mai 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, verschärfte sich seine wirtschaftliche Situation: er konnte nicht produzieren, keine Gelder für seine zahlreichen Projekte beschaffen, und aus seinen zahlreichen deutschen Produktionen erhielt er keine Tantiemen. Vorübergehend finden Pommer und seine Frau Beschäftigung in einem Laden, wo handbemaltes Porzellan und Gläser hergestellt werden, die man an Kaufhausketten verkauft. Im selben Jahr noch kehrt Pommer als Filmoffizier unter der amerikanischen Militärregierung nach Deutschland zurück. In der BRD kann er noch vier Spielfilme herstellen, bevor er 1956 endgültig nach Kalifornien zurückkehrt.

Kaum Privates, keine Psychologie - ein Arbeitstemperament wird aus den Dokumenten ersichtlich, das Arbeitsleben eines Mannes, dem die Organisation eines „Filmkollektivs“ zeitlebens das Wichtigste war.

Der Pommer-Band enthält neben kaum bekannten Texten von Autoren wie Ivan Goll, Theodor Heuß, Kurt Pinthus, Stefan Grossmann, Carl Einstein, Kurt Tucholsky, Carl Mayer und Wolfgang Koeppen fast 200 photographische Raritäten, zumeist Szenenphotos aus Filmen, Aufnahmen von den Dreharbeiten, auch Privatphotos.

Jörg Becker

„Erich Pommer. Ein Produzent macht Filmgeschichte“. Argon Verlag, 1989, 204 S., 38,- DM (während der Filmfestspiele in den Kinos 30,-)

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