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CSSR: Aufbruch der Intellektuellen

Slowakischer Journalist greift Konformisten der Breschnew-Ära an / Schriftsteller diskutieren über verfemte Kollegen / Über tausend Künstler unterzeichnen Resolution für Feilassung Havels  ■  Von Klaus Bachmann

Berlin (taz) - Manchem Funktionär der Slowakischen Kommunisten mögen die Ohren geklingelt haben, als er eine der letzten Nummern der Slowakischen Literaturwochenzeitung 'Literarny Tyzdennik‘ aufschlug. „Zur Verteidigung des Konformismus“ rief da Valer Mikula, Mitglied des Slowakischen Schriftstellerverbandes auf, doch war dies überaus ironisch gemeint. Tatsächlich war der Artikel eine harsche Kritik an den „Konformisten der Breschnew-Zeit“, die, so Mikula, „ihren Lebensstandard zum Nachteil fähigerer und qualifizierterer Leute erhöhen, in dem sie sich anpassen.“ Die Folgen des Konformismus für die Kultur seien verheerend: „Man kann Kultur nicht mit kulturlosen Mitteln schaffen wollen. Die slowakische Literatur“, schließt Mikula seine Attacke, „ist eine Gesamtheit, ohne Rücksicht darauf, ob sie in den Ministerien von Bratislava, in der patagonischen Pampa, in einer Berghütte oder in einem New Yorker Wolkenkratzer entsteht.“ Eine eindeutige Anspielung auf die Tatsache, daß seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 zahlreiche emigrierte Autoren oder aus der tschechoslowakischen Opposition im Lande nicht mehr veröffentlichen konnten. Eine Anspielung auch auf die derzeitige Führungsriege, die unter Breschnew an die Macht kam. Mikulas Artikel ist ein Appell für mehr Glasnost in der Kultur und als solcher Teil einer bereits länger dauernden Diskussion unter tschechoslowakischen Schriftstellern, die zeigt, daß sich etwas im Intellektuellenmilieu der CSSR regt. Das war bereits deutlich geworden, als die Sicherheitsbehörden im Januar den Dramatiker und Charta-77 -Gründer Vaclav Havel ins Gefängnis geworfen hatten, weil er sich an den Gedenkveranstaltungen zum 20.Todestag Jan Palachs beteiligt hatte. Eine Protestresolution für die Freilassung Havels wurde bereits von über tausend Kulturschaffenden im ganzen Land unterschrieben. Viele davon galten bisher als angepaßt und regimefreundlich - sie traten im Fernsehen auf und publizierten in staatlichen Verlagen.

Auch unter Etablierten

regt sich Protest

Zu den bekanntesten Personen, die sich der Bewegung angeschlossen haben, gehört auch der Herausgeber der Parteikulturzeitschrift 'Tvorba‘, Jaroslav Cejka. Er hatte die Polizeimethoden gegen Oppositionelle bei einem Treffen mit hohen Parteifunktionären offen kritisiert. Als das Parteiorgan 'Rude Pravo‘ daraufhin eine geschönte Darstellung der Diskussion veröffentlichte, druckte Cejka in 'Tvorba‘ eine Gegendarstellung. Dafür ist er jetzt arbeitslos.

Jan Fojtik, ZK-Sekretär für Propaganda, hat inzwischen bei einem Treffen mit Journalisten klargemacht, wie er sich einen gesellschaftlichen Dialog vorstellt: „Eins will ich klarstellen: Wir sind es, die einen Dialog anbieten, und wir werden dazu nur die einladen, denen daran liegt, die Probleme unseres sozialistischen Staates zu lösen. Wer das sozialistische System zerstören will“, drohte er mit Blick auf die so von der Presse bezeichneten Charta-Aktivisten, „wird zu keinem Dialog eingeladen werden.“ Fojtiks harte Worte spiegeln vor allem die Unsicherheit der Führung wieder, die nicht weiß, wie sie der neuen Entwicklung begegnen soll.

Längst schlägt der Unmut der Intellektuellen nämlich auch auf die Seiten offizieller Blätter durch. Dabei kommt den Aufmüpfigen zugute, daß die Maschen der Zensur nur so eng sind, wie der jeweilige Chefredakteur dies zuläßt.

Mikulas Artikel ist ein Beispiel. Ein anderes ist eine Debatte, die seit Jahresbeginn in 'Kmen‘, der Zeitschrift des tschechischen Schriftstellerverbandes, geführt wird. Dabei geht es um die Frage, wer letztlich die Verantwortung dafür trägt, daß zahlreiche Autoren der 60er und 70er Jahre aus den offiziellen Literaturlexika verbannt wurden. Literaturkritiker Stepan Vlasin: „Wir standen vor der Wahl, ein zensiertes Lexikon oder gar keines zu machen.“ Auf den Vorwurf der Literaturwissenschaftlerin Zdenka Bastlova, solche Lexika seien immer so gut, wie ihre Verfasser mutig, und kein „Unbekannter von ganz oben“ sei für die Streichungen verantwortlich, sondern der Opportunismus der Autoren, antwortete Vlasin: „Die Anweisung kam aus dem Kulturministerium oder sogar von noch weiter oben. Und es ist seltsam, daß der Bann bis heute nicht aufgehoben wurde.“

Entlassener Redakteur

steigt in der Partei auf

Angesichts der Tatsache, daß die Praxis der Verbotslisten nach wie vor praktiziert wird, auch was verbotene Themen in Zeitungen angeht, zeugt diese Diskussion tatsächlich von einem Aufbruch der tschechoslowakischen Intellektuellen.

Die Behörden reagieren auf diese Entwicklung mit Unsicherheit. Die Protestwelle hat offenbar ein Ausmaß erreicht, das es schwer macht, mit Repressionen zu reagieren. Dies um so mehr, als die Kritik nicht mehr nur aus dem Underground kommt, sondern aus der etablierten Literaturszene. Dabei gibt es Hinweise darauf, daß die Führung in sich gespalten ist. Cejka wurde zunächst entlassen; gestern aber meldete 'Rude Pravo‘, daß er zum Abteilungsleiter der Kulturabteilung im ZK ernannt wurde. Maßnahmen gegen Mikula sind dagegen bisher nicht bekannt.

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