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Gericht stoppt Concordia-Ausbau

■ Schallende Ohrfeige für Bausenator Kunick incl. AmtsvorgängerInnen: Tunnel-Ausbau geplant wie „Kraut und Rüben“ Ausweitung werde „objektiv erforderlich“ noch „vernünftigerweise“ geboten / Bundesbahn muß Bauarbeiter zurückpfeifen

Der neue Concordia-Tunnel ist geplant „wie Kraut und Rüben“. Das wissen Bremens Stadtplaner seit gestern aus berufenem Richter-Mund. Vorerst bleibt der Tunnel deshalb, wie er ist. Die Deutsche Bundesbahn darf ihre Gleisbauer und Baggerführer wieder zurückpfeifen. Die Pläne des Amts für Straßen- und Brückenbau für die „Stadtautobahn Schwachhauser Heerstraße“ liegen auf Eis. Gestern entschied das Bremer Verwaltungsgericht: Es wird nicht gebaut. Juristisch ausgedrückt: Das Gericht stellte die aufschiebende Wirkung einer Klage von Anliegern wieder her, die die Behörde durch die „Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit“ der Baumaßnahmen un

terlaufen hatte.

Aber: Das Gericht tat noch weitaus mehr. Es verteilte mit juristischer Maßarbeit derart schallende Ohrfeigen an Bremens Stadt- und Bundesbahn-Gleisplaner, daß deren Rechtsvertreter eigentlich nur mit einer Konsequenz in ihre Behörden zurückkehren können: Entweder das ganze Projekt Concordia-Tunnel abschminken oder noch mal von vorne planen. Richter Kuhlmanns Wertung für die bisherige Behördenarbeit: „Abenteuerlich und gar nicht spaßig“. Kuhlmann wörtlich: „Ich bin richtig betroffen von Ihrem Vorgehen.“

Im einzelnen zu prüfen hatte das Gericht vor allem zwei Aspekte des Planstellungsver fahrens, auf dem die Baupläne der Bundesbahn beruhen. Erstens: Sind im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens alle Teilschritte des Gesamtprojekts von der Lärmbelästigung der Anlieger bis zur nötigen Enteignungen von Grundstücksbesitzern hinreichend berücksichtigt worden. Schon in diesem Punkt hatte das Gericht erhebliche Zweifel an der notwendigen Sorgfalt der Planer. So taucht in deren Planskizzen z.B. das Vorgarten-Grundstück eines Chinesischen Restaurants auf, daß durch die Baumaßnahmen vermutlich betroffen sein wird. Gleichzeitig gab die Bundesbahn der chinesischen Inhaberfamilie schriftlich, sie müsse sich wegen der geplanten Tunne

lerweiterung überhaupt keine Sorgen um ihr Vorgärtchen machen. Richter Kuhlmann zu solchen Ungereimtheiten: „Stellen Sie sich mal einen juristischen Laien vor, der muß doch wissen, woran er ist mit seinem Grundstück.“ Spitzfindiger Konter von Bundesbahn-Vertreter Lohfeld: „Wir wollen heute nur über die Gleisanlagen auf dem neuen Tunnel reden. Nicht über die Konsequenzen eines späteren Straßenbaus unter dem Tunnel.“ Der Restaurant-Vorgarten sei aber nur von künftigen Straßenbauarbeiten betroffen.

Das klang nicht ungeschickt und entsprach exakt der Taktik von Baubehörde und Bundesbahn im bisherigen Verfahren, das Gesamtprojekt Concordia-Tunnel fein säuberlich in unterschiedliche Häppchen „Brücke für die Bundesbahn“ und „Tunnel für Straßenbahn und PKW“ zu unterteilen. Logik der Behörde: Ist die Brücke erst gebaut, nutzen wir sie anschließend in voller Breite für den Straßenverkehr. Mit einem enstprechenden Schreiben von Bausenator Kunick erschien denn gestern auch dessen Haus-Justitiar Harald Bode vor dem Verwaltungsgericht. Darin bescheingt der Bausenator höchstpersönlich, daß er zwar bislang nicht die ge

ringste Ahnung hat, was wofür unter dem Bundesbahn-Tunnel entstehen soll. Gleichzeitig läßt er aber keinen Zweifel, daß ihm irgendwann schon irgendetwas Baubares einfallen wird.

Auch bei dieser Argumentation, sozusagen auf Verdacht mal irgendwo eine neue Brücke möglichst breit zu bauen, meldetet das Gericht einige Zweifel an. Richter Kuhlmann: „Wenn ich ein Planfeststellungsverfahren mache, muß ich wissen, was ich will.“ Und, meldete Kuhlmann unter Bezug auf die gemeinsame Vereinbarung zwischen Stadtgemeinde und DB leise Zweifel an der Aufrichtigkeit der Behörden-Argumente an: „Erst planen Sie, dann einigen Sie sich, dann klären Sie, wer was bezahlt, und dann kommen Sie vor Gericht und sagen uns 'so war das alles nicht gemeint‘.“

Richtig stutzig wurde das Gericht aber erst, als es sich der Überprüfung des zweiten Aspekts des Planfeststellungsverfahrens widmete: der Planrechtfertigung. Mit ihr muß nachgewiesen werden, daß ein geplantes Bauvorhaben auch „objektiv erforderlich“ und „vernünftigerweise geboten“ ist. Wie also rechtfertigt die Deutsche Bundesbahn eine Brücke von 55 Metern

Breite. Ganz einfach, dachte sich gestern offensichtlich Bundesbahnanwalt Lohfeld: Damit, daß die Stadt darunter möglicherweise eine 40 Meter breite Straße bauen will.

Wie bitte? Richter Kuhlmann glaubte offensichtlich, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Zwei Stunden hatten die Prozeßvertreter von DB und Bausenator behauptet, die unter dem Tunnel liegende Straße interessiere überhaupt nicht, und plötzlich muß eine irgendwann irgendwie geplante Straße für die „objektive Erforderlichkeit“ von 55 Metern Bahn -Luftlinie herhalten? Das wollte Alfred Kuhlmann doch etwas genauer erklärt haben. Konnte der Behördenvertreter auch. Mit einem Parallelbeispiel. Die Ochtumbrücke habe man ja vor acht Jahren auch schon vorausschauend bauen lassen. Daß sich inzwischen leider herausgestellt habe, daß sie sechs Meter neben der neuen Ochtum „mitten in der Wüste“ steht, sei eben Pech einer vorsorglichen Stadtplanung. Richter Kuhlmann tat gestern sein möglichstes, daß es dem Concordia-Tunnel nicht genauso ergeht. Die Kosten seiner Bemühungen trägt die Bundesbahn zu zwei, die Stadtgemeinde zu einem Drittel.

K.S.

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