: Am Arbeitsmarkt vorbeiqualifiziert
■ Über 70 Prozent der PsychologiestudentInnen wollen in klinisch-therapeutischem Beruf arbeiten / Therapieausbildung im Lehrplan jedoch nur als Spurenelement vorhanden / Pivate Zusatzausbildung kostet zwischen 14.000 und 80.000 Mark
Wer sich mit einem Diplomzeugnis Psychologie auf die Jobsuche macht, wird in der Regel wenig erfolgreich sein. In den Forderungskatalogen, die an den drei psychologischen Instituten von Freier und Technischer Universität während des Streiks erarbeitet wurden, spielt denn auch die mangelhafte Vorbereitung auf das spätere Berufsleben eine zentrale Rolle.
Über 70 Prozent der etwa 2.700 Berliner PsychologiestudentInnen streben, wie die Wahl des Studienschwerpunktes in den Diplomprüfungen zeigt, in das klinisch-therapeutische Berufsfeld. Anerkannte Therapieausbildungen wie zum Beispiel Gestalt-, Gesprächs oder Verhaltenstherapie findet man auf dem Lehrplan jedoch nur als Spurenelemente. Allenfalls werden, wie beispielsweise am Institut für Psychologie der TU, eine begrenzte Anzahl von Plätzen im sogenannten Kooperationsmodell angeboten. Hier werden in Verbindung von Theorie und mehrmonatigen Pratika in Erziehungsberatungsstellen, Klinika oder Schulen erste Ansätze therapeutischer Kenntnisse vermittelt.
Die mangelhafte therapeutische Ausbildung an der Uni liegt, so der Professor für Klinische Psychologie Schubenz von der FU, vor allem daran, daß die Mehrzahl der HochschullehrerInnen Psychologie als naturwissenschaftlich ausgerichtetes Grundlagenfach betrachten. Für die meisten Studenten dagegen ist Psychologie eine anwendungsorientierte Sozialwissenschaft. Ein Blick in die Stellenanzeigen lehrt, daß neben dem Hochschuldiplom zumeist eine Ausbildung in einer einschlägigen psychotherapeutischen Schule gefordert wird.
Angesichts der eher mangelhaften Berufsqualifikation und einem zunehmend enger werdenden Arbeitsmarkt für Psychologen hat sich in den letzten Jahren eine neue, meist privatwirtschaftlich orientierte Dienstleistungsbranche etabliert, die ein buntes Sammelsurium an Therapieausbildungen anbietet. Natürlich ist das nirgends umsonst zu haben. Noch vergleichsweise preisgünstig ist die Zusatzqualifikation zur pädagogisch-psychologischen Therapeutin, die während der Abendstunden und in Wochenendkursen vermittel wird. Kostenpunkt: etwa 14.000 Mark. Weitaus tiefer in die Tasche greifen müssen dagegen Interessenten einer gestaltpsychologischen Ausbildung, die sechs bis sieben Jahre dauert, und etwa 55.000 Mark verschlingt. Wer für die klassisch psychoanalytische Zusatzausbildung auf die Couch gelassen wird, muß nach Auskunft des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, Jakov Katwan, zwischen 40.000 bis über 80.000 Mark für Seminare und die eigene Lehranalyse auf den Tisch blättern.
Auch wer Arbeits- und Organisationspsychologie (A&O -Psychologie) als Schwerpunkt wählt, erhält an der Uni keine ausreichende Berufsqualifikation. Benötigte Kenntnisse z.B. in Diagnostik - können für einige hundert Mark in Kursen des Berufsverbandes deutscher Psychologen erworben werden. Für einen erfolgreichen Berufseinstieg, so Bernhard Wilpert, Professor für A&O-Psychologie an der TU, fehlt die Praxisphase während des Studiums. Er hofft, daß durch die Reform des Psychologiestudiums (statt bisher zwei sind drei Schwerpunkte - Pädagogische, Klinische und A&O-Psychologie im Hauptstudium vorgesehen) sich für sein Gebiet die Möglichkeit ergibt, wie im klinischen Bereich ein Kooperationsmodell zu installieren.
Wer sich eher zum Wirtschaftspsychologen weiterqualifizieren möchte - bei entsprechender Kassenlage kein Problem. Er kann dies an einem der wie Pilze aus dem Boden sprießenden privaten Institute tun. Für einen 14monatigen Kurs, beispielsweise am „Norddeutschen Institut für Sozialforschung, Organisationsentwicklung und Bildung“, sind über 15.000 Mark auf den Tisch zu blättern. Ob diese Kurse auch halten, was sie in ihrem aufwendigen Werbematerial versprechen, ist nicht erwiesen. Einen Job garantieren sie jedenfalls nicht.
Allein an den falschen und fehlenden Inhalten liegt die ganze Misere ihres Studiums nach Meinung der PsychologiestudentInnen der TU nicht. Vor allem das Vertrauen in die Lehrfähigkeit ihrer ProfessorInnen scheint ihnen abhanden gekommen zu sein. Wichtiger Punkt ist die Forderung nach einem ProfessorInnen-TÜV: alle ProfessorInnen sollen in regelmäßigen Abständen didaktisch überprüft und geschult werden.
thol
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen