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Mord am Publikum

■ Marcia Pally über deutsche Eier, die transsibirische Eisenbahn und ihren Lieblingsfilm

Marcia Pally ist Filmkritikerin beim New Yorker 'Penthouse‘, sie schreibt u.a. auch für 'Seven Days‘ und 'The Boston Herald‘. Ihre bitterböse Kolumne „Short Stories from America“ erscheint monatlich in der taz, ihren Scotch mag sie pur.

Es ist zwar nur eine Kleinigkeit am Rande, aber ich habe mich gefragt, warum die Deutschen Eier nicht im Kühlschrank aufbewahren. Bei uns würde niemand auf die Idee kommen, auf diese Weise kostbaren Platz in der Küche zu verschwenden, und obwohl ich weiß, daß die deutschen Küchen sehr viel größer sind als die engen Verschläge, in denen wir in New York unsere Mahlzeiten zubereiten müssen, bringt diese Art, Eier aufzubewahren, immerhin noch den weiteren Nachteil mit sich, daß man Gefahr läuft, sie unabsichtlich zu zerdeppern und alles mit klebrigem Eiweiß zu verkleistern. Ich habe auch hier schon Eier probiert und muß sagen, daß sie auch nicht anders schmecken als bei uns, aber ich gehe davon aus, daß es schließlich einen Grund geben muß, sie nicht in den Kühlschrank zu tun, und das irritiert mich einfach. Aber wie gesagt, das ist nur eine Kleinigkeit am Rande und weit weniger beunruhigend als beispielsweise Ulrike Ottingers Film „Johanna d'Arc of Mongolia“.

Nur solchen handgestrickten Kunstwerken wie „Ishtar“ und „Heaven's Gate“ ist es gelungen, ein so faszinierendes Thema so banal zu zerreden. Man denke nur, was aus dem Film hätte werden können: Eine Reise auf der Transsibirischen und Transmongolischen Eisenbahn mit ihrer Jugendstileinrichtung und ihren bittersüßen Resten des einstigen zaristischen Luxus; eine unbekannte und endlose Berglandschaft, eine erstaunlich komplexe fremde Kultur und - ein nicht zu unterschätzender Vorzug - eine Gelegenheit, mit Delphine Seyrig zusammenzuarbeiten. Und was hat Frau Ottingen daraus gemacht? Sie erschlägt uns mit einer Ansammlung von Absurditäten des Westens und Postkartenansichten des Ostens. Am Ende dieser 165 Minaten langen Tortur fand ich, daß es viel passender gewesen wäre, dem Film einen anderen Titel zu geben: „Mord am Publikum im Orient-Express“.

Der Film beginnt damit, daß eine Gruppe von Künstlern aus dem Westen - einige Europäerinnen und ein Amerikaner - durch die Mongolei fahren und sich die Zeit mit künstlerischen Darbietungen vertreiben - ein Song aus einem Broadway -Musical, ein Sketch aus dem jiddischen Theater, ein paar russische Volkslieder, - man glaubt, der Film behandle das Thema, wie die verschiedenen Kulturen einzelne Elemente aus anderen Kulturen aufnehmen und dabei zwangsläufig verändern, so daß schließlich eine neue Mischung entsteht. Gegen Schluß des Films gibt es eine Szene, in der Delphine Seyrig sich mit einer mongolischen Prinzessin über den Stellenwert der Chinoiserie im Rokoko, was für meine These spricht, das sei das eigentliche Thema des Films, das Frau Ottinger allerdings verfehlt, weil sie viel zu unreflektiert und manchmal sogar respektlos mit ihrem Material umgeht.

Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, wie sie ihre westlichen Hauptpersonen präsentiert: Sie macht sie zu solchen Hanswursten, besonders den dicken Juden aus dem jiddischen Theater, daß man sich im Laufe des Films zu fragen beginnt, ob sie ihre mongolischen Freunde auch so gemein behandelt. Darüber hinaus sind die Bilder, die sie uns zeigt, genauso voyeuristisch und lüstern wie in einem Touristenprospekt: Haufenweise exotische Rituale ohne jeden Sinnzusammenhang, aber keinerlei Interesse für die Art und Weise, wie die Menschen in dieser hochentwickelten Nomadenkultur wirklich leben, lieben und kämpfen, wie ihr Alltag aussieht, wie sie ihre Kinder aufziehen oder wie sie all die reichgeschmückten Kostüme herstellen, die sie bei Frau Ottinger tragen müssen. Der Film enthält wirklich phantastisches Material, aber ich wurde es einfach müde, darauf zu warten, daß sie den Film auf die Reihe kriegt, und so lenkte ich mich dadurch ab, daß ich versuchte herauszufinden, ob die mongolische Prinzessin und eine der jungen Europäerinnen ein Verhältnis miteinander haben. Für mich sah es jedenfalls so aus, und da Delphine Seyrig ausdrücklich erwähnt, daß sie gemeinsam in einem Zelt wohnen, nehme ich an, daß niemand etwas dagegen hatte, nicht einmal der Hofstaat der Prinzessin und ihrer Familie, die sich damit als überraschend liberal erweisen. Wie auch immer - wenn ich das nächste Mal etwas von der Mongolei sehen will, werde ich selbst hinfahren.

Eine Bemerkung zum Schluß: Die Redaktion hat es in ihrer unergründlichen Weisheit für richtig gehalten, aus einer meiner vorangegangenen Kolumnen ausgerechnet die Passage über den einen Film zu streichen, den ich für den bisher besten Beitrag des gesamten Festivals halte, deswegen versuche ich es hiermit noch einmal:

Die Erfahrung der Machtlosigkeit hat immer etwas spezifisch Weibliches, gleich welchem Geschlecht man tatsächlich angehört. Bryan Gordon macht das sehr schön deutlich in seinem wunderbar ketzerischen Beitrag „Ray's Male Heterosexual Dance Hall“ - gleichzeitig der eindeutig beste Filmtitel von allen. „Heavy Petting“ von Obie Benz steht dem nicht viel nach, aber letzten Endes verletzt Gordons nur rund zwanzig Minuten langer Kurzfilm mehr Tabus. Er zeigt, wie ein Haufen Manager ihre Mittagspause in einem der schicksten „In„-Restaurants in der Wall Street verbringen. Hier tanzen die Aufsichtsratsvorsitzenden zu den Klängen der Bigbands, während sie gleichzeitig ihre ehrgeizigen Deals abschließen, und jeder, der in ein größeres Büro mit besserer Aussicht aufsteigen möchte, wartet sehnsüchtig darauf, von den entsprechenden Chefs zum Tanzen aufgefordert zu werden. Wer nicht frech genug auftritt, der fühlt sich bald wie die Mauerblümchen aus der siebten Klasse beim Tanz in der Turnhalle, steht verlassen daneben und beißt sich die Lippen wund, und obwohl Gordon durchaus recht haben mag, wenn er meint, daß sich ein erfolgloser Manager irgendwie kastriert und entmannt vorkommt, verheißt dieses Bild nicht gerade viel Gutes für Frauen - und das nach all diesen Jahren. Am stärksten provozierend wirkt die Gleichsetzung der harten Männlichkeit dieser Managertypen mit dem klassischen BIld der Verweichlichung: Männer, die mit Männern tanzen.

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