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„Ich muß zunächst mit Mißtrauen leben“

■ Bausenator Konrad Kunick prophezeit Verkehrsinfarkt, „wenn das Auto das geliebte Hauptverkehrsmittel bleibt“ / Dennoch: Umstrittene Straßenprojekte werden gebraucht, um Produktion zu entsorgen / Vorrang für den ÖPNV erstmal ohne viel Geld

Als klar wurde, daß schon nach einem Jahr und gegen das Parteiprogramm wieder ein Bausenator installiert wird, haben auch viele ihrer Genossen kritisiert, daß damit der Anspruch der Ökologie bei der Stadtentwicklung Priorität einzuräumen, wieder aufgegeben worden ist.

Das ist völliger Unfug. Wenn man mir angeboten hätte, neben dem Häfen-den Umweltsenator zu machen, hätte ich das mit der -selben Begeisterung gemacht. Ich mache das jetzt mit meiner Kollegin Evi Lemke-Schulte ausgesprochen gern und habe bei der Übernahme dieses Amtes gesagt, daß sich hier eine Personalverstärkung an der Spitze vollzieht und kein Gegeneinander.

Trotzdem: Ein neuer Senator wird in der strittigen Frage der Straßenneubauten auch neue Ziele formulieren müssen.

Ich habe eine ganz einfache Zielvorstellung. Das ist die Priorität für den Personennahverkehr unter demokratischen Bedingungen. Man kann Leute nicht administrativ kujonieren, sondern muß Vorteile bieten, damit es freiwillig angenommen wird. Dann ist es natürlich meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Stadt sich so entwickelt, daß die Verkehre zwischen Produktion und Abnehmern, die Bedürfnisse erfüllen können. Davon ausgehend sind hier Definitionen zu treffen. Meine Definition ist zum Beispiel: Die Schwachhauser Heerstraße gehört, da sie durch Wohngebiete führt, in erster Linie dem Öffentlichen Personennahverkehr. Zweitens kann man sie aber nicht für Autos zumachen. Davon ausgehend ist zu definieren, was wir unter jener Brücke als Sammlung von Verkehren durchkriegen müssen. Und daraus ergibt sich die Breite des Straßenraumes. Auf keinen Fall soll dieses nun ein Manöver werden, um eine Stadtautobahn zu errichten. Autos haben da Tempo 50 zu fahren.Ich möchte auch das die Bäume geschont werden.

Die Stadt läßt die Bundesbahn einen breiten Tunnel planen und definiert nicht, was da hingebaut werden soll. Verstehen Sie nicht das Mißtrauen der Bürger?

Ich wüßte auch nicht, wie in einem seriösen politischen Prozeß von einer Sekunde auf die andere Mißtrauen abgebaut werden könnte. Ich habe auch nicht vor, nur ein paar Sekunden Bausenator zu sein. Ich denke, daß in der Art, wie wir planen, dieses Mißtrauen sich im Vollzuge abbauen wird. Ich bin zur Zeit dank dieser Funktion gehalten, zunächst mal mit Mißtrauen zu leben, was nicht heißt, daß ich nicht die Diskussion suche.

Sie meinen also auch, daß der Planungsprozeß im Fall Concordia nicht glücklich gelaufen ist?

Fast alle Planungsprozeße verlaufen, wenn sie so lange Zeit brauchen, nicht ganz glücklich. Zum Beispiel ist die von mir hart

in die Debatte gebrachte Priorität des ÖPNV eine Sache, die sicherlich so nicht gesehen worden ist. Sonst hätte die vorige Generation beim Bau der Kurfürstenallee in die Mitte auch eine Straßenbahn gelegt. Oder hätte die Linie vier nach Horn nicht stillgelegt. Also den Tunnel möchte ich gegenwärtig in dieser Breite nur deshalb haben, damit die Bundesbahn, wenn sie baut, nicht auch noch den dort fließenden Verkehr einengt. Das kann ich nun wirklich nicht gebrauchen.

1980 hat die SPD einen Verkehrsplan verabschiedet. Da stand auch schon etwas vom Vorrang des ÖPNV. Die Straßenbahn sagt: Wir würden gerne was machen, aber wir wissen genau, wir kriegen kein Geld. Da ist doch Stagnation und Vollzugsdefizit.

Ich denke, das ist keine Stagnation, wenn ich anschaue, wie die Umweltkarte die Straßenbahn doch gestärkt hat. Aber Sie haben recht. Wir brauchen eine neue praktische Prioritätensetzung. Aber das ist nicht immer verbunden mit riesigen Geldsummen.

Eine Verlängerung nach Osterholz-Tenever, nach Horn oder über die Erdbeerbrücke nach Arsten, das kostet doch mehrere zehn Millionen.

Ja, das ist richtig. Und ich will nicht sagen, daß sowas nicht kommen muß, aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, daß es Bereiche gibt, in denen mit weitaus geringeren Mitteln der Vorrang für den straßenbahnfahrenden Bremer zu schaffen ist. Es sind ja zum Teil nicht gefällte Entscheidungen, nun der Straßenbahn mal ihre Gleise zu schraffieren und den PKW auf das, was dann bleibt, zu verweisen. Wir sollten uns nicht aus der Diskussion herausmogeln, indem wir nur verweisen auf Neubaustrecken, erforderliches Geld und bremische Finanzsituation.

Aber es drängt sich doch der Eindruck auf, daß sie für neue Straßen 300 Millionen haben, für die Straßenbahn aber nichts.

Immerhin bezuschußen wir die Straßenbahn mit 60 Millionen Mark im Jahr. Und die Straßenbaumittel der Stadtgemeinde Bremen werden im wesentlichen für die Reperatur von Straßen ausgegeben und nicht für Straßenneubau.

Nun ist das nicht der umstrittene Straßenbau. Umstritten sind ja vor allem Projekte im Bremer Osten und zunehmend Planungen im Bereich des Flughafens.

Ich denke, daß jeder der Mitmenschen aus den Initiativen seine Rente kriegen will oder einen Arbeitsplatz finden oder seine Arbeit machen will. Und daß er weiß, daß Produktion auch abgeliefert werden muß. Die von ihnen genannten Projekte sind Projekte, die ich als Entsorgung von Produktion nach außen betrachte. Es gibt zweitens Wegebeziehungen mit dem Umland. Und man wird ja auch nicht sagen können, wir haben hier 'ne Innenstadt,

aber rein kommt uns niemand.

Aber: Wir kriegen den Verkehrsinfarkt in den 90ger Jahren, wenn das Auto, das auch von den Bremern geliebte Hauptverkehrsmittel bleibt, und das ist es überall, in Schwachhausen, wie auch dort, wo sich weniger Initiativen bilden. Es ist überall das geliebte Hauptverkehrsmittel. Man fährt auf seine grünen, roten oder schwarzen Parteitage, diskutiert für die Straßenbahn, steigt dann still in sein Auto und fährt nach Hause. Die Initiative, das behaupte ich jetzt mal, fährt auch mehr Auto als Straßenbahn. Zurück zum Grundgedanken: Wir erleiden den Verkehrsinfarkt, wenn Zusatzverkehre und heutiger Zustand sich addieren. Ich glaube nicht, daß die Zahl der Verkehrsbeziehungen abnimmt. Die wird weiter zunehmen, und deswegen sage ich: Die Bremer müssen in einem größeren Prozentsatz in der Zukunft Straßenbahn fahren.

Zweitens die Umlandbesucher: Da ist die Straßenbahn aufgefordert, etwas zu tun. Die müssen auf ein park&ride Systen treffen, das auch praktischen Schwierigkeiten berücksichtigt. Wenn ich aus der Lüneburger Heide komme, um hier einzukaufen, will ich ja nicht mit 28 Tüten durch die Obernstraße schreiten. Die Frage, wie kommen die Einkäufe zu meinem park&ride-Platz, das ist eine entscheidende

Frage der Akzeptanz. Wir werden, denke ich, längerfristig, auch die Frage stellen und lösen müssen, wie im park&ride von der Stadtgrenze her die Straßenbahn den Leuten attraktiver erscheint, als bei Wärme in ihrem im Auto installierten Sofa zu sitzen, Musik zu hören und lieber im Stau stehen zu bleiben. Wir haben keine Verhältnisse, in denen man sagen kann: Diese verdammten Autofahrer. Das Entscheidende

ist, die Straßenbahn besser zu machen und nicht alles für jedes Auto zuzumachen. Dies ist eben das Problem, dessen Detaillösungen einem neuen Bausenator auch noch Rätsel aufgeben.

Der Bürgermeister hat eine Denkpause verordnet in Sachen Straßenneubau. Ist es denn überhaupt wahrscheinlich, daß am Ende der Denkpause Projekte aufgegeben werden. Hintergrund: Es gibt ein Gutachten, ei

nes Verkehrsexperten aus Aachen. Der frühere Senatsdirektor Schulte hat ein Papier aus diesem Gutachten gemacht, in dem er einige Projekte zur Disposition stellt. Herr Schulte ist nicht mehr Senatsdirektor und das Gutachen wird nicht veröffentlicht. Ist der Schluß falsch, daß der Senat an ein Umdenken gar nicht denkt?

Wir denken heftig und versuchen die alten Problemlösungen neu zu analysieren und sie, soweit sie unabwendbar für notwendig gehalten werden, natürlich nicht einfach ein Jahr lang liegenzulassen. Soweit die immer wieder geforderte Verbesserung des ÖPNV drinsteckt, nicht ein Jahr lang zu sagen, wir liefern die Politik an die ab, die sich keine Denkpausen verordnet haben, die heftig handeln, koalieren, während wir dasitzen und sagen im nächsten Jahr passiert gar nichts. Nein. Sondern ich interpretiere das Ganze so: Daß wir die praktische Priorität für den ÖPNV setzen, die zwingend notwendigen Dinge angehen, aber das ganze Verkehrssystem kritisch reflektieren, ob es unter der Prioriät des ÖPNV so richtig geordnet ist. Zweite Frage ist die nach jenem Gutachten: Ich behalte mir vor jenes Gutachten erst zu lesen, bevor ich es veröffentliche. Das darf ja wohl sein. Drittens habe ich allerdings gehört, daß der Gutachter sich beim Concordia-Tunnel dafür ausgesprochen hat, daß der breiter wird. Er soll sich auch für die Beneckendorffallee ausgesprochen haben und für den Daimler -Benz-Tunnel. Das Papier von Herrn Schulte habe ich mit großem Interesse gelesen und kann bei der Gelegenheit auch nur dementieren, was da jemand behauptet hat, warum Herr Schulte nicht mehr Senatsdirektor ist. Das ist dummes Zeug, unautorisierter Quatsch. (Anm. d. Red: Am letzten Dienstag hatte Horst Bullermann, Leiter des Amtes für Straßen- und Brückenbau gegenüber der taz einen Zusammenhang zwischen dem Schulte-Papier und dessen Entlassung hergstellt.)

Nein. Das Schultesche Papier ist hochinteressant. Und Elemente daraus werden sich in Zukunft in unserer Planung wiederfinden. Und damit auch Elemente des Aachener Gutachtens. Aber zum Insgesamt, kann ich im Augenblick nichts sagen.

Fragen: Holger Bruns-Kösters

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