: „Mutter von sieben Hundebabys erschossen“
Braunschweiger Jugendliche protestieren gegen einen Polizeieinsatz gegen eine Wohngemeinschaft / Polizei wurde wegen vermuteten Einbruchs gerufen / Hündin bellte Beamten an und der schoß / Leidtragende waren die Partygäste der WG ■ Aus Hannover Jürgen Voges
„Bilanz eines Polizeieinsatzes - Mutter von sieben Hundebabys erschossen...“ steht über einem Flugblatt, von dem in den letzten zehn Tagen in Braunschweig 15.000 Exemplare verteilt wurden. Das Flugblatt und ein 50 Seiten starkes Protokoll über den Polizeieinsatz hat eine Gruppe von 27 Braunschweiger Azubis, Schülern, Zivildienstleistenden und Studenten verfaßt. Allesamt Besucher einer Party im Braunschweiger Altstadtring 23, und die Jugendlichen im Alter von 18 bis 25 Jahren bezeugen: Die Braunschweiger Polizei hat am 4. Februar im Altstadtring 23 ohne Grund den Wohngemeinschaftshund erschossen, dann eine Party gestürmt, die knapp 30 Besucher übel mißhandelt und alle über Nacht in den Knast gesperrt.
Begonnen hatte jedoch alles mit einer richtig guten Tat der Wohngemeinschaft im Alstadtring. „Wir haben vor einiger Zeit“, erzählt der 22jährige Martin, „die Gerümpelhaufen aus dem Innenhof geräumt, ein Stück des Hofes umgegraben und eingezäunt.“ Dort, wo später Grünes sprießen sollte, wurde dann eine Hütte für die WG-Hündin „Sloopy“ und die sieben Welpen aufgestellt, die der Schäferhundmischling gerade zur Welt gebracht hatte. Was aber bald, wie es der Leiter des Ordnungsamtes Braunschweig sagt, „zu Unzuträglichkeiten mit den Nachbarn“ führte. Vom Vermieter angerufen, erschien ein Beamter des 5. Polizeireviers auf dem Hof des Altbaus. In seinem Bericht an das Ordnungsamt vom 3. Februar war vor allem vermerkt, daß der Hund am 27. Januar einer Frau mit Kind in die Einkaufstasche gebissen hatte.
Kurz vor ein Uhr in der Nacht zum 4. Februar wurden dann andere Beamte des 5. Braunschweiger Polizeireviers zum Altstadtring 23 gerufen. Ein Bewohner hatte angeblich verdächtige Geräusche auf dem Dachboden gehört, die nach Polizeiangaben „auf einen Einbruchdiebstahl schließen ließen“. Zur selben Zeit waren Susanne und Robert, zwei der 30 Besucher der Party, gerade mit „Sloopy“ in den Innenhof gegangen, um die sieben Hundewelpen zu besichtigen. Als die vier Polizeibeamten eintrafen, lief Sloopy „in die Einfahrt und gibt Laut“, so heißt es in den Protokollen der Jugendlichen. „Den aus dem Fahrzeug aussteigenden Beamten lief laut bellend und mit gefletschten Zähnen ein Schäferhund entgegen“, so die Polizei. Wie auch immer: Der Beamte schoß sofort auf die Hündin, die dann stark blutend in das Haus zurücklief. Kurz darauf standen vier Polizisten einem knappen Dutzend Partybesucher gegenüber, die lautstark Namen und Dienstnummer des Schützen verlangten. Laut Polizeibericht „konnten die Beamten nun ihren Auftrag“, die Einbrechersuche, „nicht mehr erfüllen“, riefen wohl auch deswegen dringend nach Verstärkung und verloren den Protokollen der Jugendlichen zufolge schnell die Nerven. „Die Polizisten wirkten sehr aufgeregt und schossen wahllos mit Gas auf die entsetzten Leute“, schreibt etwa Katrin in ihrem auf Schulheftseiten gefertigten Protokoll. „Anstatt die Sachlage zu klären, begannen die Beamten Reizgas einzusetzen, diese Maßnahme erscheint mir bis heute absolut unverständlich“, schreibt Gerd. „Wir rannten in die Wohnung zurück, rissen die Fenster auf und wuschen uns zur Linderung die Gesichter.“
„Die dann als Verstärkung zusammengezogenen 40 Polizisten bauten sich sofort im Treppenhaus auf, als wollten sie eine Terroristen-Wohnung stürmen“, sagt heute der 22jährige Olaf, der vor kurzem seinen Zivildienst beendet hat. Ohne Vorwarnung sei die Scheibe der Eingangstür eingeschlagen, durch das Loch Tränengas gesprüht worden. Die in die Wohnung stürmenden Beamten sprühten weiter mit der chemischen Keule und schlugen auf die Partygäste ein. Die Räumung dauerte nur wenige Minuten.
Schläge ins Gesicht, Schleifen an den Haaren, Tritte, die Kehle zudrücken, vor allem gegen die jungen Frauen Sprüche, die Polizei ließ den Protokollen zufolge ihren Aggressionen freien Lauf: Christian, der schon blutend „We shall overcome“ sang, wurde unten mit dem Kopf mehrmals gegen ein Garagentor geschlagen. „Als ich über Schmerzen klage“, so hat er protokolliert, „tritt mir von hinten der schnauzbärtige Beamte mehrmals in die Hoden.“ „Das tut erst weh, ist das klar“, kommentierte der Polizist. „Die Gewalt klang erst ab, als wir für Schaulustige auf der anderen Straßenseite sichtbar wurden“, schreibt Martin. Nach und nach wurden die 30 mit Handschellen gefesselten Partygäste nun ins Polizeipräsidium verfrachtet und dort für zwei bis sechs Stunden in Zellen gesperrt. Kontakt zu Rechtsanwälten wurde ihnen verweigert.
„Das Treppenhaus voller Blut, in der Wohnung alles umgeschmissen und durchwühlt, Steckdosen herausgerissen, die Tür, ein Spiegel und die Glasplatte eines Nachttisches zerschlagen, viele Teile der Stereoanlage kaputt“, so sah die Wohnung im Alstadtring 23 nach dem Einsatz aus. Doch am nächsten Tag kam die Polizei noch einmal. Der Vermieter rief sie, nachdem er von den WG-Bewohnern im Hausflur wegen des Hundes angebrüllt worden war. Die Polizei trat die mit Preßpappe notdürftig reparierte Tür noch einmal ein. Diesmal führten die wiederum prügelnden Beamten allerdings nur die Besucher der WG ab, die Bewohner durften bleiben.
Die Sprecherin der Braunschweiger Polizei bezeichnet den Einsatz am 4. Februar noch heute als „ordnungsgemäß und gesetzestreu“. Er sei durch „Handgreiflichkeiten“ der Jugendlichen gegen die vier zuerst angekommenen Beamten ausgelöst worden. Konkret kann sie allerdings nur einen Schlag in das Gesicht eines Polizisten und einen Tritt gegen die Tür eines Polizeiwagens nennen.
„Die Betroffenen der Polizeieinsätze vom 4. Februar“, wie die Jugendlichen sich nun selbst nennen, haben inzwischen Strafanzeige wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Hausfriedensbruchs erstattet und wollen demnächst für „Aggressionsabbau und bessere Arbeitsbedingungen bei der Polizei“ demonstrieren. „Man kann Feuer auch mit Pudding bekämpfen“, sagt Martin. Niedersachsens Innenminister Josef Stock hat demnächst eine umfangreiche Anfrage der Grünen zu den Polizeieinsätzen am 4. Februar zu beantworten und muß nun entscheiden, ob er wie sein Amtsvorgänger Hasselmann jeden rechtswidrigen Polizeieinsatz verteidigen will.
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