: UNiMUT: Die Rückkehr des Akteurs oder das Ende der Wende
■ Claus Leggewie, Professor für Politikwissenschaft in Göttingen, über die Konsequenzen des StudentInnen-Protests: Das Abenteuer beginnt erst
Wer bisher immer behautet hatte, „Streiks“ seien doch kein Mittel der Hochschulpolitik, ist eines besseren belehrt worden. Ein kurzes „Streiksemester“, in dem sich eine von der „Informations-“ oder „Kulturgesellschaft“ schon aufgegebene und fast vergessene Institution (auf)geregt hat
-und siehe da: die Resonanz war überwältigend. Alle wollen nun helfen, jede Menge (hochschul)politische Trittbrettfahrer inbegriffen. Was jahrelang verrammelt und verriegelt schien, die Bildungspolitik allgemein, ist wieder in Bewegung geraten. Aus Unmut wurde UNiMut, eine beinahe geniale Wortinszenierung - sage noch einer, die graffiti - und comicgeschulte, im übrigen PC-geübte Generation habe keine Ideen! Die Universitäten, die an Routine und Ideenlosigkeit einzugehen drohten, entwickeln wieder Ansprüche, und allen voran die Studierenden selbst. Sie verlangen, man verzeihe mir den Ausdruck: als demokratische Elite, daß die Hochschulen wieder zu einem zentralen Ort werden, an dem die „Kulturgesellschaft“ über sich selbst nachdenkt. Wenn nicht hier, wo dann?
Natürlich geht es dabei auch (und zuerst) ums Geld. Eilfertig haben sich angesichts verdächtig rasch bewilligter Notprogramme die Streik-Akteure und ihr sympathisierendes Umfeld gegen den Verdacht gewehrt, es ginge einzig um den schnöden Mammon. Akademiker sind sich zu fein, dem Staat gegenüber ein zweites „Rheinhausen“ zu proklamieren und entschieden Subventionen für eine Branche zu fordern, die von den Investoren auf dem Stand der 60er Jahre zurückgelassen und abgeschrieben wurde. Aber natürlich brauchen die Hochschulen neue LehrerInnen, Räume, Bücher, Laboratorien, Foren. Stahl kann man im 21.Jahrhundert vielleicht vergessen. Zukunftsfabriken nicht. Nur so wird auch wieder „Geist“ in die Universitäten einziehen.
„Wir alle wollen wissen: warum streiken wir denn?“ werden Münchener Kommilitonen zitiert. Drei alt-neue Ziele haben sich herauskristallisiert: Interdisziplinarität, Quotierung, Mitbestimmung. „Interdisziplinarität“ ist im hocharbeitsteiligen Wissenschaftsbetrieb die klassische Verlegenheitsformel. Tagsüber arbeitet der Genetiker an einem unübersichtlichen Puzzle von Spezialfragen, abends liest er ein paar Zeilen Chargaff; im Semester büffeln die Studis „Stoff“, nach der Prüfung schauen sie im „Studium generale“ vorbei und bekommen auch Feierabendbedenken. Die „autonomen Seminare“ haben das Unbehagen an diesem Zustand wieder einmal thematisiert, als „Sinnfrage“. Nun gilt es, die Studienordnungen zu entrümpeln und zu vernetzen. Regelstudium und Beschleunigung der Durchlaufgeschwindigkeit durch die Lernfabriken müßten sich so eigentlich von selbst erledigen.
„Quotierung“ wird mit der Suche nach neuen und „anderen“ Inhalten eng verknüpft - zu eng finde ich. Die Männerdomäne Hochschule aufzumischen ist eine Sache, aber den Studentinnen nun die ganze Last der „alternativen Wissenschaft“ allein aufzubürden, macht es den Männern leicht. Altmodischerweise glaube ich auch, daß es beispielsweise Architektinnen eher zu „gesellschaftlicher Relevanz“ verhelfen würde, wenn der soziale Wohnungsbau von dort neue Impulse bekäme, als wenn sich nun der halbe Städtebau feminisierte. Die personelle Parität im Lehrkörper herzustellen, ist eine Machtfrage, kein Missionsauftrag für eine bessere Welt. Sie zu stellen und zu lösen, ohne nun die Lasten ausschließlich auf den Schultern der jetzigen Generation männlicher Jung-Wissenschaftler abzuladen, ist ein gewaltiges hochschulpolitisches Reformprojekt.
„Mitbestimmung“ - natürlich. Personalpolitik, Lehrinhalte und Forschungsförderung sind vordemokratische Reservate, an deren Eingangstoren die politischen Seilschaften und die Kooperationsgewaltigen (vom Bund „Freiheit der Wissenschaft“ bis GEW) stehen und dort im übrigen allmählich zu vergreisen drohen. Nicht zuletzt sind diese Streiks, was viel zu wenig bemerkt wird, eine Bankrotterklärung der hochschulpolitischen „Wende“. Die satten Professorenmehrheiten in allen Gremien, die exzessive „Finalisierung“ der Wissenschaft durch Drittmittelforschung, parteipolitisches Management und alle Schübe der „Deregulation“ waren Rache an der „Gruppenuniversität“ und an den „68ern“. Doch nicht „68 und ihre Folgen“ haben die Stagnation und den allseits beklagten „Niveauverlust“ bewirkt, sondern die Gegenrevolution. Mögen ihre Akteure den Hut nehmen.
Und nun? Die studentischen Aktiven beschleicht das Gefühl, der Aufbruch könnte in den Semesterferien versanden und schon zu Beginn des Sommersemesters zu Ende sein. Mag auch sein, daß autonome Seminare als Spielwiese fortbestehen, während das Manna der zusätzlichen Gelder - so sie fließen im üblichen Proporz verzehrt wird. Die „neue Studentenbewegung“ als Vehikel des Mittelbaus, cleverer Karrierefrauen und aufgeweckter Ordinarien? Also ist Politisierung angesagt, damit es nicht beim Lamento über die „Orientierungslosigkeit“ und beim Kaffeeausschank im „Streikcafe“ bleibt. Wer in diesen Zeiten von der Uni „Orientierung“ (in einem mehr als studientechnischen Sinn) verlangt, hat noch nicht recht begriffen, daß die „neue Unübersichtlichkeit“ kein Scherzwort der Feuilletonisten war.
Der abgeklärte Pragmatismus der heutigen StudentInnen, die die Propheten der „einfachen“ Lösungen (Revolution, New Age und sonstige Patentrezepte) cool auszählen und zugleich der heilige Ernst ihres binnenkonsensorientierten Anspruchs auf Bildung und Erkenntnis bringen zum Ausdruck, daß hier eine auf Autonomie bedachte soziale Bewegung entstanden ist, die freilich nicht allein Bestand haben kann. Die Universitäten können immer nur stellvertretend und zur Probe handeln, wo die Gesellschaft und die Politik blockiert sind. Mag sein, daß „UNiMUT“ einmal als „Rückkehr des Akteurs“ in die Geschichte eingehen wird: damals, als die Gattungsprobleme im „Weiter so!“ ausgesessen wurden. Da ist es übrigens nur konsequent, daß die Traditionshüter des links-politischen Mandats, die Asten und die Hochschulgruppen, die das „Weiter so!“ auf ihre Weise betrieben, streikweise mitmarginalisiert wurden und nun nach einer neuen (Service)Rolle suchen.
„Autonomie“ ist das Zauberwort dieser neuen Studentenbewegung. „Wir haben eine autonome Universität geschaffen, die Realität bleiben kann!“ proklamierte stolz die FU-Streikzeitung 'Besetzt‘, und Autonomie ist auch für die Kommentatoren von der 'Zeit‘ bis zur 'FAZ‘ das Gebot der Stunde. Da besteht noch „Klärungsbedarf“ - und ein langer Weg von der guten Idee zur institutionellen Verwirklichung. Wie sollen Interdisziplinarität und Mitbestimmung über Lehre, Forschung und Stellenbesetzung genau aussehen? Wie öffnet sich die Universität ihrer Umwelt, erstens der Region, aus der sie oft noch immer (trotz aller PR und Serviceangebote) als erratischer Block herausragt, zweitens gegenüber der kritischen ratbegehrenden und ratgebenden Öffentlichkeit, die von Wissenschaft & Technik verunsichert ist und mitreden, mitmachen will? Wie bleibt da Wissenschaftsfreiheit erhalten - und weicht nicht anderen, nun ökologisch oder sonstwie für „progressiv“ erklärten Finalisierungsansinnen? Wie andererseits verknüpft man die (Gegen)Expertise des akademischen Expertenbetriebs mit dem klugen Alltagsverstand der „Leute“? Wo schließlich kommen die parlamentarischen Mehrheiten für eine neue Bildungspolitik her? UNiMUT fand kurz vor den Berliner Wahlen statt, zu der sich die meisten Studenten „autonom“ verhielten wie weiland die klassische APO zum Bonner „Parteienkartell“ - auch das ist ein unpolitischer Luxus, den sich eigentlich keiner mehr leisten kann. Denn ganz en passant fiel dann der Senat, dem die überholte Hochschulpolitik zu verdanken ist.
Ein Anfang ist gemacht - jetzt beginnen die Abenteuer der Autonomie.
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