: Erfolgreiche Wetter-Werbung
■ Wie das Fernsehen den Ausbleib des Winters inszenierte
Bei ARD und ZDF sitzen sie immer in überheizten Büros. Wie sonst ist es zu erklären, daß seit einem halben Jahr die Mär vom „ausgebliebenen Winter“ umgeht?
Medienschaffende wie der moderate „Heute-Journal-Eser“ oder der lebensfrohe Meteorologe Dr.Uwe Wesp waren die Trendsetter einer neuen Welle. Augenzwinkernd und mit den Gebärden des Bedauerns wurden sie nicht müde zu verkünden, daß leider, leider der Winter immer noch nicht ausgebrochen sei. Diese Meldung, von den Kollegen kolportiert, breitete sich aus wie ein Lauffeuer.
Warum aber nur? Sind Trübseligkeit und Kälte etwa kein Winter? Wären doch wenistens mal zwei oder drei RedakteurInnen bei uns rumgekommen und hätten die nasse Wäsche unserer Raucher-WG (vier Männer und vier Babies) auf unserem zugigen Dachboden aufgehängt. Bei minus fünf Grad und steifgefrorenen Fingern wäre ihnen das Jammern über das Ausbleiben des Winters sicher vergangen!
Aber den überhitzten Medienschaffenden war es einfach nicht kalt genug. Sie mußten unbedingt ihren Winter haben - und setzten auf gezielte Wetter-Werbung. (Wir leben schließlich in einer Demokratie. Und wenn die Mehrheit den Winter will...)
Das Konzept hatte Erfolg. Die Privaten übernahmen es - mit leichten Änderungen. Und bald war einem ständig so warm, daß man kaum noch atmen konnten. Selbst hartgesottene Ofen -Einheizer und zuhausegebliebene In-den-Süden-Fahrer konnten das Ausbleiben des Winters nur schwer verwinden. Allerdings meist nur dann, wenn man sie mit vorgehaltener Kamera dazu aufforderte. Nur im Stillen und im Keller traute sich noch manchmal ein Brikett-Schlepper (jedoch nur diese Schwächlinge mit der Schlepp-Angst), die Scheiß-Kälte zu verfluchen.
Das Ganze war wieder einmal ein Beispiel, wie ein gut organisierter Winter-Feldzug sogar das Temperaturempfinden verändern kann. Bei minus sechs Grad hörte man es ständig klagen, es sei einfach zu warm für die Jahreszeit.
So konnte es ja auch nichts werden mit dem „Karneval“ erklärtermaßen das Hauptfest des kathololischen Erdkreises zur Vertreibung des Winters und zur Einberufung der Fastenzeit. Denn wenn es keinen Grund gibt, warum sollte man sich aufwendige Pappnasen zulegen und teures Bier saufen? Außerdem sind schließlich über 50 Prozent der Bevölkerung sowieso das halbe Jahr am Heilfasten.
Auch Handel, Banken und Multis konnten einem leid tun. Die Kneipen blieben leer, war es doch allen warm genug. In den Kaufhäusern mußten die hängengebliebenen sportiven Daunenjacken (besonders die Farbe lila) zu Scherbelpreisen verschleudert werden. Teile von hochwertigem Ski-Equipment wurden einem - wenn man nicht aufpaßte - nachgeschmissen. Auch wer glaubte, sich am Schneeschippen bereichern zu können, hatte sich verspekuliert.
Die Öltanks blieben voll, das Streusalz auf Halde. Die Atomstromrechnungen erreichten nicht die vorgesehenen Höhen. Viele geplante Massenkarambolagen mußten ausfallen. Auf den Skipisten fuhr kaum mal einer Haxen und Bretter zu Brei. Die Wetter-Werbung der Medien war im Grunde ein Verlustgeschäft.
Und das alles nur, weil ein Häuflein von Wetter-Zersetzern bei den Öffentlich-Rechtlichen meint, es müsse seinen Fans unterhaltsames „Wetter“ bieten. (O-Ton, Wesp, ZDF, 15.2.89: „Heute ist endlich wieder action in der Atmosphäre!“)
Irgendwie hat der Mann ja recht. Was kann man auch mit so einer langweiligen Inversionswetterlage anfangen? Sie ist stabil, ziemlich grau und überall gleich.
Das waren noch Zeiten damals - Mai '86, Tschernobyl - da war noch action in der Atmosphäre! Da mußte an einem Tag die „Wetterkarte“ sogar ganz ausfallen! Die Freunde spannender Wetterberichte müssen sich wohl bis zum nächsten Super-GAU gedulden. (die säzzerin findet das alles auch zum brüllen komisch)
Blasius
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