: Friedensforschung in der Defensive
Die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung diskutierte über die „Perspektiven der Friedensforschung“ / Berührungsängste der ForscherInnen mit aktuellen Themen wie Abrüstung oder Legitimationskrise der Bundeswehr / „Der Friedensforscher von heute ist zu wenig offensiv“ ■ Von Marc Fritzler
Aktuelle Themen wie Abrüstung, Perestroika, Legitimitätskrise der Bundeswehr oder die anstehende „Modernisierung“ des Nato-Atomwaffenarsenals standen mit keinem einzigen Punkt auf dem Tagungsprogramm. Statt dessen wurde auf dem Colloqium „Perspektiven der Friedensforschung“ der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) am vergangenen Wochenende in Gummersbach über die „Theoriefähigkeit“ des Friedens oder über „Zivilisationsprozeß und Frieden“ debattiert. Dennoch ergaben sich am Rande durchaus lebhafte Diskussionen über mögliche Arbeitsperspektiven dieser Wissenschaftsdisziplin: Der in dieser Richtung am weitesten gehende Gedanke kam von Ekkehart Krippendorff von der, wie er sagte, „befreiten“ Freien Universität Berlin. Schon fast emphatisch warf er seine Perspektive einer „BoA“, einer Bundesrepublik ohne Armee, in die Runde der versammelten FriedensforscherInnen. Gespickt hat Krippendorff mit seiner BoA bei der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die mit einem Referendum im kommenden Herbst die eidgenössische Armee abschaffen will. Was die GSoA in der Schweiz erreicht hat, müssen die FriedensforscherInnen in der BRD allerdings erst noch lernen: Tabus zu brechen. Der FU-Friedensforscher forderte denn auch immer wieder, daß die Friedensforschung sich des Komplexes „Staat und Militär“ endlich anzunehmen habe. Und angesichts der steigenden „Wehrmüdigkeit“ in der Bevölkerung, die immer weniger bereit ist, die derzeitige Sicherheitspolitik zu sanktionieren, klagte Krippendorff ein Vorausdenken der Friedensforschung ein, anstatt der Bevölkerung an diesem Punkt „hinterherzuhinken“.
Selbstkritisch gestand auch AFK-Vorsitzender Klaus Jürgen Ganztel (Forschungszentrum Kriege, Rüstung und Entwicklung, Hamburg) ein, daß sich seine Disziplin den Komplex „Staat Militär“ zu sehr zur Prämisse mache, anstatt ihn zur Disposition zu stellen. Dabei liegen die Themen, derer sich die Friedensforschung annehmen könnte, auf der Straße: die Legitimitätskrise der Streitkräfte und die Reaktion der Betroffenen darauf oder etwa die Bedingungen für eine weitere Abrüstung mit dem Ziel einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Gerade die Unfähigkeit der Nato, auf Vorschläge der Sowjetunion zu reagieren, so Gantzel, verlange „die Entwicklung tragbarer friedenspolitischer Konzepte“. Damit berührte der AFK-Vorsitzende ein brisantes Thema, das von der Friedensforschung gerne ausgespart wird: die Einmischung in die Politik. Die Meinungen darüber waren gespalten.
Für eine kritische Haltung steht Bernd W.Kubbig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). „Der vorherrschende Typ von Friedensforscher duckt sich zu ängstlich vor den (wissenschafts-)politischen Zielvorgaben der Mäzene - das persönliche Sicherheitsbedürfnis ist oft unangemessen stärker als das Bedürfnis der wissenschaftlichen Erforschung des Friedens. Der Friedensforscher von heute ist zu wenig offensiv. Die Schere in unseren Köpfen ist größer, zu groß geworden.“
Für Einmischung sprachen sich auch andere aus. So etwa Egbert Jahn (ebenfalls HSFK), der den durch Glasnost und Perestroika sich allmählich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel in den osteuropäischen Staaten zum Anlaß nahm, eine breitere Erforschung dieser Staaten anzumahnen. Jahn: „Die Friedensfähigkeit der sozialistischen Länder wurde unterschätzt.“ Vernachlässigt wurde von der Friedensforschung bisher auch, wie Soldaten mit der wachsenden Kritik aus der Bevölkerung an vom Militär geschaffenen Realitäten wie beispielsweise Tiefflugterror oder Manöverschäden umgehen und welche Auswirkungen die derzeit zu beobachtende Bunkermentalität für den demokratischen Anspruch der Bundeswehr hat.
Ein Knackpunkt für viele FriedensforscherInnen ist immer wieder, ob und inwieweit sie die Friedensbewegung unterstützen sollen. Obwohl die Friedensbewegung der Friedensforschung wesentliche Erkenntnisse und Anstöße verdankt, besteht zwischen den beiden doch immer noch eine merkliche Distanz. Ist es für die Bewegten das Elfenbeinturm -Verhalten mancher FriedensforscherInnen, ist es für die anderen die Ein-Punkt-Mentalität. Für Eva Michels von Aktion Sühnezeichen ist es gerade diese Mentalität, die es der Friedensbewegung zur Zeit schwer mache, die „Modernisierung“ der Lance zum Gegenstand von Kampagnen zu machen, weil sie befürchten muß, abermals das Blickfeld zu verengen. Von den FriedensforscherInnen erwartet sich Michels, daß sie die Bewegung mit kritischer Solidarität begleiten; schließlich sei die Bewegung „keine heilige Kuh“. In gleichem Tenor Kubbig: „Friedensforschung muß sich auf die Forderungen gesellschaftlicher Gruppen und der Politik einlassen, ohne zu deren Büttel zu werden.“
Die in die Friedensforschung gesetzten Erwartungen könnten aber nur dann erfüllt werden, wenn sie mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet sei. Jährlich fließen von öffentlicher und privater Seite in der Bundesrepublik sechs Millionen Mark in die Friedensforschung, der Etat für Wehrforschung liegt demgegenüber bei sechs Milliarden Mark! Gantzel verleiten diese Relationen zu der Bemerkung, daß schon der Systempreis für einen Tornado von 100 Millionen Mark höher sei als die gesamte Förderungssumme für die Friedensforschung seit Gründung der Bundesrepublik. Die Friedensforschung könne also einen Tornado gut gebrauchen, so der AFK-Vorsitzende, nicht zuletzt um die Disziplin an den Hochschulen zu verankern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen