: Stahlboom schönt Bilanz der Ruhrkonferenz
NRW-Regierung wertet Ergebnisse der Ruhrgebietskonferenz positiv / 7.600 neue Arbeitsplätze in Aussicht / 743.140 Menschen suchen in NRW weiter einen Job Rau-Regierung sieht eigene Politik durch Mikat-Kommission zur Entwicklung der Montanregionen bestätigt / Grüne sprechen von „Dokument ökologischer Ignoranz“ ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Heute vor einem Jahr trafen sich in Bonn auf Einladung von Kanzler Kohl Gewerkschafter, Minister, Unternehmer und Bürgermeister zur sogenannten „Ruhrgebietskonferenz“. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um Rheinhausen richteten sich „die Erwartungen der Arbeitnehmer an Rhein und Ruhr, die Hoffnungen der Menschen im Revier und Rheinhausen auf diese Konferenz“, so der teilnehmende IGM -Vorsitzende Franz Steinkühler damals. Zumindest bei den Stahlkochern in Rheinhausen wurden diese „Hoffnungen“ mit der Bekanntgabe der Konferenzergebnisse jäh zerstört. „Wir, die die Türen in Bonn und Düsseldorf aufgestoßen haben, sind jetzt die Verlierer“, kommentierte der enttäuschte Betriebsratsvorsitzende Manfred Bruckschen den in Bonn beschlossenen Maßnahmenkatalog. Was ist inzwischen daraus geworden?
Für die Rheinhausener Stahlkocher selbst hat die Konferenz lediglich ein paar Millionen für ein „Qualifizierungszentrum Rheinhausen gebracht“. Damit sollen trotz der beabsichtigten Werksschließung dauerhaft 380 Ausbildungsplätze gesichert werden. Der Bund gibt dafür 8 Mio.Mark, das Land stellt in diesem Haushaltsjahr 2,7 Mio.Mark zur Verfügung. Daß die Abgesänge auf die Stahlindustrie inzwischen verstummt sind, hat mit der Ruhrgebietskonferenz überhaupt nichts zu tun.
Nicht die Politiker, sondern ein ungewöhnlicher, von niemandem vorhergesagter Stahlboom sorgt dafür, daß sich diejenigen, die noch vor einem Jahr so schnell wie möglich die Hütte verlassen sollten, heute vor Überstunden gar nicht retten können. Der Gewinn der Krupp-Stahl AG, die in den Jahren zuvor dreistellige Millionenverluste einfuhr, belief sich 1988 auf 170 Mio.Mark. Der Branchenriese Thyssen hat in seiner ganzen Unternehmensgeschichte noch nie so viel Geld mit Stahl verdient, wie im letzten Jahr. Stolze 1,161 Mrd.Mark Gewinn vor Steuern fuhren die Beschäftigten der Thyssen Stahl AG ein.
Mitnahmeeffekt
Als „das Kernstück der Ruhrgebietskonferenz“ bezeichnet der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, Wolfgang Clement, die Maßnahmen „zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur“. Mit diesem Sonderprogramm werden „Errichtungsinvestitionen“ gefördert, die Bund und Land jeweils mit 400Mio. Mark alimentieren. Im ersten Jahr sind aus diesem Programm, laut Clement, 422 Vorhaben mit einer Gesamtinvestitionssumme von 2,9 Mrd.Mark bewilligt worden. Bei Abschluß der Projekte werden nach den Planungen der Unternehmen dadurch 7.600 Arbeitsplätze geschaffen. Geht man davon aus, daß bei dem auf vier Jahre angelegten Programm auch künftig in dieser Größenordung Arbeitsplatzeffekte entstehen, dann dürften mit dem „Kernstück der Ruhrgebietskonferenz“ am Ende etwa 30.000 neue Arbeitsplätze gewonnen sein. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von 10,9% im Januar 1989 in NRW - hinter dieser Zahl verbergen sich 743.140 Menschen - ein relativ bescheidener „Erfolg“. Tatsächlich sind die Wirkungen dieses Programms allerdings noch weitaus geringer. Sicher ist, daß ein erheblicher Teil der Investitionen ohnehin getätigt worden wären. Das genaue Verhältnis zwischen diesen sogenannten „Mitnahmeeffekten“ und den tatsächlich neu angeregten Investitionen vermag niemand korrekt zu beziffern. Schon gar nicht die politischen Zahlenjongleure, die im Zweifel alle Erfolge ihren Programmen zuschreiben.
Neben dem „Kernstück“ gab es bei der Bonner Konferenz 27 weitere Versprechungen, die zum Teil inzwischen erfüllt wurden. Duisburg bekommt einen Freihafen, Grundstücke der Deutschen Bundesbahn stehen für Industrieansiedlungen zur Verfügung, zusätzliche Bundesbahninvestitionen sind in der Planung. Wie verabredet, sind im vergangenen Jahr 40,4 Mio.Mark aus Bonn nach NRW geflossen, um „Investitionen zur Vermeidung von Umweltbelastungen“ anzuregen. Nach Darstellung der Landesregierung führte diese Staatsknete zu Investitionen - das Geld floß z.B. in die Sanierung des Geländes der Essener Zinkhütte - von 120 Mio.Mark.
In diesem Jahr sind weitere Umweltprojekte geplant. Umweltminister Matthiesen rechnet mit einer zusätzlichen Investitionssumme von rund 367 Mio.Mark. Besonders vehement verlangt die Rau-Regierung von Bonn eine Entscheidung für die superschnelle Magnetschwebebahn „Transrapid“, die nach Düsseldorfer Vorstellungen die Flughäfen Köln und Düsseldorf verbinden soll.
Gleichzeitig wird die vor einem Jahr versprochene Verwirklichung der Rheinquerung der A44 als Brücke mit Vorlandtunnel angemahnt. Insgesamt aber, so Clement in seiner Bilanz, könne sich das, „was gemeinsam auf den Weg gebracht wurde, sehen lassen“. Am 3.März wird die CDU mit Kanzler Kohl und Norbert Blüm auf einer Konferenz in Oberhausen unter dem Titel „Aufbruch in NRW“ ihrerseits die Konferenz bilanzieren.
Der vielbeschworene „Aufbruch“, den ja auch Rau fortwährend im Munde führt, fand auf dem Arbeitsmarkt 1988 aber trotz Stahlboom und Revierprogramm nicht statt. Im Gegenteil, die Arbeitslosenquote, die in NRW wie im Vorjahr bei 11% lag, stieg im Revier sogar von 15,2% im Jahr 1987 auf 15,7% in 1988 an.
„Nachkriegsrezepte“
Die Rau-Regierung klopft sich angesichts eines realen Wachstums von 3,3% im letzten Jahr selbst auf die Schulter und will an ihrer bisherigen Wirtschaftspolitik festhalten. Bestätigt fühlt sich Johannes Rau durch den 1.500 Seiten starken Bericht der sogenannten „Mikat-Kommission“, die in rund 20 Monaten die Montanregionen analysierte und 130 Vorschläge zum Strukturwandel erarbeitete.
Die nach dem Parteienproporz besetzte Kommission hat unter der Leitung des früheren Kultusministers Paul Mikat (CDU) ein einstimmig verfaßtes Kompromißpapier vorgelegt, das, laut Rau, die „Zerrbilder“ der Oppositionsparteien über NRW zurechtrückt. Jedenfalls sind nach dem Mikat-Bericht die Bürokratie-Hemmnisse für das nach Verwertung strebende Kapital in NRW nicht größer als in anderen Bundesländern.
Das hatte zu Raus Freude schon die Vereinigung der Industrie und Handelskammern in NRW festgestellt, die „im großen und ganzen“ keine Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bei der Dauer der Genehmigungsverfahren festgestellt hatte. Der „Aufbruch“ in NRW soll aber auch vor diesem Bereich nicht haltmachen, denn die NRW-Regierung will, so Clement, „kundenfreundlicher“ werden, die Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Bezüglich der Verkehrspolitik hat die „Mikat-Kommission“ Forderungen erhoben, nach deren Umsetzung die „Kunden“ aus der Industrie zwar seit langem verlangen, die aber im Gegensatz zur bisherigen Politik des „linken“ Verkehrsministers Christoph Zöpel stehen. So soll die von Bürgerinitiativen und SPD-Kommunen bekämpfte und deshalb auf Eis gelegte Autobahnverbindung von Düsseldorf nach Dortmund (DüBoDo) durchs südliche Ruhrgebiet ebenso gebaut werden wie eine weitere Nord-Süd-Verbindung durch das Revier. Weiter fordert die Kommission den Ausbau der ehemaligen B1.
Wachstum durch mehr Autos, mehr Straßen und weniger ökologische Rücksichtnahmen, das sind die Konzepte der Mikat -Kommission. Das Loblied auf die Kommission wurde bisher allein von den nordrhein-westfälischen Grünen gestört. Sie halten die Kommissionsmitglieder für „Ignoranten“, deren „Denken von vorgestern stammt“. Die Rezepte „aus der Nachkriegszeit“ würden jetzt „als zukunftsweisend vorgelegt“.
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