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Öko-Steuern - geht das überhaupt?

■ Sozialsenator Henning Scherf lud 40 hochkarätige Finanzexperten ins Bremer Rathaus / Wissenschaftliche Nachhilfe für sozialdemokratische Zukunftsprogramme / Scherf „ganz spitz auf Polit-Beratung“

Bremens zweiter Bürgermeister ist ein vielseitiger Mann und heißt Henning Scherf. Beruflich ist Scherf Sozialsenator und fast pleite, weil Bremens Sozialausgaben ständig steigen. Beruflich war Scherf schon mal Finanzsenator und weiß, wo Regierungen ihr Geld herkriegen, das sie an

schließend z.B. für Sozialhilfe wieder ausgeben: Aus Steuern. Privat ist Scherf umweltbewußt und überzeugter Fahrradfahrer. Politisch ist Scherf Mitglied des SPD -Parteivorstandes und deshalb unzufrieden mit seinen Genossen, weil denen weder zu Sozial-noch zu Umweltpolitik in

letzter Zeit besonders Bahnbrechendes eingefallen ist.

Was tut ein Politiker in dieser Situation? Er macht sich selbst ein paar Gedanken über sozialdemokratische Zukunftskonzepte. Eine erste Zwischenbilanz seiner Überlegungen zog Scherf im letzten Herbst wie es sich für linke Sozialdemokraten gehört in der Zeitschrift „Sozialismus“. In seinem Beitrag schlägt Scherf - neben der der üblich-sozialdemokratischen Höherbelastung Besserverdienender - eine ins Steuersystem integrierten Grundsicherung für Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Rentner schlägt Scherf vor allem die Besteuerung umweltschädlicher Produkte und Produktionsverfahren vor. Nicht der Einsatz von Arbeitskraft soll in Scherfs sozialdemokratischem Steuersystem der Zukunft vorrangig besteuert werden, sondern der Einsatz von Energie, die Belastung der Umwelt und die Verschwendung von Rohstoffen. Scherf will so drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Bund, Länder und Gemeinden kassieren erstens mehr Steuern, können deshalb zweitens schlechter oder gar nichts Verdienende entlasten und stellen drittens die Weichen für einen ökologischen Umbau der Industrie-Gesellschaft.

Von Leuten mit noch mehr finanzwissenschaftlichem Sachverstand als er selbst wollte Scherf jetzt wissen, was sie von seinen Ideen halten. Rund 40 WissenschaftlerInnen hatte Scherf deshalb zu einer hochkarätigen politischen Nachhilfestunde ins Rathaus zu Fruchtsäften, Bier und Mineralwasser (jeweils in rohstoffschonenden Pfandfla

schen), Kaffee und Tee (in energiesparenden Warmhaltekannen) und dicken Manuskript-Mappen (kopiert auf umweltfreundlichem Recycling-Papier) geladen. Anwesende Nachhilfeschüler: Scherf selbst. Daneben und zeitweilig: Umweltsenatorin Evi Lemke-Schulte. Ungesehen, obwohl geladen: Finanzsenator Claus Grobecker.

Daß der Bremer Sozialsenator mit seinen Ideen nicht auf dem völlig falschen Dampfer ist, mochten ihm geladenen Wissenschaftler denn aauch gern bestätigen. Auch unter Steuer- und Finanzexperten hat sich die drohende ökologische Katastrophe inzwischen herumgesprochen und die Erkenntnis durchgesetzt, daß Natur nicht gratis ist und der Lernfähigkeit selbst hartnäckiger Umweltverschmutzer möglicherweise durch kräftige, ökosteuerliche Aderlasse auf die Sprünge zu helfen wäre. Allerdings ganz so glatt, wie Scherf sich die Sache gedacht hat, geht die Rechnung wohl doch nicht auf.

Erstes Problem: Ökosteuern sind geradewegs ein Widerspruch in sich. Wenn der Staat quasi von den Umweltsünden seiner BürgerInnen lebt und sie eben dadurch umweltpolitisch „erzieht“, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder er hat „pädagogisch“ Erfolg, dann ist er aber binnen kürzester Frist pleite. Wo die Umwelt nicht mehr ordentlich versaut wird, hat ein Finanzamt, das von Öko-Steuern lebt, sein Recht verloren. Öko-Steuern fehlt also ein zentrales Merkmal aller bisherigen Steuer-Systeme: Sie sichern die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden nicht zuverlässig ab. Oder aber: Die Bür

ger zahlen die erhöhten Steuern auf umweltschädliche Produkte mürrisch, aber ohne entscheidende Lernprozesse. Resultat wäre ein Problem, das bereits der phrygische König Midas kannte: Was er anfaßte wurde zu Gold. Er besaß schließlich haufenweise Bares, aber nichts Eß-bares mehr. Klartext 2000 Jahre nach König Midas: Der Bundesfinanzminister könnte sich dank Ökosteuern zwar über Steuerzuwächse freuen, der Umwelt wäre damit aber auch nicht geholfen.

Problem zwei: Öko-Steuern sind indirekte Steuern, d.h. sie sind „sozial unausgewogen“. Der umweltsünderische Sozialhilfeempfänger zahlt genausoviel für seine Sünden wie

-zum Beispiel der Sozialsenator. Dank Öko-Steuer würden Melitta-Alufolie und Irischer Frühling aus der Spraydose wieder zum Statussymbol Besserverdienender.

Problem drei: Öko-Steuern können Arbeitsplätze kosten. Zumindest kleinere und mittlere Betriebe wären durch die drastischen Verteuerung ihrer Produkte bzw. die notwendigen Investitionen für Alternativ-Produkte und die ökologisch Umrüstung ihrer Produktionsverfahren überfordert. Der absehbare Run auf ökologische Investitionsgüter (Rauchgaswäschen, geschlossene Kühlkreisläufe, Filteranlagen) würde die Arbeitsplatzverluste kaum kompensieren.

Problem vier: Mit der Öko-Steuer ist es wie mit der Medizin. Sie muß bitter sein, sonst nützt sie nichts. Und sie muß klug dosiert werden. Anfänglich in homöopathischen Dosen, damit die Patienten-Verbraucher sich dran gewöhnen können, später - für

hartnäckige Fälle - höher dosiert. Ökosteuern müßten also ständig erhöht oder von Anfang an progressiv geplant werden. So oder so eine politisch höchst heikle Angelegenheit für jeden Finanzminister. Gute Chancen auf ihre Wiederwahl kann eine Regierung, die alljährlich die Steuern erhöht, sich wahrscheinlich nicht ausrechnen.

Problem fünf: Auch bei der Öko-Steuer kommt möglicherweise erstens alles anders und zweitens als man denkt. Der simple Schluß: Der Staat macht ein Produkt künstlich teurer, auf dem langen Weg zum Verbraucher setzt sich dieser Preis in „Vermeidungsverhalten“ um, stimmt vermutlich nicht. Beispiel: Einwegflaschen sind in Dänemark bereits mit drastischen Steuern belegt. Was tun die schlitzohrigen dänischen Flaschenproduzenten: Sie wälzen die für die Einwegflaschen gedachten Extra-Steuern auf ihr Sortiment an Mehrwegflaschen ab. Ergebnis: Im Supermarkt wird die umweltfreundliche Flaschen-Lösung teurer, die Einwegflaschen -Preise bleiben konstant.

Tip eines ungeheuer klugen Steuer- und Wirtschaftsexperten für Henning Scherf am Ende einer langen und „unheimlich spannenden Diskussion“ (Scherf) im Bremer Rathaus: Früher haben Sozialdemokraten in staatlicher Ausgabenpolitik das Zaubermittel aller Wirtschaftsprobleme gesehen. Sie sind mit ihren Beschäftigungs-und Subventionsstrategien gescheitert. Es wäre aber genauso verkehrt, jetzt in staatlicher Einnahmepolitik das Allheilmittel aller Probleme zu sehen.

K.S.

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