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Muntere Tiefflüge zu heißen Rhythmen

■ Carlo Thränhardt gewinnt mit 2,36 Meter das „Internationale Springermeeting mit Musik“ in der Schöneberger Sporthalle

Gerannt, geschleudert und gesprungen wird inzwischen in unzähligen Hallen der Welt. Hallensportfeste - das sind jene seltsamen Wettkämpfe, bei denen die Sprinter kurz nach dem Start schon im Ziel sind, die Langstreckenläufer ständig Kurven laufen und die Stabhochspringer in der permanenten Angst leben, das Dach zu durchstoßen - sind heutzutage eine feste Größe im Kalender der Leichtathletik. Spitzensportler sind schließlich keine Eisverkäufer, die im Winter einfach mal dichtmachen können. Um in der Fülle dieser Hallenmeetings nicht unterzugehen, muß man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. In Berlin, beim Internationalen Springermeeting, ist dieses Besondere die Musik.

Ausgerechnet die Sportler mit der längsten Konzentrationsphase, die früher meist absolute Stille bei ihren Versuchen bevorzugten, später dann, im Zuge der gesteigerten Infantilisierung des Sports nach Los Angeles, immerhin nervtötendes Klatschen zuließen - „tolle Stimmung“ im Fachjargon - dürfen sich in Berlin während des Sprunges an ihrer Lieblingsmusik berauschen. Und siehe da, einige tun es sogar gerne. Glamour-Boys der Holzlatte wie Sjöberg, Thränhardt oder Mögenburg werden durch die heißen Rhythmen aus dem Lautsprecher sichtlich angestachelt, und gelegentlich reicht es dann, wie bei den 2,42 Meter des Carlo Thränhardt im letzten Jahr, sogar zum Weltrekord.

Diesmal allerdings rockte die Disco in der Schöneberger Sporthalle vergebens, obwohl ein erlesenes Sortiment von Weltklasseleuten an den Start gegangen war. Drei aktuelle Weltrekordler und drei Olympiasieger waren mit von der Partie, alle blieben jedoch unter ihren Möglichkeiten.

Der Stabhochperestroiker Sergej Bubka, der lange Jahre tapfer gegen Geräuschberieselung und Klatscherei ankämpfte, hat diesbezüglich resigniert, heizte den Lärm sogar noch mit Handbewegungen an, riß bei für ihn nichtswürdigen 5,85 und stellte höchstens einen Weltrekord im Autogrammgeben auf. Den Sieg mußte der leutselige Olympiasieger und Weltrekordler dem polnischen Trumm Miroslav Chmara überlassen, der 5,85 überquerte.

Javier Sotomayor aus Kuba ist der Mensch, der bislang am höchsten von allen floppte. Sein Freiluftweltrekord steht bei 2,43. Warum das so ist, zeigten die gewaltigen Sätze des schlaksigen Kubaners, die Raunen im Publikum und staunendes Kopfschütteln bei den Konkurrenten auslösten. Als die Latte auf 2,32 lag, sprang Sotomayor etwa 2,50, wundersamerweise schaffte er danach jedoch die 2,36 nicht.

Dafür aber Carlo Thränhardt, der Hallenweltrekordler, und zwar im ersten Versuch. Der langblondige Schwede Patrick Sjöberg, der sich nach seinen Sprüngen flugs in ein mehrschichtiges schwarzgelbes Dress zu hüllen pflegte, das aussah, als habe er es aus der Requisitenkammer von „Raumschiff Enterprise“ entwendet, brauchte für diese Höhe drei Versuche.

Gennadi Awdejenko aus der Sowjetunion, Olympiasieger von Seoul, rückte den 2,36 mal mit, mal ohne Musik zuleibe, doch ob es nun tönte oder nicht, die Latte fiel konsequent hin. Sein olympischer Vorgänger Dietmar Mögenburg ließ dagegen wie üblich so ziemlich alle Höhen aus und stieg erst bei 2,40 wieder ein.

Das Kuddelmuddel im Innenraum, wo die Athleten wie im Zirkus dicht vor den Augen der Zuschauer Kraft und Motivation für den nächsten Sprung schöpften, hatte sich mittlerweile gelichtet. Der Stabhochsprungwettbewerb war ebenso beendet wie der Hochsprung der Frauen, den die schöne Rumänin Galina Astafei vor der grummeligen Heike Redetzky und Tamara Bykowa (UdSSR) gewonnen hatte. Wo vorher anlaufende Springer und Springerinnen mit und ohne Stab, von links, von rechts, von vorn und hinten durcheinandergesaust waren, agierten nun bei 2,40 nur noch Mögenburg, Thränhardt und Sjöberg. Letzterer allerdings nur für einen gescheiterten Sprung, dann verabschiedete er sich wegen eines Zipperleins aus dem Wettbewerb.

Mögenburg war noch nie so hoch gesprungen und schaffte es auch diesmal nicht, also gewann Carlo Thränhardt wegen der geringeren Zahl von Fehlversuchen, obwohl auch ihn die „emotionale Rockmusik“, die er bevorzugt, diesmal nicht über die 2,40 hieven konnte. Einen Rekord habe er sich an diesem Abend eigentlich ohnehin nicht zugetraut, gestand Thränhardt hinterher, dafür habe er nicht hart genug trainiert. Vielleicht sollte aber auch einfach nur zum „Final Countdown“ von „Europe“ zurückkehren, jener Melodie, die ihm 1984 mit 2,37 den ersten „Weltrekord mit Musik“ ermöglicht hatte.

Matti Lieske

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