: Neue europaweite Zeitung ein Flop?
■ Der britische Großverleger Robert Maxwell will eine Tageszeitung zunächst für West- und später für ganz Europa gründen / Die Nullnummer war aber in den Augen eines Fachmannes „Schrott“ / Aber: Wer soll die Zeitung kaufen? Druckort ist Großbritannien und Frankreich / Fauler Zauber mit Namen von Redakteuren
Berlin (taz) - Im Mai soll es soweit sein: dann soll 'The European‘ als europäische Tageszeitung des englischen Mediengiganten Robert Maxwell erscheinen. Sieben Millionen Probeexemplare wurden bereits Ende 1988 anderen Zeitungen beigelegt, sogenannte „Dummies“. Gedruckt werden soll das Blatt in England und Frankreich, verbreitet wird es in ganz Westeuropa, später soll es auch in Osteuropa erscheinen.
So weit der vollmundige Plan. In England kommt zunehmend Skepsis auf, ob diese Zeitung überhaupt jemals auf den Markt kommt. Während Maxwells Pressesprecher, John Kasby, behauptet, daß zur Zeit weitere Redakteure eingestellt werden, erklärt die englische Journalistengewerkschaft National Union of Journalists (NUJ), daß einige bereits eingestellte Redakteure einstweilen bei Maxwells Boulevardzeitung 'The Daily Mirror‘ untergekommen sind. Und die 'Times‘ weiß gar zu berichten, daß weitere 'European' -Redakteure derzeit bei einem Fernsehprojekt engagiert sind.
Markt unklar
„Wir machen die Zeitung lieber spät als falsch“, ist Maxwells Erklärung für eine mögliche Verspätung. Auf das angekündigte Erscheinungsdatum, den 9.Mai, lasse er sich nicht festlegen. Der Dummy im Dezember sollte den Markt mit einem Fragebogen testen, über dessen Auswertung sich der Maxwellkonzern allerdings in Schweigen hüllt. Als ein weiterer Grund für die Verspätung werden die Schwierigkeiten genannt, die englische und französische Journalisten angeblich bei der Zusammenarbeit haben. „Sie gehen unterschiedlich an Nachrichten heran“, meint hierzu John Slattery von der Gewerkschaftszeitung 'UK Press Gazette‘, „die Franzosen gehen eher analytisch vor, die Engländer wollen lieber schnell vor Ort sein und losschreiben.“
Aber das ist wohl ein kleineres Problem. Nach wie vor ist es völlig unklar, ob es für diese Zeitung überhaupt einen Markt gibt. Potentielle Leser sind laut Maxwell „gehobene Berufsgruppen und Aufsteiger wie Geschäftsleute, Lehrer und Beamte“. Ob er allerdings die ursprünglich geplanten 500.000 Exemplare an diese Gruppen loswird, ist mehr als fraglich: Selbst eine renommierte Zeitung wie die 'International Herald Tribune‘ hat nur eine Auflage von rund 100.000. Dabei erscheint die 'Tribune‘ durchgehend in Englisch, während das Mischkonzept des 'Europea'“ landessprachliche Kommentare zu heimatlichen Themen liefert. So gibt es zwar Nachrichten in Dänisch und Neugriechisch über Dänemark und Griechenland, doch an der Idee, Informationen über andere Länder zu liefern, gehen diese Geschichten total vorbei.
Es ist erstens zweifelhaft, ob so ein kunterbuntes Gemisch mit anderen englischsprachigen Zeitungen wie der 'Tribune‘ und der 'Financial Times‘ konkurrieren kann, und zweitens können die dürftigen fremdsprachlichen Kommentare wohl kaum nationale Zeitungen ersetzen.
„Dieser Dummy war Schrott“, meint ein NUJ-Vertreter verächtlich, und verweist auf 'The London Daily News‘, ein bereits gescheitertes Projekt Maxwells, mit dem ihm dreißig Millionen englische Pfund flöten gingen. „Spitzenjournalismus kombiniert mit einer internationalen Perspektive“, wird in der Probenummer angekündigt, aber nicht eingelöst: So wurde in dem deutschen Kommentar über „eine weitere Niederlage für Helmut Kohl“ bei der damals anstehenden Berlin-Wahl spekuliert, dann schlug der ungenannte Schreiber die Brücke zum Jenninger-Rücktritt und kam unvermittelt auf das Gerücht zu sprechen, Hitler habe an der Parkinsonschen Krankheit gelitten. Ob in den griechischen und dänischen Kommentaren ähnlich zusammenhängend argumentiert wurde, entzieht sich leider meiner Sprachkenntnis. Ansonsten besteht die Probenummer hauptsächlich aus großen Farbfotos, kurzen EG-Nachrichten und Sensationsberichten, etwa zum Gladbecker Geiseldrama. Der Dummy erschien aber ohnehin nicht in der Form des eigentlichen 'European'-Konzeptes, das eine vierteilige Zeitung mit den Schwerpunkten Nachrichten, Finanzen, Sport und „Lifestyle“ vorsieht, und es ist auch nicht klar, ob dieses Konzept durch die Dummy-Reaktionen geändert wird.Es ist kein Zufall, daß die Idee für den ‘
European‘ vom englischen Zeitungsmarkt kommt. In den letzten zweieinhalb Jahren hat sich das englische Zeitungswesen mit der „Fleet-Street-Revolution“ vollständig verändert: In dieser Zeit zogen die meisten Verlagshäuser von der Fleetstreet weg, die Produktion wurde rationalisiert, und rechnergesteuerte Redaktionssysteme eingeführt. Diese Entwicklung löste der Verleger Eddy Shah schon 1983 aus, als er sich bei einem Streik rigoros gegen die englische Druckergewerkschaft National Graphical Union (NGA) durchsetzte, und so mit wenig Personal und Kapital und moderner Technik die Zeitung 'Today‘ herausbrachte. Diese war allerdings für ihn ein Reinfall, und auch sein zweites Projekt 'The Post‘ schlug fehl.
Jetzt profitieren von seinen Ideen die Konkurrenten Robert Maxwell und Rupert Murdoch. Zu Murdochs Zeitungsgruppe gehören 'The Times‘, die 'Sunday Times‘, 'The Sun‘ und 'News of the World‘. Auch Eddy Shahs 'Today‘ landete schließlich bei Murdoch, und durch neue Werbestrategien und eine höhere Auflage rentiert sie sich langsam. Dem größten englischen Drucker und Verleger Maxwell gehören 'The Daily Mirror‘, der 'Sunday Mirror‘ und 'The People‘.
Revolution in Fleet Street
Da sich das englische Zeitungswesen nicht wie auf dem Kontinent kontinuierlich veränderte, scheint in der neuen Bewegung der Optimismus trotz Fehlschläge ungebrochen. Er beschränkt sich allerdings auf die Unternehmerseite, denn in der „Revolution“ gab es insgesamt 13.500 Entlassungen von Druckern und Setzern, von denen 5.500 auf Murdochs und 3.000 auf Maxwells Konto gehen. Das erklärte Ziel des ehemaligen Labour-Abgeordneten Maxwell ist es, „mehr und bessere Zeitungen mit weniger Menschen zu machen“. Daß tatsächlich weniger Menschen in der Redaktion des 'European‘ arbeiten, sollten die LeserInnen des Dummy wohl möglichst nicht bemerken. Hinter dem Kunstedakteur Hans Schmidt, der über eine Toulouse-Lautrec-Ausstellung in London schrieb, verbirgt sich Heather Wadell, und aus dem Kulturredakteur Paul Callan, der aus dem Deutschen Theater in München berichtete, wurde eine Petra Jelic. Dies teilt genüßlich das Murdoch-Blatt 'The Times‘ mit.
Susanne Mahle
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