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Warste da schon mal, im Cafe Mistral?

■ Michael Sallmanns Liebeserklärung an eine verdammte Kneipe / Von papierbekritzelnden ehemaligen Ostkünstlern und Junggoethes

Bei „Mistral“ denkt man wahrscheinlich an jenen kalten Wind im Rhonetal. Ich denke dabei an das französische Schankbier im Cafe Mistral.

In dieser Cafe-Kneipe im Souterrain wurde früher viel Hu! und Ha! geschrien, und das kam so: ein arbeitsloser Politologe und eine arbeitslose Lehrerin bauten einen ehemaligen Trödelladen um, stellten Mamortische hinein, hängten Spiegel an die Wände und strichen den Tresen schwarz. Zwei kleine Räume am U-Bahnhof Gneisenaustraße in Kreuzberg. Ein Künstlercafe im Stil der zwanziger Jahre sollte das sein, und fürwahr, es ist für eine Kneipe etwas Schönes, wenn sie sich mit Künstlern schmücken kann. Obwohl, Künstler sind eitle Vögel und unter Umständen nicht gerade die ruhigsten Gäste. Es war auch die Frage, ob die Vögel ins gemachte Nest kommen würden. Aber da sich in West-Berlin und besonders in Kreuzberg fast sowieso jeder für einen Künstler hält, kamen sie alle:

Achtundsechziger ohne Zähne/ saufen sich die Birne leer/ Studis Prolos Musensöhne/ spucken hier die großen Töne/ arbeitslose Professoren/ haben vom Wein den Grips verloren/ Ostler meckern übern Westen/ zählen zu den besten Gästen/ bis am Monatsanfang/ jeder seine Zeche zahlt.

Gerade die letztgenannte „In-Group“ prägte das anfängliche Bild des „Mistral“ entscheidend. Es bildete sich eine Tischrunde ehemaliger Ostkünstler (oder die sich dafür hielten) heraus, die ihr Lebensleid und ihre Lebensgier herausschrien mit Hu! und Ha! Einer der Besitzer des „Mistral“ drückte es cool so aus: Der größte Teil des Umsatzes ist von Ex-DDRlern getragen worden.

Na gut. Da hatte sich ein Haufen dichtender und singender Trunkenbolde zusammengefunden, wo einer des anderen Sprache verstand, nicht nur die der Balladen, sondern vor allem die der Seele. Kurzum: Diese Biertischwüstlingsrunde verschaffte dem „Mistral“ zeitweise den Ruf, „Osteria“ zu sein, Zentrale für Zechgelage ehemaliger Osties. Und das zog Leute, Westler wie Ostler. Da war die Kneipe voll, wenn Kuno mit oder gerade mal ohne Pannach dasaß, Salli, Utzel Rachowski, diese drei aus der Fürbringerstraße11.

Manchmal saß hier die halbe Renft Combo aus Leipzig mit Bier, mit arbeitslosen Mittellosen, Juristen und Automechanikern, also alles wie im richtigen Leben. Verrückte Figuren und Anekdoten gab und gibt es auch jetzt noch, das ist es ja eben: Wenn sich zwei Sozialarbeiter ruhig und überlegt, sozusagen gesittet unterhalten, fällt einer die Treppe runter, überschlägt sich, kracht an den Tresen, und dann steht er auf, tritt an den Tisch der beiden und sagt: „So, das wäre überstanden, und jetzt möchte ich Ihnen ein Gedicht vortragen!“

Oder neulich stieg ich Mitternacht ins „Mistral“ runter, ziemlicher Totentanz war angesagt, und am Tresen nahm gerade eine Dame eine Nasenspülung mit Weißwein vor, weil sie betrunken war und den Mund nicht mehr fand. Da ist Pjotr, der verbitterte Achtundsechziger, dem der Imperialismus mindestens genauso verhaßt ist wie Nüchternheit, und der die Gäste nach dem sechsten Bier immer zum Kampf gegen das Schweinesystem aufruft, manchmal so lange, bis sie völlig genervt sind und woanders hingehen, schön Schweineschnitzel essen. Und da ist Hubert, dessen Beruf es ist, auf dem Friedhof Draufgegangene zuzuschaufeln, und der seine Berufung darin sieht, die „Mistral„-Gäste mit literarisch Draufgängerischem zu unterhalten. Der ist genauso verrückt wie manch anderer, der hier ein- und ausgeht:

Penner, Säufer, Sabbelköppe,/ dicke Kühe, geile Böcke/ sitzen sich die Ärsche platt:/ manchmal gibt's Rabatt.

Im „Mistral“, dieser Bierpfütze mit der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre, sitzen tatsächlich auffallend viele papierbekritzelnde einsame Männer. Macht das etwa den poetischen Reiz der Kneipe aus? Hier kommen die selbsternannten Liter-Raten zu schöpferischer Phantasie. Zu später Stunde liegen sie auch mal unterm Tisch und knutschen mit den Stuhlbeinen, aber man kennt sich, das kann doch jedem passieren, wenn die Abende lang sind und die Wohnung daheim leer und kalt. An manchen Abenden herrscht im „Mistral“ eine Intimität, daß man als außenstehender den Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft gewinnen kann. Trotzdem: Meine Damen und Herren, bitte eintreten:

Peruaner werfen hier/ freudig durch die Luft ihr Bier/ und kommt einer nicht mehr rein/ tritt er halt die Scheibe ein/ Wände gelb und Fressen fahl/ Alter warste da schon mal/ im Cafe Mistral?

Richtig schlimm ist es allerdings nur einmal geworden, als ein cholerischer Biergast die Aufforderung des Wirts zu bezahlen, mit einem Stilettstich in den Bauch nachkam. Der so gestochene Wirt verfolgte den flüchtenden Stecher und schleppte ihn zurück, und erst nachdem sich die Polizei eingefunden hatte, begab er sich ins Krankenhaus, um die an ihm verübte Schnetzelei behandeln zu lassen. Am Ha!- und Hu! -Tisch jedenfalls hieß er von da an „der Geschnetzelte“.

Aber die alte Ostlerrunde begann sich zu jener Zeit schon aufzulösen. Als sich Pannach und Kunert am rauschenden Kleinerfolg berauschten, und ihre Verehrer dies am „Mistral“ -Tisch mit Pannach und Kunert taten, als Utzel Rachowski seinen Kumpel Salli an ein mandeläugiges Fuchsel verlor und vollends ins Bierglas fiel, da wurden die „Junggoethes“ zum prägenden Element im „Mistral“.

Die Junggoethes waren eine äußerst homogene Gruppe 18- bis 22jähriger Papierbeschrifter, die sehr viel von Literatur hielten, vor allem von der eigenen. Mancher von ihnen hatte mit seinen jungen Jahren schon die ganze Welt bereist, um das Leben kennenzulernen, war durch den indischen Dschungel gewandert und hatte dort die Affen verscheucht. Die Junggoethes trafen sich regelmäßig und taten es den alten Wüstlingen nach. Sie schrien ebenfalls Hu! und Ha!, aber da sie nicht so viel Bier vertrugen, ging der eine oder andere heimlich aufs Klo speien. Bei alledem ist jedoch manches gute Gedicht herausgekommen.

Die Junggoethes treffen sich immer noch, aber sie speien nicht mehr. Sie schreien auch nicht mehr Ha!, sie veröffentlichen ihre Gedichte im „Mistral„ -Selbstbezahlverlag, aber manchmal werden sie noch übermütig und tätscheln sich gegenseitig mit Obszönitäten wie „du Votze“, weil sie wahrscheinlich nicht wissen, wie schön so etwas ist. Gemeinsam mit der alten Runde aber haben sie zweierlei, Einfälle für neue Texte und Durst.

Einer fragt unweigerlich:/ haben Sie ein Bier für mich/ fragt das schon seit Jahr und Tag/ weil er Bier so mag.

Alle hier eingebrachten Verszeilen stammen von einem der Junggoethes, Carsten Michels. Sie treffen es wunderbar und persiflieren es zugleich, das Wimmeln in der „Mistral„ -Pfütze, und vielleicht wird aus dem einen oder anderen aus der „Mistral„-Besatzung doch mal wenigstens ein Goetchen: Salli, dem der Aufstand der studentischen Erstsemester beinahe die Liebe genommen hätte, Kuno, der Musikriese, der kleine dicke Mann, der mit seinen wenigen Haaren aussieht wie die Biene Maja und sowieso mit seinem Bierkonsum das „Mistral“ subventioniert, Pannach, der aus pekuniären Gründen abgemustert hat, Utzel, ein thüringer Dichter, der so sehr die westliche Äußerlichkeit haßt und deshalb immer so grau aussieht, Lutz, der Geschnetzelte, der inzwischen vorsichtig geworden ist und seinen Magen prophylaktisch mit Alkohol desinfiziert.

Und Hartmut und Conny, die nicht ständig dicht sind oder dichten, sondern hinterm Tresen hart arbeiten, um die Bedürfnisse anderer zu befriedigen, und die schon öfter gar keine richtige Lust mehr hatten, ihnen sei gesagt: Legt den Sumpf nicht trocken, damit auch weiterhin solches daraus kriechen kann!

Michael Sallmann

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