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Arbeitslose als Notstandsreserve

Die neue Verordnung zur Arbeitssicherstellung gilt für den gesamten öffentlichen Dienst Blüm-Ministerium: „Umgehend umsetzen“ / Innergewerkschaftlicher Protest verhallte ungehört  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Wenn die Ländervertreter im Bundesrat in der kommenden Woche die Hände für die Drucksache „54/89“ heben, segnen sie damit ein Stück Notstandsvorbereitung ab, an das sich keine Regierung seit 1968 herangetraut hatte: Die „Sicherstellung“ der menschlichen Arbeitskraft für Krieg und Krise. Die Arbeitsämter sollen jetzt den Personalbedarf für den Tag „X“ ermitteln und gegebenensfalls Zwangsverpflichtungen vorbereiten.

Solange es nur um Material ging, waren die Beamten und Politiker weniger zimperlich. Den diversen „Sicherstellungsgesetzen“ aus dem 68er Notstandspaket folgten in diesen Bereichen längst Verordnungen, die die Umsetzung bis ins Kleinste regeln - die Lebensmittelkarten liegen bereit, Notbrunnen sind gebaut, und manche LKW -Besitzer bekamen schon einen Bereitstellungsbescheid ins Haus geschickt. Nun ist auch das letzte Tabu gebrochen: „Umgehend“, so heißt es im Bonner Arbeitsministerium, sollen die Arbeitsämter jetzt umsetzen, was die neue „Verordnung über die Feststellung und Deckung des Arbeitskräftebedarfs nach dem Arbeitssicherstellungsgesetz“ vorschreibt (siehe taz vom 24.2.).

Betroffen ist davon der gesamte öffentliche Dienst von den Bundesbehörden bis zu den Gemeinden, außerdem Krankenhäuser und Pflegeheime, Betriebe der Wasser- und Energieversorgung, der Abwasser- und Abfallbeseitigung, die Mineralölversorgung, die Schiffahrt, alle Verkehrsunternehmen und natürlich Zivilschutzeinrichtungen, die Bundeswehr und die Nato-Streitkräfte. Für diese Betriebe wird nun geplant, was das Arbeitssicherstellungsgesetz bereithält: Schon im Spannungsfall können Wehrpflichtige an einen neuen Arbeitsplatz zwangsversetzt werden; allen Männern und Frauen kann eine Kündigung verwehrt werden. Im Verteidigungsfall können Frauen an neue Arbeitsplätze zwangsverflichtet werden: im zivilen Sanitätswesen und in Militärlazaretten.

Anders, als die Notstandsplaner 1968 voraussehen konnten, operiert die neue Verordnung vor allem mit der Reservearmee der Arbeitslosen: „Zuerst werden die Arbeitslosen vermittelt, dann werden die Arbeitslosen rekrutiert, und erst in der dritten Stufe werden die Beschäftigten umgesetzt“, erläutert eine Sprecherin des Blüm -Ministeriums.

Erst durch einen Krieg, so läßt sich aus dieser vorausschauenden Planung schließen, kann nach Auffassung der Bundesregierung die Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden. Anders als gemeinhin angenommen, ist das Arbeitssicherstellungsgesetz wie andere Notstandsgesetze bereits in Kraft - nur die Zwangsmaßnahmen sind an die Proklamation von Notstand oder Krieg gebunden. Bereits im Frieden gilt: Beschäftigte und Arbeitgeber müssen dem Arbeitsamt die verlangten Auskünfte geben. Wehrpflichtige können sogar zu Ausbildungsveranstaltungen verpflichtet werden, damit sie für ihren Zwangsarbeitseinsatz am Tag „X“ fit sind. Wie die Arbeitsämter die neuen Aufgaben bewältigen sollen, ist vorerst unklar: Zusätzliche Stellen sind dafür nach Angaben der Nürnberger Bundesanstalt nicht vorgesehen.

Wenn die Verordnung in der kommenden Woche rechtskräftig wird, senkt sich auch der Vorhang über ein gewerkschaftliches Trauerspiel: Bei der Kriegsplanung werden die Arbeitnehmer mitbestimmen. Sie sitzen neben Arbeitgebern, Verwaltung und Bundeswehr in den „Arbeitskräfteausschüssen“, die bei allen 146 Arbeitsämtern eingerichtet werden, voraussichtlich als Untergremien der bestehenden paritätisch besetzten Verwaltungsausschüsse. Noch im Dezember 1988, sechs Wochen bevor die Verordnung durch das Kabinett ging, beschworen die 260 Delegierten einer Vertrauensleutekonferenz der IG Metall den DGB -Vorstand, seine bereits 1984 gegebene Zustimmung zu dem Blüm-Projekt zu widerrufen (siehe Dokumentation).

Doch der eindringliche Protest verhallte ungehört, ebenso wie frühere. An der Verhinderung des Spannungsfalls müßten die Gewerkschaften politisch mitarbeiten, heißt es in der DGB-Zentrale, aber in den Selbstverwaltungsgremien der Arbeitsämter könne man sich nun nicht einfach raushalten. Mitbestimmung über alles, scheint die Devise zu sein - aber ob sich tatsächlich genug Arbeitnehmer finden, die diese Devise auch in Blüms vaterländischen Ausschüssen praktizieren wollen, steht noch auf einem anderen Blatt.

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