: Genscher fordert konkretes Mandat
Der Außenminister drängt beim Thema Kurzstreckenraketen: Die Nato soll sich bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel auf verhandlungsfähige Waffen als Teil ihres Gesamtkonzepts festlegen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Für Bundesaußenminister Genscher ist eine lediglich allgemein gehaltene, zeitlich nicht präzisierte Zustimmung der Nato zu West-Ost-Verhandlungen über die Reduzierung atomarer kurzstreckensysteme absolut unakzeptabel. Bei einer Pressekonferenz am späten Donnerstagnachmittag in Genf verlangte Genscher, daß die Nato auf ihrem Gipfeltreffen am 29. und 3o. Mai in Brüssel als Teil ihres Gesamtkonzepts ein eindeutiges Mandat für diese Verhandlungen beschließt und die Verhandlungsaufnahme nicht an irgendwelche Bedingungen knüpft. Ein Mandat beinhaltet üblicherweise eine genaue Bezeichnung der Waffen, über die verhandelt werden soll, die Festlegung des Verhandlungsrahmens und -beginns sowie der Verhandlungspartner.
Die Frage von Verhandlungen ist eines der drei zentralen Elemente des Kompromißpakets zur vorläufigen Beilegung des Streits um die Modernisierung der Lance-Raketen.
Um die Details dieser drei Elemente wird derzeit vor allem zwischen Bonn, Washington, London und dem Brüsseler Nato -Hauptquartier gefeilscht. Die Funktion des Kompromißpakets: Die Regierung Kohl-Genscher bis zum Wahltermin im November 199o vor größeren innenpolitischen Schwierigkeiten zu bewahren und zugleich die weitere Bewilligung von Haushaltsmitteln durch den US-Kongreß für die Entwicklung und Produktion einer Lance-Nachfolgerakete bis zur Stationierungsreife 19945 sicherzustellen. Die Regierungen Thatcher und Reagan bzw. Bush hatten bislang die Aufnahme von Verhandlungen immer von Ergebnissen bei den am Montag in Wien beginnenden Gesprächen über konventionelle Waffen abhängig gemacht, seit dem Baker-Besuch in Westeuropa jedoch im Bemühen um einen Kompromiß mit Bonn die unverbindlich gehaltene Bereitschaft zu Verhandlungen signalisiert.
Weitgehende Einigkeit besteht über das zweite Element des Kompromißpakets: Zwecks Herstellung größerer Akzeptanz in der bundesdeutschen Bevölkerung für die Einführung neuer Atomwaffen soll auf dem Nato-Gipfel die ohnehin anstehende Reduzierung der von der Nato mit 4.6oo angegebenen atomaren Sprengköpfe in Westeuropa auf 2.9oo als einseitiger Abrüstungsschritt verkündet werden. 572 dieser 4.6oo Sprengköpfe gehören auf die unter dem INF-Vertrag zu verschrottenden Pershing II und Cruise Missiles. Die anderen 1.1oo befinden sich auf alten Atomwaffen, deren Ausmusterung seit langem vorgesehen ist und die - wie im Fall der Artillerie - in den letzten Jahren bereits durch moderne und effektivere Systeme in geringerer Anzahl ersetzt wurden.
Im Gegenzug soll Bonn der Modernisierung zustimmen. Derzeit wird zwischen Bush-Administration und Kongreßführern geklärt, ob das US-Parlament auf einer expliziten Stationierungsentscheidung im Kommunique des Nato-Gipfels besteht, oder ob in diesem Jahr auch eine Formulierung unterhalb dieser Ebene für die Bewilligung von Haushaltsmitteln ausreicht.
Damit, so argumentiert vor allem das State Department, könne die Regierung Kohl-Genscher besser leben. Eine Stationierungsentscheidung könne dann nach den bundesdeutschen Wahlen getroffen werden.
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