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„Es wird eine Hängepartie“

■ Christian Ströbele, AL, zum Stand der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und AL, die gestern abgeschlossen werden sollten Am späten Sonntagabend gab es noch keine Ergebnisse zu vermelden

Enspannt war die Atmosphäre wohl nur während des Verdauungsspaziergangs. Die „Große Verhandlungskommission“ von AL und SPD hatte sich gestern zu ihrer letzten Gesprächsrunde über ein Sachprogramm für eine rot-grüne Regierung in Klausur begeben. Nach dem Mittagessen promenierten AL und SPD-Verhandlungen gemächlichen Schrittes, nach außen Harmonie ausstrahlend bei wunderschönem Frühlingswetter im Garten des IG-Metall -Bildungszentrums am Pichelssee. Ob die milden Temperaturen dem Stil der Debatten entsprach, darf jedoch bezweifelt werden. Bei einem taz-Gespräch am Abend benannte AL -Verhandlungsmitglied Christian Ströbele 18 strittige Punkte. Ströbele erwartete eine „Hängepartie“. Unklar blieb bis Redaktionsschluß, wie es weiter gehen soll, wenn sich die Runde nicht im Laufe der Nacht einigt.

taz: Kannst du etwas zum Zwischenstand der Verhandlungen von AL und SPD über die sogenannte Dissensliste sagen? Haben die Wochenendverhandlungen bis zum Sonntag abend Ergebnisse erbracht?

Ströbele: Es sind einige Dissenspunkte weniger geworden, aber der Dissens in den wesentlichen Punkten bleibt bestehen. Das betrifft den zusätzlichen Reaktor des Hahn -Meitner-Instituts, unsere Forderung nach dem Abbau der Polizeistärke, der Kennzeichnung der Polizisten, den Polizeibeauftragten. Auch in Sachen Verfassungsschutz hat sich bei der SPD nichts bewegt. Genausowenig in der Frage des Energieverbunds mit der Bundesrepublik, der bedeutet, daß West-Berlin an den Atomstrom angeschlossen wird.

Ein Energieverbund mit der DDR wäre doch auch ein Anschluß an den Atomstrom. Der Konflikt kann sich doch nicht darin erschöpfen?

Die Frage des Atomstroms ist ja nur eine Frage von vielen in Sachen Energiepolitik. Es geht um Trassenführungen, Dezentralisierung und um den Preis. Wir wollen ja keinen billigeren Strom, sondern einen geringeren Stromverbrauch.

Wo gibt's darüber hinaus noch Konfliktstoff?

Die SPD besteht weiter auf dem Bau des Historischen Museums und ist gegen die Auflösung der vom CDU/FDP-Senat eingerichteten Akademie der Wissenschaften. Es geht auch um Rias-TV und eine Klage dagegen. Es geht - und das wird Journalisten besonders interessieren - um die Aufhebung des Tendenzschutzparagraphen in Kündigungsverfahren von Journalisten. Wir wollen, daß Journalisten den normalen Kündigungsschutz genießen.

All das, was du jetzt aufzählst, deutet doch darauf hin, daß weiteres Reden heute abend nichts mehr bringt. Der Dissens ist festgehalten, und es gibt keine Bewegungen mehr bei den Verhandlungen.

Wir haben uns jetzt erst einmal für zweieinhalb Stunden zu getrennten Beratungen zurückgezogen. Dann geht es zusammen weiter.

Wie ist denn das weitere Verfahren? Werdet ihr euch so lange einschließen, bis ihr euch geeinigt habt. Wird es zwischen AL und SPD so zugehen wie bei einer Papstwahl? Wird es am Ende ein Rauchzeichen vom Pichelssee geben?

Obwohl wir hier draußen keinen Kamin haben, wird es wohl so ähnlich verlaufen. Das ist ganz fürchterlich. Zumal wir schon ganz schön geschafft sind. Es scheint wohl eine Nachtsitzung zu werden, und ob am Ende weißer Rauch aufsteigen wird, das weiß ich natürlich immer noch nicht.

Du siehst immer noch die Möglichkeit, daß die Verhandlungen noch platzen?

Es geht heute nicht darum, diese Frage zu klären. Es geht darum, möglichst weitgehende Einigung zu erzielen. Wenn wir sie nicht erzielen, dann werden wir nicht sagen, jetzt sind die Verhandlungen geplatzt, sondern dann muß sowohl untereinander als auch innerparteilich weiterverhandelt werden. Es sieht ganz so aus, als würde es eine Hängepartie werden.

Interview: mtm

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