: Statt Haftverschonung weiterhin Isolation
■ In ihrem Hungerstreik fordern die Gefangenen aus der RAF und anderen Gruppierungen des militanten Widerstandes die Freilassung von vier kranken, haftunfähigen Gefangenen / Justizapparat beharrt auf dem Standpunkt: „Es gibt zur Zeit niemanden aus dem Bereich dieser Gefangenen, der haftunfähig ist“
Sie fordern ihe Zusammenlegung in ein oder zwei große Gruppen und sie wollen die „Freilassung der Gefangenen, deren Wiederherstellung nach Krankheit, Verletzung oder Folter durch Isolation unter Gefängnisbedingungen ausgeschlossen ist“.
Dafür sind Gefangene aus der RAF und anderen Teilen des militanten Widerstands heute vor genau fünf Wochen in ihren zehnten Hungerstreik während 18 Jahren Isolationshaft getreten.
Gefordert wird die Freilassung der Gefangenen Günter Sonnenberg, Claudia Wannersdorfer, Bernd Rössner und Angelika Goder. Trotz Krankheit unterliegen alle vier den Isolationshaftbedingungen, die bis hin zum UNO -Menschenrechtsausschuß geächtet sind als „weiße Folter“, als massiver Verstoß gegen die Menschenrechte. Von Maria Kniesburges
Seit Jahren wird die Freilassung der Haftunfähigen unter den politischen Gefangenen vehement von einer breiten Öffentlichkeit gefordert: Ungezählte Male appellierten die Angehörigen der politischen Gefangenen an die Verantwortlichen, gingen für ihr Anliegen auf die Straße oder ketteten sich aus Protest an öffentlichten Plätzen an. Ebenso beharrlich wie vergeblich wird die Freilassung der Haftunfähigen von humanitären und politischen Organisationen, Rechtsanwälten, Ärzten und zahlreichen Einzelpersonen gefordert.
Vor knapp zwei Wochen kam gar Unterstützung aus dem Sicherheitsapparat hinzu: Selbst eine Expertengruppe des Verfassungsschutzes sprach sich für eine Haftentlassung der drei kranken Gefangenen Günter Sonnenberg, Claudia Wannersdorfer und Bernd Rössner aus. Anders die Bundesanwaltschaft mit Sitz in Karlsruhe und Generalbundesanwalt Rebmann an der Spitze: Sie wich bislang nicht einen Zentimeter von ihrer Hardliner-Linie auch gegenüber den kranken politischen Gefangenen ab: Es gelten Isolationshaftbedingungen.
Ob die jahrelangen Proteste, ob die jüngsten Ratschläge aus dem Kreise der Verfassungsschutzexperten die Betonfraktion in der Rebmann-Behörde auch nur ankratzen konnten, bleibt bislang dahingestellt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt will die Bundesanwaltschaft den gesamten Komplex nicht zum Gegenstand öffentlicher Verlautbarungen machen“, so der Pressesprecher der Bundesanwaltschaft Alexander Prechtel zur taz. Und, so Prechtel weiter: „Der Kernpunkt ist doch der: Es gibt zur Zeit niemanden aus dem Bereich dieser Gefangenen, der haftunfähig ist. Das ist doch der Knackpunkt.“ Ein anderer „Knackpunkt“: Es obliegt der jeweiligen Haftanstalt, also dem Sicherheitsapparat, festzustellen, ob Haftunfähigkeit Gefangener vorliegt oder nicht, so die Anwälte der politischen Gefangenen unter Verweis auf das Strafvollzugsgesetz.
Die Situation der kranken Gefangenen, deren Haftverschonung die Justiz bis heute verweigert, liest sich so: Wegen eines Sprengstoffanschlags auf die Zweigstelle der „Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt“ in Stuttgart-Vaihingen am 20.Januar 1985 wurde Claudia Wannersdorfer zu acht Jahren Haft verurteilt.
Haftunfähig:
Claudia Wannersdorfer
Der Anschlag erfolgte während des neunten Hungerstreiks der politischen Gefangenen gegen die Isolationshaft. Claudia Wannersdorfer zog sich bei dem Anschlag schwere Verletzungen zu, Jonas Thimme wurde getötet. Seit ihrer Verhaftung unterliegt Claudia Wannersdorfer den Haftbedingungen, gegen die sie sich aufgelehnt hatte: Isolation, Postzensur, so regelmäßige wie unangekündigte Zellenrazzien, Anwaltsbesuche nur mit Trennscheibe, Besuche von Angehörigen und Freunden nur bei Überwachung durch Beamte von Staatsschutz und Vollzug.
Nach zweieinhalb Jahren Isolationshaft traten die ersten Anzeichen einer Epilepsie- Erkrankung auf. Die Angehörigen: „Den ersten großen Anfall hatte sie am 16.Juli 1988. Sie wurde morgens beim Öffnen der Tür bewußtlos gefunden. Bei dem Sturz verletzte sie sich am Kopf und am Knie.“ Bereits zwei Monate darauf, im September 1988, erlitt sie zwei weitere epileptische Anfälle kurz aufeinander. Durch einen Sturz infolge der schlagartig einsetzenden Bewußtlosigkeit verletzte sie sich erneut am Kopf. Wegen der akuten Anfallgefahr und der damit einhergehenden Gefahr schwerer Sturzverletzungen forderten die Anwälte mindestens die sofortige Zusammenlegung Claudia Wannersdorfers in einer Haftzelle mit Brigitte Mohnhaupt, Gefangene aus der RAF, die ebenfalls in der Haftanstalt Aichach isoliert inhaftiert ist. Ohne Erfolg. Die Angehörigen wandten sich erneut an die Öffentlichkeit: „Bei jedem Anfall besteht die Gefahr, daß Claudia sich lebensgefährlich verletzt. (...) Für Claudia bedeutet die Zusammenlegung mit Brigitte Schutz, Sicherheit und Aufarbeitung der Krankheit. Deswegen fordern wir die sofortige Zusammenlegung von Claudia und Brigitte.“ Ebenfalls mit dem Verweis darauf, daß die Anfälle plötzlich auftreten und „die Patientin sie vorher nicht spürt“, riet der untersuchende Arzt, „darauf zu achten, daß sie nicht in Einzelhaft untergebracht wird“. Der Arzt weiter: „Bei der Anwesenheit einer anderen Person in der Haftzelle ist darauf zu achten, daß es sich hierbei um eine Person handelt, die emotional und geistig mit der Patientin kommunizieren kann, (...) da sonst zu befürchten ist, daß die Haftreaktion weiter eskaliert.“
Dennoch: Mit der Begründung, die „rechtsfeindliche Einstellung der zwei“ werde sich durch ihre Zusammenlegung weiter verfestigen, wurde der Antrag abschlägig beschieden. Wie aber soll eine Krankheit kuriert werden unter Haftbedingungen, die laut Diagnose gerade die Ursache der Krankheit sind? Und deshalb, so die Angehörigen „muß Claudia freigelassen werden.“ Die bayerische Justiz dagegen beharrt auf Haftfähigkeit. Ebenso wie die Bundesanwaltschaft, die wie stets, wenn es um die politischen Gefangenen geht letztlich zuständig ist.
Haftunfähig:
Günter Sonnenberg
So auch im Falle des in Baden-Württemberg inhaftierten Günter Sonnenberg, zu lebenslanger Haft verurteilter Gefangener aus der RAF. Durch einen Kopfschuß wurde er bei seiner Gefangennahme im Mai 1977 lebensgefährlich verletzt. Infolge der Verletzung verlor er elementare Grundkenntnisse und -fähigkeiten wie Lesen und Schreiben und große Teile des Erinnerungsvermögens. All das mußte er unter strikten Isolationshaftbedingungen zurückerwerben. Als weitere Folge der Schußverletzung blieb eine Epilepsie-Erkrankung zurück, so daß Günter Sonnenberg jahrelang ein anti-epileptisches Medikament einnehmen mußte. Ein Medikament, das zum einen abhängig macht und darüber hinaus „in erheblicher Weise die sinnliche Wahrnehmung und deren geistige und körperliche Umsetzung dämpft“, wie es sein Anwalt Gerd Klusmeyer beschreibt. Wegen dieser gravierenden Nebenwirkungen versuchte Günter Sonnenberg in den vergangenen Jahren wiederholt, das Medikament abzusetzen - zumal die Einnahme von medizinischer Seite nicht mehr für erforderlich befunden wurde. Da sich jedoch gerade in dieser Absetzphase die Gefahr erneuter epileptischer Anfälle erhöht, beantragte die Verteidigung schon 1987 eine Zusammenlegung Günter Sonnenbergs in eine Haftzelle mit Roland Mayer, ehemaliger Gefangener aus der RAF, der bis zu seiner Freilassung im Dezember 1988 ebenfalls in Bruchsal inhaftiert war. Das wurde abgelehnt. Begründung: „die Verfestigung der rechtsfeindlichen Einstellung“. Es blieb bei der strikten Einzelisolation, lediglich unterbrochen von einer Stunde Hofgang am Tag, während der die zwei Gefangenen zusammentreffen konnten. Nach der Haftentlassung Roland Mayers entfiel auch das. Erst auf öffentlichen Druck - die Angehörigen der politischen Gefangenen hatten unter der Forderung „Freilassung von Günter Sonnenberg“ das baden -württembergische Justizministerium für mehrere Stunden besetzt - erfolgte eine Änderung: Zwei Monate nach der Freilassung Roland Mayers wurde Karl Grosser, zu neuneinhalb Jahren verurteilter Gefangener aus dem militanten Widerstand, vom Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim nach Bruchsal verlegt. Seither kommt Günter Sonnenberg zumindest wieder während des einstündigen Hofgangs mit einer Person seines Vertrauens zusammen.
So schwierig allein die Lösung aus der Abhängigkeit von dem Medikament ist, so aussichtslos bewerten die Angehörigen wie auch Günter Sonnenbergs langjähriger Anwalt die Heilung der Krankheit unter den bestehenden Haftbedingungen: Die Frage an das baden-württembergische Justizministerium, ob es Überlegungen in die Richtung gibt, Günter Sonnenberg mit Karl Grosser in eine Haftzelle zusammenzulegen, wird jedoch auch derzeit abschlägig beschieden: „Keine Überlegungen“, so Justizpressesprecher Dr.Schairer zur taz. Geschweige denn äußert man sich dort zu der Möglichkeit einer Haftverschonung: „Da ist zuallererst der Generalbundesanwalt gefragt“, verweist Dr.Schairer an die zuständige Instanz.
Bewachung
bis ins Krankenzimmer
Bis heute erfolglos verlaufen sind auch die jahrelangen zähen Auseinandersetzungen um eine erforderliche Hüftoperation der in West-Berlin inhaftierten Gefangenen Angelika Goder, als Mitglied der ehemaligen „Bewegung 2.Juni“ zu 15 Jahren Haftstrafe verurteilt. Elf Jahre, also mehr als zwei Drittel der Strafe, hat sie bereits hinter sich. Rund drei Jahre nach ihrer Verhaftung 1978 wurde bei einer ärztlichen Untersuchung Ende 1981 eine Arthrose beider Hüftgelenke sowie beginnende Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der Gelenke diagnostiziert. Trotz regelmäßiger Behandlung verschlimmerte sich das Hüftleiden stetig, so daß Mitte 1984 von den Ärzten eine Operation für notwendig befunden wurde. Die Verteidigung beantragte daraufhin die Durchführung der Operation in einem öffentlichen Krankenhaus. Doch erstmal tat sich nichts. Als es dann zwei Jahre später, im Sommer 1986, endlich so weit war und Angelika Goder unter massiven Sicherheitsvorkehrungen zur Operation in ein öffentliches Krankenhaus gebracht wurde, erlebte sie eine böse Überraschung. Nicht nur um das Krankenhaus und auf den Fluren um den Operationssaal herum war ein starkes Aufgebot von Sicherheitsbeamten postiert, sondern zusätzlich sogar im Krankenzimmer selbst. Diese Überwachung selbst am Krankenbett lehnte Angelika Goder ab, die Operation fand nicht statt. Doch die Justiz hielt an der Postierung von Vollzugsbeamten im Krankenzimmer fest.
Weitere zwei Jahre tat sich vorerst nichts, bis die Justiz der Gefangenen im Sommer 1988 die Operation in einem westdeutschen Haftanstaltskrankenhaus anbot. Dort würde eine Bewachung direkt im Krankenzimmer entfallen.
Verändert haben sich jedoch in der Zwischenzeit die Haftbedingungen Angelika Goders. War sie noch bis 1984/85 in einer Gruppe zu fünft im Hochsicherheitstrakt Moabit isoliert und später dann bis zum Frühjahr 1988 in einer Gruppe zu dritt, so ist sie seit der Haftentlassung Monika Berberichs vor einem Jahr mit der Gefangenen Gabriele Rollnik, ehemals „Bewegung 2.Juni“, zu zweit isoliert. Auf jeweils gesonderten Antrag wurde den beiden Frauen seit ihrer Verlegung aus dem Hochsicherheitstrakt Moabit in die Frauen-Vollzugsanstalt Berlin-Plötzensee im vergangenen Herbst lediglich ein stundenweises Zusammentreffen mit anderen Gefangenen erlaubt. Wie bereits mehrfach zuvor wurde diese Regelung seit Beginn des Hungerstreiks jedoch wieder rückgängig gemacht.
Mit der Begründung, daß unter den bestehenden Isolationshaftbedingungen die Rekonvaleszenz nach der Operation nicht möglich sei, lehnte Angelika Goder das Angebot für eine Operation in Westdeutschland ab. „Denn der Erfolg der Operation hängt ja nicht nur davon ab, wie sie selbst verläuft“, so Angelika Goder, „sondern es gibt eine Rekonvaleszenzphase von mehreren Monaten. Dafür brauch ich einfach eine Situation, in der ich mich ganz darauf konzentrieren kann. Wenn das nicht möglich ist, dann kann ich die Operation gleich sein lassen.“
Fataler Hintergrund: Ohne auch nur Zugeständnisse erbringen zu müssen, hätte die Justiz die derzeitige Zweierisolation durch Wiederherstellung der Situation von 1984 beenden können. Im vergangenen Frühjahr hatten Angelika Goder und Gabriele Rollnik ihre Zusammenlegung mit den drei Gefangenen aus der RAF Irmgard Möller, Christine Kuby und Hanna Krabbe im Hochsicherheitstrakt Lübeck beantragt. Auch sie warum schon einmal in einer Gruppe zu fünft. Weil befürchten sei, daß dadurch „die rechtsfeindliche Einstellung der betreffenden Gefangenen verfestigt“ werde, wurde der Antrag von der Berliner Justiz abgelehnt.
Der „Knackpunkt“ ist der mangelnde Gesinnungswandel. Und bis dieser nicht erzwungen ist, sind hierzulande die Gebote der Humanität selbst gegenüber kranken Gefangenen außer Kraft - zumal wenn die oberste Entscheidungsinstanz Generalbundesanwalt Rebmann heißt.
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