: B.A.T., da Ponte & Mozart
■ „Cosi fan tutte“ in London
Frieder Reininghaus
Die Schwanzflossen der Jumbos sehen im Nebel von Heathrow aus wie Haiflossen in trübem Gewässer. Aber die Maschinen spucken Businessmen, Urlauber und Kultouristen in aller Regel auch einigermaßen wohlbehalten wieder aus. Die Sicherheitskrise, für die Flugdichte, Materialermüdung und Bomben in der Luft sorgten, wird in Britannien jetzt bei der Bahn gesehen. Die folgenträchtigen Zusammenstöße bei London und Glasgow lösen jedoch kaum Fragen nach dem Hintergrund aus: dem Rationalisierungs- und Rentabilitätsdruck auf British Rail. Und so schaut man, während die Züge der Circle Line wieder einmal auf sich warten lassen, bang hinunter auf die U-Bahn-Schienen unterm Bahnhof Paddington: zentnerschwere Betonbrocken sind aus dem Unterbau gebrochen. Aber noch halten die Bolzen. Aufatmend kommt der Kritiker in Covent Garden wieder ans Licht, kämpft sich durch das Getümmel der umsatzfreudigen Gaukler und Trödler bis zu Margaret Skeet vor, der Aphrodite des Presse -Bureaus, um eines der hart umkämpften first-night-tickets aus ihren Händen zu empfangen wie den goldenen Apfel. Das Ticket ist immerhin 51 Pfund schwer.
Wie Raubfische mögen auch die vor zwei Jahren aus der Privatwirtschaft akquirierten Manager des Königlichen Opernhauses auf ihre Nachbarn wirken. Sie stellen sich nicht nur kämpferisch konservativ der Konkurrenz am Ort - der English National Opera (und deren moderaten Neuerungsbemühungen), sondern sie mischen auch im Umwandlungsprozeß des lädierten Stadtviertels zwischen Drury Lane und Strand mit. Gleich gegenüber ihrem Prachtbau an der Bow Street prangt eine haushohe Trompe-l'oeil-Malerei mit dem um zwei Erker gespannten Transparent: „Please help us stop the Royal Opera House...“. Der Hoch-Kultur-Betrieb unter dem Patronat von HRH The Prince of Wales, der sich durchaus in das thatcheristische Konzept der Stadterneuerung zugunsten der Zahlungskräftigen und Kreditausschöpfer fügt, möchte seine Verwaltungseinheit aus der theatralischen Idylle der Altbauten an der Floral Street in einem modernen Bürokomplex zusammenfassen und für dessen Errichtung die umliegenden Jugendstilhäuser niederwalzen. Cosi fan tutte in London.
Sogar die Wasserversorung soll jetzt privatisiert werden; die Regierungschefin rügt öffentlich einen Staatssekretär, der nicht offensiv genug vertreten habe, daß Qualität eben ihren Preis habe. Wie könnte da das Prestige-Unternehmen von Covent Garden abseits stehen? Gegeben wurde also, wie die Titelseite des Programmbuchs ausweist, Cosi fan tutte von „B.A.T. Industries“ (einem Einlegeblatt ist in Kleindruck zu entnehmen, daß die Musik von Wolfgang Amade Mozart stammt). Überhaupt ist, nach der streik- und pannengeschüttelten Spielzeit 87/88, im vergangenen Herbst eine gewisse Konsolidierung eingetreten. Die Rheingold -Produktion im September wurde sinnigerweise von „British Steel“ subventioniert - Wotans Walhalla kann kräftige Träger gebrauchen (das Stahl-Imperium aber wird, wie die Operngänger, einen Bruch in der Gesamtkonzeption des imperialen Gesamtkunstwerks hinnehmen müssen: nach dem Zerwürfnis des Chefdirigenten Bernard Haitink mit dem Regisseur Yuri Ljubimow soll nun Götz Friedrich die noch ausstehenden drei Teile des Wagnerschen Hauptwerkes nach dem Muster des Berliner Rings fertigstricken). Der Rigoletto, seit Dezember im Spielplan, hatte die „National Westminster Bank“ zum Sponsor: eine feinsinnige Geste, geht es doch unter anderem in dieser Verdi-Oper um die Finanzierung des Attentats auf ein gekröntes Haupt. Bei der luftigeren und leichtgewichtigeren Mozart-Oper war nun B.A.T. an der Reihe - groß geworden ist der Konzern mit Tabak, Papier, Einzelhandel, Versicherungs- und Finanzierungsgeschäften. B.A.T., da Ponte und Mozart mit dem Werk des Jahres 1789 die Treue der Frauen auf die Probe stellen: Die Inszenierung von Johannes Schaaf und Hans Schavernoch präsentierte zur ersten Szene ein prächtiges Bild, das so manches Briten-Herz höher schlagen ließ: ein Offizierskasino des späten 19.Jahrhunderts, in dem Guglielmo und Ferrando die Ehre und Beständigkeit ihrer Bräute verwetten. Ein Dutzend Ölbilder drängt sich über den Billiard-Tischen - lauter heroische Seeschlachten. Auch bei dieser Londoner Premiere waren die beiden mannesstolzen und selbstgewissen Offiziere Protagonisten des deutschen Stadttheaters: Hans Peter Blochwitz ist eine Frankfurter Entdeckung, und Andreas Schmidt kam in Berlin groß heraus (z.B. mit der Titelpartie in Wolfgang Rihms Oedipus). Schmidt gab mit Susanne Mentzner ein vorzügliches Pärchen ab, während Blochwitz u.a. auch am überstarken Vibrato von Margaret Marshall zu leiden hatte (an der Flatterhaftigkeit Dorabellas sowieso). Denn kaum sind Wilhelm und Ferdinand zum Schein - ins Feld gezogen, da kehren sie in den lichten Salon der Schwestern Fiordiligi und Dorabella zurück - als reiche Albaner verkleidet, liebestoll, aufreißerisch. Die neuen Herzensangelegenheiten der Damen entwicklen sich über Kreuz - ganz wie die Intrige des alternden Philosophen Alfonso es intendierte. Er hat schließlich eine hohe Wette zu gewinnen.
Schaaf und Schavernoch lassen alles in einem Raum mit schmalen hohen Fenstern spielen. Als die Wette abgeschlossen wird, verschwindet die Kasino-Einrichtung; der Saal erweist sich als der Salon der Schwestern. Er ersetzt das neapolitanische Bürgerzimmer, die Nebenräume und den Garten. Die Damen hüllen sich nach dem jähen Abgang ihrer Verlobten und angesichts der ungewissen Zukunft ganz in Schwarz, lösen sich dann wieder allmählich aus der Trauerkleidung durch die konzertierte Aktion der beiden „Albaner“, Alfonsons und der nicht minder lebenserfahrenen Hausangestellten Despina. Diesen Prozeß, den Mozart beinahe in „Echtzeit“ auf die Bühne brachte, hat Johannes Schaaf als Figuration der erotischen Gesellschaft einer vergangenen Zeit minutiös und mit diskretem Charme inszeniert: Mitunter treibt die Sache durch den Philosophen und Despina rascher voran, dann wieder wird sie durch die Skrupel der Fiordiligi verzögert. Die Fenster heben sich in die Höhe - ein dunkler Hintergrund und - durchaus symbolträchtig - dunkle Öffnungen.
Vor eineinhalb Jahren hatte Schaaf in Covent Garden Mozarts Figaro inszeniert, war durch ein Überangebot von Regie -Einfällen auf Ablehnung gestoßen. Cosi fan tutte erschien nun klassizistisch geläutert. Das Exotische der Karnevals-Albaner kam als prächtiger Sultans-Zauber daher eine Entführung aus der Entführung. Insgesamt hielt sich die Inszenierung recht brav an da Pontes Vorlage und legte sich mit der Problematik der Mozart-Oper nicht an: keine außergewöhnliche, gar gegenläufige Sichtweise eröffnete sich. Zu sehen ist bei Cosi fan tutte eine Produktion, die wie eine nostalgische Verlängerung der B.A.T.-Reklame wirkt, ihr zumindest nicht entgegentritt: „B.A.T. Industries - A Story of International Business Success in Four Acts Tobacco, Paper, Retailing, Financial Services“. Die Haie adeln sich mit den Schönheiten und spielen mit den erotischen Sehnsüchten vergangener Zeiten. So machen's alle
-wenn man sie gewähren läßt.
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