: Ziel: „Tempolimit für Technikeinführung“
Die Creme der bundesdeutschen TechnologiekritikerInnen gründete in Köln das „Institut für Informations- und Kommunikationsökologie“ Das Insitut will Gegengewicht zur Übermacht der staatlich umhegten Kommunikationsindustrie bilden / Voraussichtlicher Sitz in Dortmund ■ Aus Köln Gerd Rosenkranz
„Kommunikationsökologie? Ist das ernst gemeint?“ Mit ähnlich unqualifizierten Fragen werden sich die GründerInnen des „Instituts für Informations- und Kommunikationsökologie“, kurz Ikö, wohl noch eine Weile herumschlagen müssen, bevor das Ikö-Institut Politikern und Kommentatoren ähnlich locker über die Lippen kommt wie heute das Öko-Institut. Die Chancen dafür stehen jedoch nicht schlecht.
Nach über einjähriger Vorbereitung gelang am Wochenende in Köln die Gründung des Instituts, das unabhängig und hauptsächlich gestützt auf ehrenamtliche wissenschaftliche und politische Arbeit ein „Gegengewicht“ zum Vormarsch der Informations- und Kommunikationstechnologien schaffen will. Die Anleihe bei den Begrifflichkeiten der Umweltbewegung ist durchaus beabsichtigt, denn „auch bei den Informations- und Kommunikationsstrukturen handelt es sich um die Ausgestaltung von Lebensräumen, um komplexe Beziehungen, die durch technische Eingriffe beeinträchtigt werden können“. Es gehe um „ein Tempolimit für Datenverkehr und Technikeinführung“, schreiben die Initiatoren in der ersten Presseerklärung des Instituts.
Unter den Gründungsmitgliedern findet sich praktisch alles, was sich im vergangenen Jahrzehnt in den unterschiedlichsten Bereichen der Technologiekritik einen Namen gemacht hat. Den Geschäftsführenden Vorstand bilden die ÖTV-Gewerkschafterin und langjährige Personalrätin in der Dortmunder Stadtverwaltung, Heiderose Wagner, und der renommierte Medienkritiker und Informatik-Professor an der Uni Bremen, Herbert Kubicek (Mikropolis). Außerdem vertreten: Barbara Mettler-Meibom, Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin, neuerdings mit Lehrstuhl an der Gesamthochschule Essen, Eva Emenlauer-Blömers vom Berliner „Verein für Medienarbeit“, Monika Oels, die ebenfalls in Berlin vier Jahre lang die Zeitschrift 'Chips und Kabel‘ mit herausgab. Auf der „Männerseite“ im Vorstand: Axel Becker, Vorsitzender der Rundfunk-, Fernseh-, Filmunion (RFFU) und demnächst voraussichtlich auch im Hauptvorstand der IG Medien, als Vertreter der Kirchen Paul Hell vom Leiterkreis der evangelischen Akademien, und schließlich der „Fundi“ unter den Medienkritikern, Claus Eurich (Die Megamaschine, Das verkabelte Leben). Finanzieren will sich das als „eingetragener Verein“ angelegte Institut vorwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
Als erster Gratulant und Unterstützer wünschte Robert Jungk viel Glück und forderte einen langen Atem. Und in der Tat, was sich das Institut unter den schönen Vokabeln „Interdisziplinarität“ und „Vernetzung“ vorgenommen hat, ist ein Kampf gegen die gewaltige Übermacht der staatlich umhegten Kommunikationsindustrie. Am Rande war denn auch Skepsis über die Wirkungen des Ikö-Instituts zu vernehmen. Es sei noch keine Vernetzung, wenn WissenschaftlerInnen der verschiedenen Bereiche wie Telematik, Medienstruktur, Datenschutz, Auswirkungen der neuen Technologien auf Arbeit und Betrieb oder den privaten Bereich nicht mehr wie bisher allein, sondern unter einem gemeinsamen Dach publizieren würden, meinte eine Frau aus dem gewerkschaftlichen Bereich. Einigkeit konnte auch nicht darüber hergestellt werden, ob es darum gehe, „die Weichen anders zu stellen“, oder, wie Eurich vorschlug, von technisch vermittelter Kommunikation befreite Gebiete zu schaffen.
Die kommunikationsökologische Vision bekam denn auch im Verlauf einer mehrstündigen Satzungsdiskussion erste Kratzer. Der von dem Bremer Juristen Jochen Rieß in Zusammenarbeit mit den HauptinitiatorInnen erarbeitete Satzungsentwurf zeichnete sich durch ein hohes Maß an Zentralismus aus und wurde im Verlauf der Debatte an verschiedenen Stellen in Richtung Dezentralität verändert. Der Konflikt entzündete sich an den Kompetenzen der Fachgruppen und der interdisziplinär ausgerichteten Projektgruppen. Ihnen wurde am Ende die Möglichkeit zugebilligt, mit eigenen Stellungnahmen lediglich „im Benehmen“ mit dem Vorstand an die Öffentlichkeit zu gehen. Außerdem setzte sich im Verlauf der Diskussionen eine Gruppe von Ikö-Interessenten - insbesondere aus Berlin - durch, die zusätzliche autonome Regionalgruppen gründen wollen. Dem war im Vorfeld der Gründungsversammlung ein Streit um den Sitz des Instituts vorausgegangen. Dabei hatten die Berliner eine Abfuhr erhalten. Sitz des Ikö wird nun voraussichtlich Dortmund sein. Nach der eher ätzenden Satzungsdebatte einigten sich die Ikö-Gründer am Ende immerhin auf die Wiederherstellung einer kommunikationsökologischen Atmosphäre - mittels Schampus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen