Von Korinthenkackern und anderen Niedergängen

■ Franz Xaver Kroetz dramatisiert Gontscharows „Oblomow“ und inszeniert das Stück am Münchner Prinzregententheater

Nur einmal bricht das Leben über Herrn O.herein. Die schwarzen Wandvorhänge auf der Bühne heben sich. Plötzlich tanzt die feine schwarzgewandete Petersburger Gesellschaft um sein Bett. Schuld daran ist die blasse Opernsängerin Olga. Sie bringt es beinahe, aber nur beinahe, fertig, daß Herr Oblomow (Wolfgang Reinbacher) überlegt, aus Liebe zu ihr seine Matratzengruft zu verlassen. Doch er wird bis zum Schluß in seinem schmuddeligen, verstaubten Zimmer bleiben. Und: Er überlebt dabei. Auch wenn seine Welt, die Klasse des russischen Landadels, untergeht, ein Vertreter dieser Spezies, der verarmte Dandy Wolkow (Gerd Anthoff), sogar auf seinem Leibstuhl stirbt und sein Diener Sachar längst abgehauen ist.

Seit einer Woche geht das nun schon mit der „Oblomowerei“ auf der Bühne des Münchner Prinzregententheaters. In Szene gesetzt hat sie der Dramatiker und „Kir Royal„-Spezialist F.X.Kroetz. Bereits vor 20 Jahren hat Kroetz an dem gleichnamigen Roman von Iwan Gontscharow gearbeitet. Bis zur Bühnenfassung kam es jedoch nicht. 1975 wagte er einen zweiten Versuch, doch dieses Manuskript verschwand. Anscheinend wird das ehemalige DKP-Mitglied bei Oblomow nicht gerade vom Glück verfolgt. „Ach hätte er den Oblomow doch ruhen lassen“, jammert der 'Münchner Merkur‘: Aus einem guten Roman sei durch Kroetz‘ Bearbeitung und Regie ein „lähmendes Bühnenstück“ geworden. Und auch in der 'Kultur -Welt‘ ist von „langatmigen Unschärfen“ die Rede. Für den 'Welt'-Kritiker hat sich Kroetz den Oblomow „seinen eigenen Befindlichkeiten angepaßt“. Er kann sich des „Gefühls nicht erwehren, daß Kroetz hier sehr sich selber meint“, und fragt hoffnungsvoll: „Frühe Zweifel eines lange entschlossenen Weltverbesserers?“ So ganz daneben liegen wird er damit wohl nicht. Gestand Kroetz doch der 'Münchner Abendzeitung‘, daß es momentan eines seiner größten Abenteuer ist, größer als eine Weltreise, seiner Tochter in die Augen zu sehen.

Nachdem Kroetz seinen Rückzug ins Private freilich genügend vermarktet hat - Zigtausende kassierte er für das erste Foto des Babys, und den Vertrag schloß er bereits, als seine junge Frau schwanger war - hat er mit seinem Helden eigentlich wenig gemeinsam. Eher schon ähnelt er einer anderen Figur im Stück, dem gerissenen, tüchtigen Geschäftsmann Stolz (Herbert Rohm), der es versteht, als Vertreter des Fortschritts mit deutscher Gründlichkeit aus allem Geld rauszuschlagen.

Aber auch in der 'Zeit‘ muß Kroetz Seitenhiebe einstecken. Glaubt man dem Kritiker, hat sich auf der Premiere des Stücks nur eine Dame gründlich amüsiert, die sonst auf der Leinwand oft „betrübt“ war, nämlich Maria Schell, seine Schwiegermutter. Als einzige Parallele zu Oblomow stellt der 'Zeit'-Kritiker Helmut Schödel bei Kroetz deshalb den „Familiensinn“ fest. Denn „ein gewisser Familiensinn hatte Oblomow immer entzückt“. Oblomow nämlich trauert in seinem Bett seiner Kindheit im Dorf Oblomowka nach, dem Dorf, das ihm gehört und in dem seine leibeigenen Bauern für ihn schuften sollen.

Nichtsdestotrotz: Der Stoff des Stücks ist reizvoll. Sich einfach allem entziehen, im Bett bleiben, von der Welt nur träumen, sich nicht einmischen und damit auch vermeintlich an nichts schuld sein, und wenn's sein muß, soll die Welt eben zu einem kommen. Aber die mit einer solchen Verweigerung verbundene Langeweile sollte nicht zu einem langweiligen Stück führen. Tatsächlich schleppt sich der erste Teil der Inszenierung etwas mühsam dahin. Zwar gibt es einige witzige Dialoge, wenn es immer wieder mal gegen die Deutschen und ihren Sauberkeitswahn geht. „Deutsche, wo sollen denn die Dreck hernehmen, so wie die leben“, schnauft Oblomows Diener Sachraw voller Verachtung. Der schlurfige alte Diener, der seinem „Väterchen“ O. immer untertänigst die Hand küßt und dabei längst nicht so abhängig ist von seinem Herrn, wird von Heini Göbel überzeugend gespielt. Nicht vergessen werden soll natürlich die respektlose „Korinthenkackerszene“ vor der Pause. Mitfühlend erkundigt sich Oblomow da nach dem Stuhlgang seines Besuchers Wolkow („Ach, es ist schrecklich, ich bin ein Korinthenkacker“) und schwärmt vom Wasserklo als Inbegriff des Fortschritts.

Ansonsten ist beim Zuschauen sehr oft und sehr schnell klar, wo's hingehen soll, wer welches Prinzip verkörpert. Widersprüche oder Brüche innerhalb der Figuren gibt es kaum. Um das Statische zu durchbrechen, setzt Regisseur Kroetz seine Balalaika-Life-Band ein. Sie bringt die Figuren immer wieder mal zum Tanzen, wirbelt ein bißchen durcheinander. Erst im zweiten Teil wird das Spiel dichter, nicht zuletzt durch die Liebesszenen mit Olga, auch wenn Olivia Grigolli als Olga eher farblos bleibt. Insgesamt sind drei Stunden „Oblomowerei“ auf den harten Stühlen des Prinze und seiner schlechten Akustik schon eine arge Prüfung und Kulturbuße. Ein paar Striche mehr hätten dem Stück sicher gut getan. Aber wie sagte doch Wolkow: „Dichtung muß Strafe sein.“

Luitgard Koch

Weitere Vorstellungen im März: Samstag, 18.3. und 25.3., jeweils 19.30 Uhr