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Wohin heute abend?

■ Avantgarde für die Großen in WHV, Phalluspop für die Kleinen in OHZ / Moe Tucker und Jesus Burning Liquor

Bei Gelegenheit befragt, wie es dazu kam, daß Maureen Tucker Mitglied von Velvet Underground wurde, antwortete Lou Reed: „Wir brauchten einen Verstärker und sie hatte zufällig einen, und außerdem ist sie eine total abgefahrene Schlagzeugerin.„ Moe Tucker, Sterling Morrison, John Cale und Lou Reed - später kam Nico hinzu -, , traten erstmals 1965 gemeinsam als Velvet Underground auf. Wenige Monate später trafen sie auf Andy Warhol, der gerade eine Rockband suchte und dem Quartett zu seinem ersten Plattenvertrag verhalf.

Velvet Underground entwickelte sich zu einer Avantgardeband und im weiteren Verlauf zu einer der einflußreichsten Kult-Bands der Rockmusik aufstieg. Musikalisch und textlich kompromißlos, aggressiv und bösartig, waren sie trotz kommerzieller Erfolglosigkeit stilbildend, beeinflußten David Bowie, Roxy Music und unzählige Punkbands.

Maßgeblich daran beteiligt war die 1945 in New Jersey geborene Autodidaktin Moe Tucker. 1965 galt es noch als unnatürlich, daß eine Frau Schlagzeug spielte, dazu wirkte ihre Experimentierfreude äußerst irritierend. Ihre erste Neuerung bestand darin, im Stehen zu spielen, außerdem fügte sie ihrem Schlagzeug Mülleimer bei, die sie vor Konzerten auf der Straße zusammenklaubte.

Nach der Auflösung von Velvet Underground - Anfang der 70er Jahre - wurde es ruhig um sie, bis sie 1982 ihr erstes Soloalbum „Playin‘ Possum“, auf dem sie alle Instrumente selbst spielte, veröffentlichte.

Als sie 1986 die Mini-LP „MoeJadKateBarry„aufnahm, wurde

sie von Half Japanese, die sie auch bei ihrer Tournee begleiten, unterstützt. Diese gehören zu jenen amerikanischen Bands, die sich durch extreme Produktivität, die Beteiligung an unzähligen „erfolglosen“ Projekten, Originalität und durch die permanente Revolte gegen den Berieselungskonsens kommerzieller Rundfunkstationen auszeichnen. Ihnen ist kein Musikstil heilig. Sie fühlen sich in der Bluegrass-Musik, im Rock'n'Roll ebenso heimisch wie im Blues, im Punk oder in schmissigen Polka-Rhythmen. Ihr Hang zu Chaos und Verrücktheit, ihre Respektlosigkeit gegenüber den Musikstilen machen sie zur idealen Ergänzung Moe Tuckers, die noch immer den typischen, ein wenig hypnotischen Velvet-Underground-Beat pflegt. Und es trifft immer noch zu, was Lou Reed vor einigen Jahren über sie sagte: „Sie ist so großartig, ich kann es gar nicht glauben.„

Wer jedoch glaubt, Moe Tucker sei zu alt, und man selbst zu jung, dem seien Jesus Burning Liquor im Kulturzentrum Osterholz empfohlen. 1987 in St. Pauli gegründet, entwickelte sich das Newcomerquartett während des letzten Jahres zu mehr als nur einem Live-Geheimtip.

„Steifen„, das Debutalbum - niemand sollte sich durch das grausig häßliche Cover vom Hören abschrecken lassen verdeutlicht die Tugenden der Band: melodiöse, fein arrangierte Stücke, rhythmisch hart, mit kraftvoller Gitarre und einem Saxophon. Jesus Burning Liquor liegen stilistisch im Koordinatensystem zwischen Gang Of Four, Talking Heads, Meat Puppets und den Cure. Bodo Rin

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