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Bayrische Fastenkost für Fußballfans

UEFA-Pokal: Bayern München nach glücklichem 2:0 gegen Heart of Midlothian aus Edinburgh (Hinspiel 0:1) im Halbfinale  ■  Aus München Werner Steigemann

Deutsche Lehrer trichterten Generationen von Schülern ein: Englisch ist die Weltsprache. Jetzt könnte man meinen, diese sei auch den Weltstädtern mit Herz, wie sich die Münchner so gerne bezeichnen, geläufig. Mitnichten. Für den europäischen Spitzenclub FC Bayern ist es vermutlich einfacher, einen der bulgarischen Sprache kundigen Übersetzer zur Pressekonferenz zu engagieren, als jemanden, der das schottische Englisch versteht. Freilich verzeiht man dies in einem Land, in dem selbst die deutsche Sprache als eine fremde angesehen wird.

Schwerwiegender scheint da schon die Tatsache, daß niemand der professionellen Fußballfachverständigen es für notwendig befand, wichtige Informationen über die Gäste aus Schottland zu ergründen. So leiteten sie den hübschen Namen „Heart of Midlothian“ von einem gleichnamigen Tanzclub ab. Leider war der vorher nur auf demselben Gelände etabliert, auf dem jetzt das älteste Fußballstadion der Insel steht. Das „Guinness-Book of Soccer“ sagt dagegen dem Bildungswilligen, der Name wurzele in einer Ballade von Sir Walter Scott und bezeichne das Gefängnis der Stadt Edinburgh und des Bezirks Midlothian.

Diese historische Unkenntnis wäre ja noch zu verstehen, hätten nicht die Fachleute den schottischen Fußballern zusätzlich jede Qualifikation in ihrem Sport abgesprochen. Von Rugbyspielern und Holzfällern war zu lesen, und der heilige Rasen des Tyne Castle-Stadions wurde zu einem Kartoffelacker erklärt, auf dem natürlich die technisch versierten Bayernspieler im Hinspiel klar benachteiligt waren. Entsprechend gekränkt zeigten sich die zahlreichen Fans aus Edinburgh und ersoffen ihren Ärger in den Münchner Bierhallen. Auf dem Weg von dort ins Stadion kauften sie allen übriggebliebenen Ramsch aus Oktoberfestzeiten oder glorreiche FC Bayern-Utensilien. Sie blieben aber - und das soll mit Nachdruck erwähnt sein - immer gesprächs- und trinkbereit.

Sie durften auch erhobenen Hauptes die bayrische Landeshauptstadt wieder in Richtung Heimat verlassen, denn ihre Elf war die besssere an diesem Europapokalabend. Trotz Niederlage und Ausscheidens aus dem Wettbewerb. Sich auf die Ursprünge des Fußballsports besinnend, rackerten und grätschten sie, schlugen den Ball einfach nach vorn, liefen hinterher und griffen den ballführenden Spieler sofort an. Allein, die Lederkugel ins Bayerngehäuse zu befördern war ihnen nicht vergönnt.

Jupp Heynckes hatte zwar diese taktischen Raffinessen der Hearts vorausgesehen, jedoch seine Spieler verstanden ihn wieder einmal nicht. Sage und schreibe zwei Torchancen erkickten sich die Bayern in den ersten 45 Minuten. Eine davon konnte Augenthaler zum Führungstreffer verwandeln. Dem gegenüber standen vier der Mannen aus Edinburgh. Eingefleischte Bayernfans hofften noch auf eine bessere zweite Hälfte und moserten erst - dem neuen Zeitgeist entsprechend -, als der „Flüchtling“ Nachtweih zum x-tenmal den Ball vetändelte: „Da merkt man, daß er das Arbeiten in der Ostzone gelernt hat“.

Wohlwissend um diese fatalen Vorurteile verteidigte Heynckes seinen Spieler ungefragt und, um seinen Mittelfeldspieler Armin Eck ebenfalls aus der Schußlinie zu nehmen, bemerkte er, daß jener „keine Bande zum Spiel fand“. Dem katholischen Gott sei dank - die Hearts repräsentieren die katholische Minderheit in Edinburgh - er beförderte den Eck in die Kabine. Damit konnte, und dies ist der einzige Grund des Sieges der Bayern neben deren sprichwörtlichem Glück, Ludwig Kögl ins zentrale Mittelfeld rücken.

Vorher dribbelte er auf der linken Außenseite, wie in Bayern üblich, recht isoliert umher. Endlich war da einer, der drei oder vier Gegner hinter sich ließ und damit einem anderen Lichtblick in der Münchner Elf, Stefan Reuter, den Raum schuf, den dieser für seine Flankenläufe benötigt. Daraus resultierte auch der zweite Treffer der Bayern. Vollenden durfte diesmal einer, der so Fußball spielt wie die Schotten und aus Norwegen kommt, Erland Johnsen.

Der Rest ist schnell erzählt. Die Schotten versuchten, den zum Weiterkommen nötigen Treffer zu erzielen, und die Bayern versuchten zu kontern. Leider blieb es bei den Versuchen. Alex MacDonald, Coach der Hearts, murmelte auf der Pressebefragung etwas von einem anständigen Kampf der Seinen und schwieg daraufhin. Jupp Heynckes deklinierte „typisch britisch“, was die Dolmetscherin endgültig aus der Fassung brachte. Eilends verließen nun alle die Fußballarena, die Schotten, um die bayrische Fastenspeise - Starkbier genannt

-genießen zu können, und die Bayern, um ihr Glück zu feiern.

MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler - Nachtweih, Johnsen, Pfügler - Flick, Reuter, Eck (56. Eckström), Kögl Wohlfarth, Wegmann

HEART: Smith - McLaren, McKinlay (78. Robertson), Levein, McPhearson - Berry, Mackray, Black, Bannon (70. Ferguson) Galloway, Colquaoun

TORE: 1:0 Augenthaler (17.), 2:0 Johnsen (68.)

ZUSCHAUER: 25.000

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