: Zustand von Dellwo verschlechtert
Nach 45 Tagen Hungerstreik schwere Bronchitis bei RAF-Gefangenem / Offener Brief der Angehörigen / Heute Demonstration in Hamburg / Postzensur in Stuttgart-Stammheim / Hungerstreikplakat beschlagnahmt ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) - Die „Angehörigen der politischen Gefangenen in der BRD und West-Berlin“ haben sich in einem offenen Brief in scharfer Form an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, die Justizminister des Bundes und der Länder sowie an die VertreterInnen der Parteien und des Parlamentes gewendet. Als Verantwortliche hätten sie alle „für die Gefangenen aus RAF und Widerstand Haftbedingungen verfügt, die in der ganzen Welt als Folter angeprangert sind“.
Auch mit den Medien gehen die Angehörigen in ihrem Schreiben hart ins Gericht: „Sie alle tragen das Folterprogramm mit, weil Staat und Regierung das von ihnen verlangen. Sie sorgen für Desinformation und Falschmeldungen. Oder sie schweigen ganz einfach.“ Von den Verantwortlichen habe bisher keiner einen Schritt auf die Gefangenen zu gemacht: „Sie spielen lieber mit dem Gedanken an Zwangsernährung und Komalösung, weil ihnen jeder andere Gedanke als der der Gewalt fremd ist.“ Der Brief wurde gestern, einen Tag vor der heutigen Großdemonstration in Hamburg zur Unterstützung der Hungerstreikforderungen, bekannt. Die über 50 Initiativen, die zu der Demonstration aufrufen, erwarten bis zu 5.000 Teilnehmer.
Karl-Heinz Dellwo, seit 45 Tagen im Hungerstreik, ist nach den Angaben seines Rechtsanwaltes Rainer Koch an einer schweren Bronchitis erkrankt. Der Anwalt, der gestern nachmittag mit Dellwo im Hochsicherheitstrakt in Celle telefonierte, erklärte der taz, der Zustand seines Mandanten sei ernst, Fortsetzung auf Seite 2
aber noch nicht lebensbedrohlich. Dellwo wurde gestern von einem Anstaltsarzt untersucht. Der anfängliche Verdacht auf eine Lungenentzündung bestätigte sich nicht. Der Sprecher im niedersächsischen Jusizministerium, Hartmut Möllring, teilte mit, Dellwo sei gestern später als üblich aufgestanden und habe aus eigenem Entschluß am Hofgang nicht teilgenommen.
Der fünfte Strafsenat des Oberlandesgerichtes in Stuttgart hat unterdessen die Post der grünen Landtagsabgeordneten Rose Glaser in Baden-Württemberg zensiert. Mit Beschluß vom 13.März verbot der
Vorsitzende Richter Schmid die Aushändigung einer Presseerklärung des Kreisverbandes der Freiburger Grünen an die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder Eva Haule, Erik Prauss und Andrea Sievering. Die Grünen -Erklärung vom 27.Februar enthalte „polemische Wertungen der Haftbedingungen terroristischer Straftäter, die mit dem Anliegen, 'starre Fronten zu bewegen‘, nicht zu vereinbaren sind“. Die Begriffe: „Systematische Zerstörung von Menschen durch Isolationshaft“ und „Terror“ der Haftbedingungen wären geeignet, die Gefangenen „zum Durchhalten in dem vollzugswidrigen Hungerstreik zu ermutigen“.
In Recklinghausen haben gestern Beamte des Staatsschutzes in einem Buchladen ein Plakat zum Hungerstreik beschlagnahmt. Auf dem Plakat hatte es geheißen: „Reißt die Mauern ein, auch die eigenen. Laßt die Leute rauß. Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand.“ Gegen die MitarbeiterInnen des Buchladens wird ein 129a-Verfahren eigeleitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen