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„Deutscher Herbst“ - wie gehabt

Debatte über eine Grünen-Anfrage zum „Deutschen Herbst“ im Bundestag: Seit 1977 hat sich nur die Tonart gemäßigt / SPD will sich bestenfalls zu einer „Überprüfung“ des Paragraphen 129a herablassen  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Das Thema war verfehlt: „Offene Fragen und politische Lehren aus dem Deutschen Herbst“ - so lautete eine Anfrage der Grünen, die gestern mit Verspätung im Bundestag debattiert wurde. Doch eine große Koalition aus SPD, CDU/CSU und FDP hatte weder Bedarf an Fragen noch an Lehren. Anders gesagt: Es waren die Antworten von 1977, die im Bundestag 1989 wiedergegeben wurden, wenn auch in verhaltener Tonart.

Die SPD habe sich „objektiv nichts zuschulden kommen lassen“, meinte ihr Abgeordneter Nöbel. „Der Gefahr einer maßlosen Reaktion wurde erfolgreich widerstanden“, so lautete ein Antrag der Sozialdemokraten. „Richtig und unverzichtbar“ sei es gewesen, „daß die Rechtsordnung unseres Staates den damaligen Bedürfnissen angepaßt“ wurde. „Original-Ton Krisenstab 1977“, nannte dies die grüne Abgeordnete Antje Vollmer. Ihre Fraktion forderte die Aufhebung des Kontaktsperregesetzes, des Paragraphen 129 a und der im Zuge der „Antiterrorgesetze“ beschlossenen Einschränkungen von Verteidigerrechten.

Die SPD, die laut Nöbel damals „ihre ganze Kraft“ gebraucht hat, um die von der Union gewollten weitergehenden Verschärfungen abzuwehren, ließ sich nur dazu herab, eine „Überprüfung“ des Paragraphen 129a vorzuschlagen.

Hirschs weiter Weg

Burkhard Hirsch, liberales Aushängeschild der FDP und damals Innenminister in Nordrhein-Westfalen, sprach dem Krisenstab -Chef Helmut Schmidt nachträglich seine „Hochachtung“ aus, sprach von „quälender Verantwortung“ und wehrte sich gegen die Bezeichnung „Deutscher Herbst“: „Das war kein deutscher Herbst, das war kalter Mord.“ Selbstkritische Töne zur Vergangenheit waren für Burkhard Hirsch tabu, dennoch wollte er zeigen, daß „ich einen weiten Weg zurückgelegt habe“, und plädierte für die Notwendigkeit der Liberalität im allgemeinen: Die Sicherheit des Staates beruhe nicht in erster Linie auf Machtmitteln, sondern auf der Integration „auch derjenigen, die sich abwenden“ - „die Briefe der Brüder von Braunmühl waren letztlich an uns alle gerichtet.“

Zwar wird der Hungerstreik der RAF erst heute im Bundestag debattiert, doch Johannes Gerster als Redner der Union wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, an diesem Beispiel seine Lehre aus 1977 zu ziehen: „Der Staat darf sich auch heute nicht erpressen lassen.“ An die Hungerstreikenden appellierte Gerster: „Lernen Sie die demokratischen Regeln, damit die Demokratie Sie auffangen kann.“ Je weniger die Gefangenen auf „öffentlichkeitswirksamen Verhandlungen“ bestünden, um so mehr könne ihnen „geholfen“ werden.

Duwes Lehre: Enthaltung

Antje Vollmer hatte zu Beginn ihr Anliegen als „verzweifelten Versuch“ bezeichnet, „zwischen den Polen ein Feld zu besetzen, das Kriegführen unmöglich macht“. Dieses „Bemühen um Nachdenklichkeit“ müsse man doch „akzeptieren“, meinte der SPD-Abgeordnete Freimut Duwe, Speerspitze sozialdemokratischer Nachdenklichkeit: In einer persönlichen Erklärung am Ende der Debatte begründete Duwe, der 1977 „engagierter Journalist“ war, warum er sich bei den Anträgen der SPD und der Grünen - enthielt.

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