„Ich weiß ja inzwischen, wie schwierig alles ist“

■ Auf ihm lastet der größte Erwartungsdruck, sagt der neue SPD-Bausenator Wolfgang Nagel / Sorgen machen ihm in erster Linie die SPD-Beamten in der Verwaltung und die rot-grünen Bündnisse in den Bezirken / Städtische Wohnungsbaugesellschaften sollen „mietsenkend wirken“

taz: Was war denn Ihre erste Amtshandlung?

Nagel: Ich habe die beiden Staatssekretäre Herrn von der Lancken und Herrn Strauch entlassen. Das war hier in meinem Dienstzimmer, kurz und schmerzlos mit den üblichen Dankesworten. Ich habe dann später etwas forsch in der Abteilungsleiterbegrüßungsrunde gesagt, ich hätte zum ersten Mal in meinem Leben zwei Leute entlassen.

Ein guter Start für einen SPD-Senatoren...

Ja, ich habe gesagt, es fiel mir gar nicht so schwer, wie ich angenommen hatte. Aber das hätte in diesem Falle etwas mit Politik zu tun. Sonst ist das ja nicht so die Gangart von Sozialdemokraten.

Sie treffen jetzt ja sicher viele Parteifreunde in Ihrer Verwaltung.

Es hat Leute gegeben, die haben mir Organisationspläne geschickt, in denen sie die Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter gekennzeichnet haben; sogar noch mit Hinweisen, wie aktiv sie jeweils waren. Diese Pläne habe ich gleich in den Papierkorb befördert.

Das waren Pläne, in denen Ihre Parteifreunde gleich für sich einen besseren Posten vorgesehen hatten?

Solche Pläne haben natürlich immer einen Hintergrund, das ist ja nicht nur rein informativ, sondern durchaus immer eine Sache, um sich in Erinnerung zu bringen. Das ist vielleicht auch subjektiv verständlich. Aber ich finde das etwas peinlich. Ja, die zweite Amtshandlung war, den neuen Staatssekretär zu besuchen.

Herr Görler kommt aus der Verwaltung...

Der ist hier Leiter der Abteilung konstruktiver Ingenieurbau. Diese Benennung kommt sowohl draußen wie hier drinnen eigentlich ganz gut an. Das ist ein sehr solider, integrer Mann mit wahnsinnig viel Erfahrung. Und da ich mit Verwaltung eigentlich nur als Parlamentarier Umgang hatte, ist das ganz nützlich, wenn man da jemanden hat. Übrigens ist er jemand, der erst nach dem Regierungswechsel 1981 in die SPD eintrat. Das ist sozusagen ein zusätzliches Qualitätsmerkmal.

Ist es ansonsten nicht eher dadurch einfacher für Sie, daß viele SPD-Mitglieder in der Verwaltung arbeiten?

Das ist eher kompliziert, weil natürlich gerade beim Umgang mit diesen Mitarbeitern sehr viel kritischer darauf geguckt wird, ob die Entscheidungen, die man trifft im Personalbereich oder im Sachbereich, sachlich begründet sind. „SPD-Filz“ ist ja nun ein bekanntes Stichwort, und anzuknüpfen an den 15. Januar 1981, den Sturz des letzten SPD-Senats, dazu habe ich keine Lust.

Aber von einer stärker CDU-geprägten Verwaltung ist doch eher Obstruktion zu erwarten als von einer SPD -Verwaltung.

Davon gehe ich erstmal nicht aus. Ich halte das hier für einen leistungsfähigen Apparat, der politisch immer geführt werden will, eine sehr große Verwaltung, die natürlich auch Spuren in der Stadt hinterläßt. Um so notwendiger ist das natürlich, auch politisch neue Signale zu setzen. Ich habe gar keinen Zweifel daran, daß die da loyal mitarbeiten.

Die Senatsbauverwaltung ist aber auch als nicht ganz einfach bekannt.

Einfach ist gar nichts in Großbetrieben, weil natürlich der Weg von der Spitze bis runter da ist. Auch die Motivation erfolgt ja nicht so unmittelbar, sondern immer über drei, vier Zwischenstufen. Und das politische Wollen und auch die politische Motivation, die Zielbeschreibung, die geht dann wie bei „stiller Post“. Es kommt häufig nicht das an, was man eigentlich gemeint hat. Schlimm sind dann Gerüchte. Große Apparaturen haben ja immer die Neigung, daß alles, was in der Gerüchtezone auftaucht, eine unheimliche Dynamik kriegt. Aber „Ich habe gehört, daß...“ gilt für mich nicht.

Sie haben ja schon bevor Sie gewählt wurden zwei Übergabegespräche geführt mit Herrn Wittwer, Ihrem Vorgänger. Was hat Herr Wittwer Ihnen erzählt?

Herr Wittwer hat mich bei sehr zentralen Bauprojekte über den Verfahrensstand informiert. Er hat mich auch ein bißchen informiert über die Fehler, die man hier machen kann, wenn man frisch ist. Darüber möchte ich heute aber nichts sagen. Er hatte offensichtlich einige gemacht. Aber mit Wittwer, muß ich sagen, hat das sehr, sehr gut geklappt. Er hatte mich eingeladen, ich hatte mich ihm nicht aufgedrängt. Und der hat das sehr fair gemacht. Wir haben auch vorhin eine sehr ordentliche Amtsübergabe gemacht mit gegenseitigen, ordentlichen Reden.

Was haben Sie Ihren Abteilungs- und Referatsleitern erzählt, als Sie Ihre einführenden Worte sprachen?

Ich habe eine kleine politische Rede gehalten. Ich habe gesagt, wer vor sechs Wochen angenommen hätte, daß ich heute hier stehe und zu ihnen spreche, der hätte gesagt: Das ist doch reichlich illusionär. Aber nun hat Berlin einen neuen rot-grünen Senat. Das, was immer als das rot-grüne Chaos beschworen wurde, das hat sich als sehr stabil erwiesen, als sehr stabiles Chaos zumindest, und man könne wohl davon ausgehen, daß das längere Zeit hält. Ich habe aber auch gesagt, daß ich mich verantwortlich fühle für das, was im Haus passiert. Nach außen werde ich mich vor die Mitarbeiter stellen, auch mal vor falsche Entscheidungen, aber nach innen bin ich natürlich streitbar. Ich habe als Parlamentarier immer vermieden, auf die Verwaltung zu schimpfen. Es muß schon derjenige zuständig sein, der sich hat an die Spitze wählen lassen.

Sie sagen selbst, Sie hätten keine Verwaltungserfahrung. Bisher waren Sie nur der Verpackungskünstler, jetzt müssen Sie für den Inhalt sorgen.

Ja, ich liebe Überschriften, politische Überschriften. Man muß manchmal kurze Begrifflichkeiten schaffen. Die sind mit meinem Namen dann auch immer gut zu verbinden: Nagelprobe, Baupolitik nagelneu...

Vernagelt...

Ja, vernagelt ist dann das Gegenteil. Verwaltungserfahrung habe ich nicht, das ist ganz klar. Aber das kann ich mir aneignen. Ich habe im übrigen auch nicht vor, meinen Job von meinem Schreibtisch aus zu verrichten, sondern ich will in die Stadt rein, immer vor Ort gucken, reden. Das haben wir uns ja auch im Koalitionspapier geschworen.

Wen werden Sie als ersten besuchen?

Das ist noch nicht entschieden. Ich mache erstmal einen Rundgang im Hause. Dann gehe ich in die Bezirke. Ich werde mit den Bezirksbürgermeistern, insbesondere mit den Baustadträten, aber auch mit den Mehrheitsfraktionsvorsitzenden reden und sagen: Leute, Wohnungspolitik ist keine Sache, die aus der Württembergischen Straße (Dienstsitz der Baubehörde) allein erfolgreich betrieben werden kann.

Haben Sie keine Angst, zu den CDU-Baustadträten der Außenbezirke zu gehen, denen Sie jetzt die Bezirke zubauen werden?

Nee, Angst habe ich nicht. Von Zubauen kann nicht die Rede sein, das ist ja leichter gesagt als getan. Bei den CDU -Leuten habe ich vielleicht sogar weniger Sorge - die sind ja in bestimmten Bereichen etwas weniger sensibel - als vor den eigenen rot-grünen Bündnissen in den Bezirken. Aber auch die haben natürlich, wenn auch nicht persönlich, das Koalitionspapier mitunterschrieben. Ich habe keine Lust, nach zwei Jahren erfolgloser Bausenator zu sein, mindestens in dem Punkt „Erfüllung der Wohnungsbauprogramme“.

Sind Sie nicht der Senator, auf dem der größte Erwartungsdruck lastet?

So ist das. Wulf Eichstätt hat ja in Ihrer Zeitung einen hervorragenden Artikel geschrieben...

Herr Eichstätt sagte ja, daß Sie Ihr Ziel eigentlich gar nicht erreichen können.

All die Planer und Architekten, die auf der einen Seite sagen, der Wohnungsmangel ist so groß, daß eigentlich 28.000 Wohnungen sowieso nicht reichen, die dann auch gleich schildern, welche Schwierigkeiten schon allein dabei auftauchen, die haben ja eine Lösung in der Regel nicht anzubieten. Ich treffe immer wieder auf Leute, die mir sagen, wie schwierig das alles sei; das weiß ich ja nun inzwischen. Aber ein paar phantasievolle Lösungsansätze können ja auch von alternativen Planern erwartet werden.

Aber gibt es denn überhaupt Lösungen für das Problem der Zielkonflikte, die Sie selbst eingebaut haben in Ihre Koalitionsvereinbarungen? Einerseits wollen Sie Wohnungen bauen, andererseits die privaten Bauträger weniger berücksichtigen und außerdem die Bezirke stärken, Bebauungspläne zur Voraussetzung machen. Das sind doch gravierende Zielkonflikte, die Sie sich selbst ins Nest gelegt haben.

„Selbst ins Nest gelegt“ ist eine falsche Formulierung. Die Zielkonflikte sind ja faktisch da. Natürlich haben wir gesagt, in welche Richtung das gehen soll, weniger Private oder weniger Abschreiber, und alles, was Sie da eben genannt haben und was die Restriktionen noch erhöht, so ist das ja wohl richtig. Aber das deutet ja nur die Zielrichtung an. Ich habe ja nicht gesagt, das machen wir nun alles morgen, sondern das machen wir im Laufe dieser Legislaturperiode. Wenn ich von heute auf morgen entscheide, die Privaten nun gar nicht mehr, dann kann ich gleich wieder abtreten, weil dann natürlich jarnüscht mehr gebaut wird. Und die Koalitionsvereinbarung heißt ja nicht, daß wir sie in der nächsten Woche erfüllen und abheften, sondern die heißt, daß wir das im Laufe dieser Legislaturperiode vorhaben. Und jeder kundige Thebaner weiß, das manches sogar noch darüber hinaus andauern wird.

Was ist denn, wenn sich in zwei Jahren die Wohnungsnot weiter verschärft hat, weil weiterhin Zuzug kommt; was ist, wenn in zwei Jahren die Mieten weiter steigen, weil weiterhin die mietrechtliche Regelung gilt, die der alte Senat mitdurchgesetzt hat? Was macht denn dann ein Bausenator Nagel?

Das entscheiden wir dann, wenn es soweit ist. Ich würde auch die Dinge mal voneinander trennen. Die Erfüllung der Wohnungsbauprogramme ist das eine Thema, das zweite Thema ist, die Mieten in den Griff zu kriegen. Bei den Mieten haben wir schon etliche Steuerungsinstrumente, weil das Land Berlin, wenn ich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften da einbeziehe, doch über zahlreiche Einflußmöglichkeiten verfügt.

Welche?

Allein die Tatsache, daß wir über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften beispielsweise im Altbaubereich mietsenkend wirken können. Indem wir zum Beispiel sagen, wie auch im Koalitionspapier festgehalten: vorübergehender Mietenstopp. Das wirkt sich ja insgesamt auf den Wohnungsmarkt aus. Das geht auch bei den landeseigenen Wohnungen, soweit wir sie noch haben. Ich will, daß die städtischen Gesellschaften sich nicht stärker verselbständigen, sondern wirklich mehr als Instrumente zur Verfügung stehen, als „Organe der staatlichen Wohnungspolitik“, wie das so schön in deren Titel steht.

Sie werden aber nicht mit der Gegenliebe dieser Gesellschaften rechnen können, wenn Sie ihnen sagen: Ihr müßt weniger einnehmen, womöglich Verluste machen.

Man wird ja mal ausknautschen können, welche Auswirkungen das tatsächlich hat. Die Spielräume sind angeblich sowieso für Mieterhöhungen nicht mehr so groß, das muß man sich mal angucken. Und was heißt hier „Gegenliebe“? Daß irgend jemand hier in der Württembergischen Straße Entscheidungen treffen könnte, der nun überall auf Gegenliebe stößt, das ist ja nicht der Fall. Und ich nehme mal an, daß der Momper ohne jede Irritation bei mir als Bausenator immer geblieben ist, den Grund hatte, daß er glaubte, ich sei durchsetzungsfähig genug.

Was wird denn das erste Thema sein, mit dem Sie sich nun als Senator beschäftigen werden?

Das erste Thema läuft ja schon. Das ist das besetzte Haus in der Nostitzstraße. Ansonsten werde ich nachher mal eine Auflistung der aktuellen Entscheidungen machen.

Was machen Sie denn im Fall Nostitzstraße?

Auf jeden Fall eine friedliche Lösung.

Interview: hmt