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BERLIN HAT GEWÄHLT

■ Rot-grüne Perspektiven für die Telefonpolitik

Am Donnerstag abend, gleich nachdem die Wahl des neuen Senats unter Dach und Fach war, kam auch schon der Mann mit dem Marderpinsel und gab dem trotz einer dicken, schwarzen Staubschicht auch nach acht Jahren immer noch roten Telefon nach Ost-Berlin die neue aparte Streifenfärbung, über die tags zuvor die Berliner sich bei einer Telefonaktion der Abendschau - wie schon vor kurzem in Sachen S-Bahn-Kulör - durchaus noch skeptisch geäußert hatten. Dennoch bestand die AL auf diese „natürlich nur symbolische Aktion“ (AL -Kultursprecherin Weißler). Schließlich müsse sowohl in der Medien- als auch in der Verkehrspolitik, im Umweltbereich und in der Frage neuer Lebens- und Kommunikationsformen endlich „etwas geschehen“ (Dirk Schneider). „Und“, so fragt Frau Weißler weiter, „wo kulminieren schließlich all diese Fragen eindrucksvoller als im Telefon? Im übrigen weise ich darauf hin, daß der Fernsprecher neben dem Aussichtsturm eines der ältesten Medien ist.“ Deshalb hatte man sich auch im für die Identität der AL so entscheidenden und dennoch hochsensiblen telefonpolitischen Bereich während der gesamten Koalitionsverhandlungen hart gezeigt.

So wird es in Zukunft contra-analog zu dem Modell bei der Bewag unterschiedliche Tarife für private und gewerbliche Nachrichtenstromverbraucher geben. Während die Gebühren für einen gewerblichen Telefonanschluß drastisch erhöht werden, sollen Rollstuhlfahrer ein kostenloses Solarautotelefon bekommen. Die Einrichtung von „grünen Umwelttelefonen“ in privaten Haushalten soll pro Jahr mit 6,8 Millionen Mark subventioniert werden, denn dort kostet ein Gespräch nur noch 5 Pfennige. Mit dieser Maßnahme soll einerseits der innerstädtische Individualverkehr eingedämmt werden, weil überflüssige Fahrten durch einen vorherigen Anruf vermieden werden können. Andererseits wird damit sowohl das für die Umwelt schädliche Wirtschaftswachstum gedrosselt als auch die Gefahr der Sumpfbildung vermindert. Dieter Kunzelmann zur taz: „Die machen ihre schweinischen Geschäfte und Mauscheleien doch alle immer am Telefon. Stellt euch doch mal irgend so einen Konzern ohne Telefon vor. Wir müssen da einfach noch viel phantasievoller werden!“

Die Forderung der AL nach genereller und sofortiger Abschaffung von Telefon-Einzelzellen wurde von der SPD zu einer schrittweisen und flächendeckenden Einführung der offenen Fernsprechmuschel ohne isolierende Trennscheibe bis 1995 herunterverhandelt. Dazu Runterhändler Pätzold: „Hier wird von der SPD quasi mehr als eine Tür für weitere Gespräche offengehalten.“ Trotz der momentanen Zugeständnisse zeigte sich auch sein Verhandlungspartner Christian Ströbele (AL) zuversichtlich: „Immerhin scheint bei der SPD in der Telefonzellenpolitik der Groschen gefallen zu sein.“ Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern herrschte indessen über das AL-Verfassungsschutz -Entsorgungsprogramm. Nachdem der Gewerkschaftsflügel der SPD nicht zuletzt aus arbeitsmarktpolitischen Überlegungen die Abschaffung des VS abgelehnt hatte, stimmte man schließlich einer Umstrukturierung des Tätigkeitsfeldes der „unheimlichen Behörde“ zu. Hierzu will die AL den Geltungsbereich eines zu verabschiedenden Landesmediengesetzes und insbesondere die darin festgelegten „Programmgrundsätze“ auch auf das Telefon ausdehnen. Die technische und personelle Ausstattung des ehemaligen Verfassungsschutzes soll dann über die Einhaltung der Vorschriften wachen: „Für in Berlin zugelassene Anbieter gelten folgende Anforderungen hinsichtlich Programm und Organisationsform: die Programme der privaten Anbieter müssen den Mindestanforderungen genügen. Sie dürfen nicht sexistisch, rassistisch, faschistisch, militaristisch sein. Information und Bildung gehören als unverzichtbare Programmbestandteile in diese Sender. Minderheiten müssen angemessen zu Wort kommen und Programmvielfalt muß, auch wenn dafür die Pressefreiheit gelegentlich zurückstehen muß, gewährleistet sein...“ Frauensenatorin Anne Klein: „Mit diesem Gesetz werden wir im Kampf gegen den Telefonsex einen beträchtlichen Schritt weiterkommen. Und darüber, daß Frauen durch Quotierung der Sprechzeiten am Telefon besser zu Wort kommen sollen freue ich mich ganz besonders.“

Große Empörung bei der AL löste indessen der Vorschlag der CDU aus, ab sofort Ausländern die Möglichkeit zu geben, mindestens einmal monatlich kostenlos ein Ferngespräch mit Angehörigen in der Heimat zu führen, um „gesundes Heimweh“ (Lummer) und „freiwilligen Rückkehrwillen“ (Andres) konstruktiv zu unterstützen. Hier werde systematisch mit den Emotionen der Leute Politik gemacht, wehrte sich eine Sprecherin der AL gegen diese „infame Schönhuberei“ und sprach den „Christen, die doch lieber mal die Pfingstbotschaft richtig lesen sollten“, jegliche telekommunikative Kompetenz ab.

RathausReporterinRiedle

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