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Die Spaltung überwinden

■ Das Kapitel über Frauen im neuen Entwurf des SPD-Grundsatzprogramms

Unter dem Titel Gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann formuliert die SPD:

Wir wollen eine Gesellschaft,

die nicht mehr gespalten ist in Menschen mit angeblich weiblichen und angeblich männlichen Denk- und Verhaltensweisen,

in der nicht mehr hochbewertete Erwerbsarbeit Männern zugeordnet, unterbewertete Haus- und Familienarbeit Frauen überlassen wird,

in der nicht mehr eine Hälfte der Menschen dazu erzogen wird, über die andere zu dominieren, die andere dazu, sich unterzuordnen.

Wir wollen Frauen und Männer,

die gleich, frei und solidarisch erzogen, nach eigener Wahl in allen Bereichen der Gesellschaft wirken,

denen nach Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit Zeit und Kraft bleibt für Bildung, Kunst, Sport oder gesellschaftliches Engagement.

Immer noch

ist unsere Kultur männlich geprägt,

ist das Verfassungsgebot der gesellschaftlichen Gleichheit von Mann und Frau nicht verwirklicht,

werden Frauen in Ausbildung und Beruf benachteiligt,

werden sie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, in Politik und Medien zurückgesetzt,

wird ihnen der private Bereich, Hausarbeit und Kindererziehung zugewiesen,

wird die Rolle, die Frauen in der Geschichte spielten, unterschlagen oder verfälscht,

werden Zeitabläufe und Organisationsformen von Erwerbsarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit durch männliche Bedürfnisse bestimmt,

wird ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mißachtet,

werden Frauen Opfer männlicher Gewalt.

Doch das Bewußtsein der Frauen ändert sich rasch. Schmerzhafter als die meisten Männer erfahren sie, daß beide, Frau und Mann, ständig einen Teil ihrer Wünsche, Möglichkeiten und Fähigkeiten unterdrücken. Frauen sehen sich vielfach gezwungen, gegen eine männlich bestimmte gesellschaftliche Wirklichkeit anzugehen und damit auch gegen Männer, die jene weiter aufrecht erhalten wollen. Auch bei Männern wächst die Einsicht, daß die angeblich männliche Unterordnung von Gefühl und Phantasie unter Rationalität und Durchsetzungskraft sie ärmer oder gar krank macht.

Unter der Spaltung zwischen männlicher und weiblicher Welt leiden beide, Frauen und Männer. Sie deformiert beide, entfremdet beide einander.

Diese Spaltung wollen wir überwinden. Wir fangen bei uns selbst an. Der rechtlichen Gleichstellung muß die gesellschaftliche folgen. Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden.

Deshalb müssen wir Arbeit neu bewerten und anders verteilen. Wer nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Haus-, Familien- und Eigenarbeit gerechter verteilen will, muß vorrangig die tägliche Arbeitszeit verkürzen. Wir erstreben als Regel den sechsstündigen Arbeitstag in der Fünftagewoche, damit Frauen und Männer Erwerbsarbeit, Haus und Familienarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit und kulturelle Teilhabe besser miteinander verbinden können.

Darüber hinaus sollen Eltern kleiner Kinder Anspruch auf Elternurlaub und auf zusätzliche Arbeitszeitverkürzung ohne soziale Nachteile haben.

Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz, ein Ende der Lohndiskriminierung, Förderpläne für Frauen im Beruf, Gleichstellung im Sozialversicherungsrecht durch eigenständige Ansprüche und Hilfen für die Wiedereingliederung in den Beruf. Mutterschutz, Ausfallzeiten für Elternurlaub und Krankenpflege müssen über einen Familienlastenausgleich finanziert werden, damit nicht Sonderlasten für Einzelbetriebe zum Arbeitsplatzrisiko für Frauen werden. Öffentliche Finanzhilfen und Aufträge müssen davon abhängig gemacht werden, daß Gleichstellung verwirklicht ist. (...)

Die Zukunft verlangt von uns allen, Frauen und Männern, vieles, was lange als weiblich galt: Wir müssen uns in andere einfühlen, auf sie eingehen, unerwartete Schwierigkeiten mit Phantasie meistern, vor allem aber partnerschaftlich mit anderen arbeiten.

Erziehung soll junge Menschen darauf vorbereiten. Sie muß helfen, die Spaltung in eine männliche und eine weibliche Welt zu überwinden und die starren Rollenmuster zu durchbrechen, die diese Spaltung immer neu verfestigen.

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