SPD mit einem Hauch von Feminismus

In ihrem neuen Grundsatzprogramm übernehmen die Sozialdemokraten in ihrem „Frauenkapitel“ feministische Analysen / Aber man frönt auch einem konservativen Familienidyll / Unbefriedigende Stellungnahmen zum Paragraphen 218 und zu sexueller Gewalt  ■  Von Ursel Sieber

Ja, mit den Frauen hat sich die SPD diesmal wirklich Mühe gegeben. In dem Entwurf für das neue Grundsatzprogramm wirkt das sogenannte „Frauenkapitel“ nicht mehr wie ein Fremdkörper innerhalb des Gesamtprogramms. Die größten Peinlichkeiten aus dem Jahre 1986, als noch unter Willy Brandt der Entwurf von Irsee erarbeitet wurde, sind getilgt: Die Frauenfrage wird nicht mehr mit der Diskriminierung von Minderheiten in einem Atemzug genannt. Die „Gleichstellung von Mann und Frau und der Schutz der Familie“ bildet nicht mehr eine gängige begriffliche Kombination.

Besonders bei der Definition von Arbeit ist zu spüren, daß das Umdenken der SPD in der Frauenfrage doch ein gutes Stück vorangekommen ist: Die SPD macht sich einen Arbeitsbegriff zu eigen, in dem sich manches wiederfindet, was von Feministinnen in den letzten 20 Jahren geschrieben und gesagt wurde. Auch das Frauenkapitel selbst spiegelt feministische Analysen wieder, zum Beispiel wenn die Perspektive formuliert wird: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden.“

Diese Sicht der Dinge hat sich jedoch nicht in allen Kapiteln niedergeschlagen. Die Formulierungen wirken bemüht, ohne tieferes Verständnis hingeschrieben. Brüche sind da, Frauenfreundliches blieb neben traditionell Patriarchalischem einfach stehen. Nach dem feministisch angehauchten Frauenteil folgt ein Kapitel, das einem sehr konservativen Familienbild frönt. Viele andere Fragen werden zwar betont geschlechtsneutral abgehandelt, und doch ist eben vieles auf den Mann hin gedacht und geschrieben: Man spricht vom Menschen, vergißt aber, daß es sich um Männer und Frauen handelt, mit unterschiedlichen Möglichkeiten, Freiheit etwa wahrzunehmen.

Trotzdem sind die SPD-Frauen „im großen und ganzen sehr zufrieden“, wie Inge Wettig-Danielmeier, Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“, sagt, und auf das „Frauenkapitel“ sind sie ganz besonders stolz.

„Der Frauenteil hat Abschied genommen von der sozialistischen Emanzipationstheorie“, freut sich Elisabeth Vogelheim, die als Frauensekretärin der IG Metall in der Programmkommission saß. Und positiv findet sie auch, daß es den Frauen in der Kommission gelang, ein eindeutiges Bekenntnis zur täglichen Arbeitszeitverkürzung und zum sechsstündigen Arbeitstag im Programm zu verankern. „Wenn es jemand ernst meint mit der Gleichstellung, ist das ganz wichtig“, sagt sie und fügt hinzu, daß das Programm auch bezüglich der Sonntagsarbeit „eine sehr rigide Absage“ formuliert. „Jeder Schritt in Richtung Abschaffung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung braucht diesen geregelten Rahmen.“

Vorsichtig läutet die SPD an dieser Stelle die Abkehr von der Hausfrauenehe ein. Dazu gehört, daß in der Regel ein integrierter Arbeitsbegriff verwendet wird: Die SPD bekennt mit diesem Programm, daß auch Kindererziehung und Hausputz gesellschaftlich notwendige Arbeit ist. Sie bekennt, daß Frauen benachteiligt sind, solange sie einseitig auf Familienarbeit festgelegt werden. Also soll Arbeit „neu bewertet und anders verteilt werden“. Mit dieser Aussage folgt das Programm allerdings nicht den Konservativen, die vorgeben, Gleichheit über die ideologische Aufwertung von Familienarbeit zu erreichen. Dem steht das Bekenntnis zum sechsstündigen Arbeitstag entgegen.

Inge Wettig-Danielmeier betont, daß die Lösung der Frauenfrage nun nicht mehr als „Abfallprodukt“ des Sozialismus verstanden werde. Das „Frauenkapitel“ stärkt sogar den Frauen ein bißchen den Rücken, die sich von der Partnerschaftsideologie abwenden. („Frauen sehen sich vielfach gezwungen, gegen eine männlich bestimmte Wirklichkeit anzugehen, und damit auch gegen Männer, die jene weiter aufrecht erhalten wollen.“) Doch die Wogen werden gleich wieder geglättet: „Unter der Spaltung zwischen männlicher und weiblicher Welt leiden beide, Frauen und Männer. Sie deformiert beide, entfremdet beide einander.“ In diesem allgemeinen Wehklagen geht wieder unter, was zuvor an spezifischer Frauenunterdrückung herausgearbeitet wurde. Und grotesk ist, daß schließlich von Männern und (!) Frauen gefordert wird, sich auf weibliche Eigenschaften zu besinnen: „Wir müssen uns in andere einfühlen, auf sie eingehen, unerwartete Schwierigkeiten mit Phantasie meistern, vor allem partnerschaftlich mit anderen arbeiten.“ Ansonsten hat es die SPD geschickt vermieden, in ihrer Gesellschaftsanalyse das Reizwort „Patriarchat“ zu verwenden. Die jungen Männer sollen so erzogen werden, daß sie über die eine Hälfte der Menschheit nicht mehr „dominieren“. Immerhin heißt es einmal sehr präzise, der demokratische Sozialimus müsse auch die „Herrschaft“ der Männer über die Frauen überwinden. Ansonsten schlägt das Patriarchat in Begriffen wie „diskriminiert“ oder „benachteiligt“ zu Buche.

Logisch, daß somit das für die SPD immer noch heikle Thema Gewalt gegen Frauen sehr unvermittelt auftaucht: „Frauen werden Opfer männlicher Gewalt“ - fast verschämt steht dieser kurze Satz im „Frauenkapitel“, am Ende einer Aufzählung von Benachteiligungen, die Frauen erfahren müssen. Dazu der Satz, daß ihr „Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mißachtet (wird)“ - so formuliert, daß sich von den eigenen Genossen keiner direkt angesprochen fühlen muß. Die Gewalt gegen Frauen in Ehe und Familie wird auch im „Frauenkapitel“ nicht thematisiert. Ein paar Seiten weiter, in dem Kapitel „Familien- und Lebensgemeinschaften“, wird sogar ein Familienbild voller Idylle gezeichnet. Elisabeth Vogelheim fühlt sich dabei „an das Familienbild der katholische Kirche erinnert“. Von Liebe und Zuneigung ist viel die Rede, über die (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht das Programm vornehm hinweg. „Ich hätte mir dieses Kapitel auch etwas nüchterner gewünscht“, meint Inge Wettig-Danielmeier.

Richtig unzufrieden sind viele SPD-Frauen mit der Passage zum §218. Einzig und allein im „Familienkapitel“ stehen ein paar Sätze, in denen sich viele nicht wiederfinden: „Wir wollen werdendes Leben schützen. Wir wollen Lebensverhältnisse schaffen, in denen Frauen sich nicht zum Schwangerschaftsabbruch genötigt fühlen. Dennoch wissen wir, daß wir nicht alle menschlichen Konflikte lösen können. Wir wollen helfen, nicht strafen.“ Die meisten vermissen das Bekenntnis zum Recht der Frau auf Selbstbestimmung.

Insgesamt ist an vielen kleinen Nuancen zu spüren, daß feministisch angehauchte Frauen den Genossen auf die Finger geschaut haben. Um vieles mußte offenbar hart gerungen werden, was man später als Selbstverständlichkeit überliest: Zum Beispiel ist aus der „Brüderlichkeit“ die „Geschwisterlichkeit“ geworden. Und daß Frauen benachteiligt sind, findet man an vielen Stellen im Programm. Die Genossen schrieben es auf, aber das bildete keinen Ansatz für die Analyse der Gesellschaft. Beispielsweise beim Geschichtsbild der SPD: Die Frauenbewegung wird jetzt erwähnt, ihre prägende Kraft wird jedoch nicht erkannt. Die Sozialdemokratie sieht ihre geistigen Wurzeln im Christentum, in der Aufklärung, in der Marxschen Gesellschaftslehre und in den Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Diese bleibt Motor der Geschichte und hat schon früh gute Taten für Frauen vollbracht: „Die Ideen der Frauenbefreiung sind bereits im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung aufgenommen und weiterentwickelt worden.“ Oder im Kapitel „Die Welt, in der wir leben“. Die Kehrseiten des Forschrittsmodells werden darin ausführlich beschrieben: Die Vergiftung von Wasser, Boden und Luft, das Waldsterben, die Zerstörung der Natur. Irgendwann kommt dann schon fast obligatorisch der Satz: „Noch immer leben wir in einer männlich dominierten Gesellschaft.“ Einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen versucht das Programm dabei nicht, beides bleibt - wie so häufig - einfach nebeneinander stehen.