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■ Von der Kraft der freien Improvisation: Das DDR-Trio Dix, Herchenbach & Hering / Die Bremer Sievert, Zepf & Schiemann

Und er lebt doch, der immer wieder totgesagte Free-Jazz. Das machten zuerst die DDR-Musiker Wolfram Dix am Schlagzeug, Bernd Herchenbach an E-Bass und Stimme sowie Manfred Hering, Saxophone klar. Der bekannte Freejazzer Hering ersetzte den ursprünglich angekündigten Pianisten Erwin Stache, der nach Auskunft der Veranstalter nicht ausreisen durfte. Überhaupt scheint es einiger Anstrengungen bedurft zu haben, die DDR -Formation nach Bremen zu bekommen. So bedankte sich B. Herchenbach nachdrücklich bei Ingo Ahmels, dem rührigen Kopf Da Capos, für dessen Einsatz zur Ermöglichung dieses Auftritts.

Dann ging es zur Sache. Das DDR-Trio entwickelte in zwei langen Stücken explorative Klanggeflechte. In an-und abschwellenden Linien, die auseinanderliefen, parallel auf verschiedenen Wegen suchten, zueinanderfanden, sich miteinander verflochten, um sich, wieder entwirrt, erneut auf die Suche zu begeben. Dabei waren Momente von explosiver Kraft und entfesselter Dynamik ebenso zu hören wie leise, verhaltene Töne.

Hering entlockt seinen (Tenor-, Alt-, Sopran-) Saxophonen kurze melodische Bögen, versetzt und zersetzt mit Überblasern, gepreßten Quietschlauten, gackernden Hühnerhofgeräuschen. Auf dem Altsax bläst er einen seltenen warmen Ton, meist in den unteren Registern. Er haucht, röhrt, schnattert, trötet expressive Fetzen, in einer gelassenen, zurückhaltenden Attitüde, die so gar nicht zu den Tönen zu passen scheint, die er in den Raum wirft. Der unscheinbar wirkende Wolfram Dix trommelte dazu kraftvoll relaxt differenzierte Figuren, manchmal kräftig draufhauend, dann leise mit dem Besen rührend, zeitweise Toms und Becken mit Sitzkissen und Plastikfolie bedeckend. Während Bernd Herchenbach, immer verschmitzt

grinsend, seinen E-Bass mit einem Metallstäbchen bearbeitete, kurze Funk-Signale anriß oder über Fußpedale elektronische Lautfetzen, wie Outer-Space-Geräusche anmutend, in das musikalische Geflecht einstreute und seine Stimme unverständliche, vieldeutige Sprach-und Tonschnipsel einwob. Aus dem nervösen Gewusel tauchte ein Marschrhythmus von Dix auf, verstärkte sich, wurde von Bass und Sax aufgenommen, schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Durchmarsch und endete - wie die meisten Märsche letztlich in explodierendem Chaos. Begeisterter Beifall.

Das Bremer Trio Michael Sievert, (Bariton-, Tenor-'Sopran-) Saxophone, Manfred Zepf an E-und Kontrabass und Reinhard Schiemann an den Drums entwickelte seine musikalischen Ideen zu Beginn in kürzeren, gebundeneren Stücken, die auch weniger offen waren. Aus verhaltenen Tönen erwuchsen kurze Spannungsbögen, die zu einem wiederum verhaltenem Ausklingen geführt wurden. Der Ansatz ist melodischer als der des DDR -Trios, mir schien er auch akademischer, ein wenig kälter. Schiemann arbeitete viel mit verzerrter Stimme, extraterrestrische Klagelaute, die sich mit den getrommelten Rhythmusfiguren bewegen. Dazu paßte die präparierte Motorradmütze Sieverts, die - mit zwei Schalltrichtern bestückt - ihn wie einen Außerirdischen aussehen ließ. Manfred Zepf steuerte auf Kontrabaß, gestrichen und gezupft, und E-Baß abwechslungsreiche und dichte Klänge bei.

Zum Schluß gab es dann noch einen gemeinsamen dritten Set, in dem ein chaotisches Klanggewitter durch den Raum fegte und vor allem Schiemann und Dix sich zu begeisternden Höhepunkten mit-und gegeneinander emportrommelten. Das Publikum verabschiedete die sechs Musiker mit begeistertem Applaus. Arnau