: Ein obszönes Stück
„Titel , Thesen, Temperamente“, am Sonntag um 21.55 Uhr im ARD ■ 1. Akt
Fing nett an, der Beitrag im renommierten Kulturmagazin. „Satanismus in der BRD“. Oder sprach man nicht sogar von „Satanischen Festen“? Junger Mann in Punkerkleidung mit elektronisch unkenntlich gemachtem Gesicht berichtet über nächtliche Riten satanischer Gruppen auf bundesdeutschen Friedhöfen. Unter Rauschgift gesetzte 14jährige Mädchen werden gepeitscht, gefoltert und kopfüber gekreuzigt und dann von den Führern der Sekte öffentlich genotzüchtigt, offensichtlich ohne ihr Einverständnis, man hört sie wimmern. Der Zeuge ist ein Aussteiger und begründete gegenüber einer nur mit dem Rücken sichtbaren Interviewerin, er habe im Laufe seiner Mitgliedschaft befürchtet, daß man sich nicht „bloß“ an Mädchen vergehe. 2. Akt
Die Hintergrundmusik wird dramatischer. Der Moderator warnt in getragenem Ton die Zuschauer, bitte abzuschalten, wenn sie auf bildliche Darstellungen von Sexualität und Gewalt empfindlich reagieren sollten. Er warnt eindringlich und mehrfach. Der nun schon ziemlich angemachte TV-Konsument erwartet die Realdokumentation folternder Satanisten; gerade ist er dabei, ein paar Gedanken über die Problematik von Dokumentation zu verschwenden - das alte Dilemma, soll der Kameramann den Opfern beistehen oder draufhalten? - aber weit gefehlt. Was ich zu sehen bekomme, ist ein vermutlich uralter Film aus den Sechzigern, der eine Blut-und Sex -Performance des österreichischen Aktionskünstlers Nitsch dokumentiert. Bekanntes Szenario: Dame wird entkleidet, umgekehrt auf ein Kreuz gespannt, an entscheidenden Stellen mit Tierblut übergossen, der Performer simuliert (oder auch nicht) eine Kopulation. Ganz in Rot getaucht, wendet sie sich zur Seite, ein aufgerichteter Phallus wird sichtbar, ob Dildo oder echt, bleibt der spekulativen Phantasie des Zuschauers überlassen. Schon deutlich irritiert, frage ich mich, was denn eine Enthüllungsreportage über reale Mißhandlung und sexuellen Mißbrauch von betäubten Opfern mit einem Kunsthappening zu tun haben könnte, an dem nur vorgewarnte und einverständig agierende freiwillige Individuen teilgenommen haben. 3. Akt
Aufklärung folgt auf dem Fuß. Aufgeführt wurde dieses Klitterungsspektakel, um mit starken Worten gegen eine anstehende Berufung des Aktionskünstlers Nitsch an das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt zu polemisieren. Ebenfalls in getragenem Ton hört man, daß „so einer“ Studenten unterrichten soll. Epilog
Man stelle sich die ganze Kombination in aller Nüchternheit vor: Nitsch wird unterstellt, seine als Happening inszenierten Enttabuisierungsexzesse seien inhaltlich, ideologisch, womöglich auch noch strafrechtlich den Gewaltorgien verblendeter Teufelsanbeter gleichzusetzen. Unter der Charaktermaske der Aufklärung und dazu noch der sittlichen Besorgnis wird hier billigste und durchsichtigste Volksverhetzung betrieben. Ein Künstler wird an den Pranger gestellt - als hätte dieselbe Redaktion sich nicht in den letzten Wochen über das Rushdie-Urteil erregt - und das alles, weil irgendein geistiger Obskurant in Frankfurt offenbar Berufungspolitik betreibt.
Was immer die sonst durchaus liberal profilierte TTT -Redaktion dazu bewogen haben mag, dieses Stück verleumderischen Journalismus zur Ausstrahlung freizugeben: Ob es die Konkurrenz zu den effektstärkeren Privatsendern gewesen ist oder das Enthüllungsbedürfnis gegenüber der Gefährlichkeit des Satanismus (wäre besser in einem aktuellen Magazin aufgehoben gewesen), oder irgendeine pampige MoralistIn Nitsch schon immer mal ans Bein pinkeln wollte: Die Ausstrahlung war verantwortungslos, grob ehrverletzend und von niedrigsten Motiven geleitet. Solche Dummheit darf nicht nur, sondern sie muß auch selbstzensiert werden von einer Anstalt elektronischer Öffentlichkeit, die die TV-Bühne auch als moralische Anstalt ernst nimmt.
Aber hiermit nimmt die Verwirrung der Begriffe noch kein Ende. Als die geschockte Glossistin beim Hessischen Rundfunk anrief, um sich vom leitenden Redakteur Auskunkft über die Ursachen des journalistischen Desasters geben zu lassen und eine Ehrenrettung für Hermann Nitsch zu verlangen (dessen künstlerische Ausdrucksformen ihr qua Geschlechtseigenschaft nicht sonderlich naheliegen), wollte sie die offensichtlich schon sehr schwer gebeutelte Sekretärin damit beruhigen, daß im Vormittagsprogramm dieser Beitrag aus der Sendung genommen sei, um das sittliche Empfinden von Hausfrauen und Kindern nicht zu verletzen. Sie habe schon Dutzende empörter Anrufe entgegengenommen, die sich in jeder Beziehung programmgemäß über Nitsch moralisch erregt hätten. Die Glossistin hatte ihre liebe Not, verständlich zu machen, daß nach ihrer Auffassung so viele erigierte Schwänze und Tierblut, wie der Bildschirm faßt, gesendet werden können, aber daß die verunglimpfende Gleichsetzung von organisierter Vergewaltigung und künstlerischer Aktion der eigentliche Skandal sei. Und daß nicht die Dokumentation von Nitschs Aktionen obszön sei, sondern ihre politische Ausschlachtung.
Gabriele Dietze
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