: Regierungszynismus für NS-Opfer
Erste Bilanz der Entschädigung bisher „vergessener“ Opfer des NS-Regimes / Nach neuen Richtlinien des letzten Jahres wurden von bereitgestellten 50 Millionen Mark für 1988 lediglich 1,6 Millionen ausgegeben ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
„Wir haben Hoffnungen geweckt, die besser nicht geweckt worden wären. Es ist nur noch zynisch, was den Opfern jetzt angeboten wird.“ Diese bittere Bilanz der Entschädigung bisher „vergessener“ Opfer des nationalsozialistischen Gewaltregimes zog gestern in Bonn Antje Vollmer. Es müßten die erst vor einem Jahr erlassenen Richtlinien für die sogenannte Härtefallregelung geändert werden, forderte die Fraktionssprecherin der Grünen und Vertreterin im Unterausschuß „Wiedergutmachung“.
VertreterInnen aller Bundestagsfraktionen äußerten sich in den letzten Wochen enttäuscht über die bisherige Praxis der Entschädigung und verlangen eine Neuregelung. Was die Politiker so entsetzt, ist in dem Bericht des Bundesfinanzministeriums über die bisherige Praxis der Entschädigung nach den neuen Richtlinien für Härtefälle nachzulesen: Danach waren 1.369 Anträge auf einmalige und 353 Anträge auf monatliche Zahlungen gestellt, aber nur 916 Anträge auf einmalige und sogar nur 9 Anträge auf monatliche Geldleistungen bewilligt worden. Dabei betrug die höchste der laufenden Beihilfen lediglich 650 Mark im Monat, die niedrigste knapp 23 Mark.
Obwohl die Regierung für 1988 50 Millionen Mark für jene Opfer des NS-Regimes bereitgestellt hatte, die bisher keine Wiedergutmachungszahlungen erhalten hatten, gab es von den zuständigen Behörden nur 5,9 Millionen Mark für die Betroffenen. Zieht man überdies in Betracht, daß ein großer Teil der Leistungen auch schon nach der alten Härtefallregelung von 1980 erfolgt ist, bleiben lediglich 1,6 Millionen Mark, die nach den neuen Richtlinien zusätzlich ausgeschüttet wurden.
Bürokratische hohe Hürden
Aber nicht nur diese Zahlen sprechen für sich. Die Bundesregierung ist keineswegs an einer „sehr schnellen“ und „völlig unbürokratischen“ Lösung des Problems Entschädigung, wie sie Abgeordnete aller Parteien immer wieder fordern, interessiert. Daß nur 1.369 Anträge gestellt wurden, begründet das Bundesfinanzministerium damit, daß es ja offensichtlich gar nicht mehr so viele Betroffene gebe wie erwartet. Dabei waren die bürokratischen Hürden so hoch angesetzt, daß nur noch wenige sie überwinden können: Zum Beispiel sind all diejenigen nicht mehr antragsberechtigt, die bereits früher einmal einen Antrag gestellt hatten, die im Ausland leben, deren Einkommensgrenze nicht niedrig genug ist, die ihre Verfolgung nicht vollständig nachweisen können, die zuviel gespart haben oder die nicht die äußerst anspruchsvollen ärztlichen Gutachten beibringen können.
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