piwik no script img

Drall und gesund

■ „Pelle der Eroberer“ von Bille August

Im Vorwort zu seinem Buch, der Vorlage des Films, schreibt Martin Anderson Nexös, in Pelle der Eroberer gehe es um einen Menschen, der nichts besitze außer seiner Neugierde.

Wie viele schwedische Einwanderer schiffen sich der alte Lasse Karlson und sein neunjähriger Sohn Pelle nach Dänemark ein, um dort ihr Glück zu machen. In einer Ecke des Dreimasters träumen die beiden vom Schnaps und davon, daß Kinder in Dänemark nicht arbeiten, sondern spielen dürfen. „Wir werden frei sein, viel Geld verdienen und eine Frau finden, die uns Kaffee ans Bett bringt.“ Der Alte tanzt mit dem Jungen im Arm über das Hafengelände: „Guten Tag, ich heiße Lasse Karlson, ich suche Arbeit.“ Man sieht den verbrauchten Körper des Mannes und weiß gleich, daß er von alldem nichts haben wird.

Die beiden kommen unter. Als Leibeigene arbeiten sie bei dem Großbauern Kongstrup, schlafen im Hühnerstall und müssen jeden Tag Heringe essen.

Die Heringe liegen auf rustikalen Tischen und sind saftig, so saftig wie die Frauen mit ihren saftigen Brüsten. Alles drall und gesund. Trotz Fronarbeit. Mit Weichzeichner wird alles besser. Hier ein wenig Nebeldunst, dort ein warmer Gelbstich, hier ein optimistischer Sonnenstrahl. Einfache, schöne Menschen, die so schön und so einfach sind, daß man sie einfach lieb haben muß.

Pelles Vater sagt, „wenn Du willst, kannst du die ganze Welt erobern“. Warum sollte Pelle das eigentlich noch wollen. Wieso ist ein neunjähriger Junge neugierig, wenn er nur arbeiten muß, von seinen Schulkameraden als Ausländer mißhandelt wird und sein treuherziger Vater zu schwach scheint, einen Mann, der seinen Sohn auszieht und quält, zu bestrafen, obwohl er es ihm versprochen hat? Als Pelle seinem besten Freund Geld schenkt, um ihn mit Brennesseln auspeitschen zu dürfen, schweift die Kamera gleich wieder ab, über die grünen Felder.

Der Film ist nicht gefühlvoll, sondern sentimental. Auch das faszinierende Spiel von Max von Sydow (Vater Lasse) kann das nicht verhindern. Wo der Seelenschmus derber wird, ironische Stilisierungen den klebrigen Kitsch durchbrechen, wird es endlich spannend. Welche Frau, die mit einem wüsten Ehebrecher liiert ist, hat sich noch nie gewünscht, das Werkzeug der Untat endlich abzuschneiden? Die Gattin des Großbauern Kongstrup macht's und massiert dem Erschlafften fortan die Hand.

Mit einem der Knechte, dem Rebell des Hofes will Pelle übers Wasser die große Welt erobern. Als der zornige Rebell bei einer Hofmeuterei den Verstand verliert, muß Pelle allein fliehen. Zum Abschied schenkt der Vater dem Sohn ein paar viel zu große Stiefel. Die Sonne geht unter. Der Film versinkt.

Pelle der Eroberer, von Bille August, mit Max von Sydow und Pelle Hvenegaard, Dänemark 1988, 150 Min.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen