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FLEISSIG GEÜBT IM STREIK

■ Studententheater in der Etage Glogauer Straße

Packen Sie sofort Ihr Zeugs und verschwinden Sie!“ Eine Spur von Panik schwingt in der aggressiven Stimme des Hauswarts, der die fassungslosen Schauspieler anbrüllt. Wie ein Deus ex Machina brach er aus dem Bühnenhintergrund. Das Publikum hält einen Moment irritiert die Luft an, immer mehr Schauspieler kommen aufgeregt und wütend herbei. Räumung bei einer Premiere? ... Was sich in der Etage schließlich als veristischer Publikumsschock erwies, war an diesem Tag in ganz anderen Dimensionen wieder Realität. Die studentische Theatergruppe ließ in dieser kurzen Szene die alltägliche Misere aufglimmen, die auch zum Streik der Studenten führte: Wohnungs- und Probenraumnot wird zum Indiz für die Beschränkung ihrer Entfaltung.

Im Streik haben sich Studierende der HdK, TFH und FU zu dieser Gruppe gefunden, die sich das Thema „Zusammensetzen Auseinandersetzen“ stellte. Die Sehnsucht nach Kommunikation und Versuche mit den eigenen Ausdrucksmöglichkeiten verbanden sie gleich mit dem Anspruch, die gängigen Grenzen des auf der Bühne Sagbaren zu erweitern.

Schon im Vorraum dokumentieren Fotogeschichten, Storyboards, Bühnenentwürfe, Kostümskizzen, Zeitungsausschnitte, thematische Notizen und die unausbleiblichen Aufforderungen an alle zum Mitbauen des Bühnenbilds etc. die Lust und Mühsal, aus dem divergierenden Wirrwarr vorbeidriftender und aufblitzender Ideen von 14 Mitspielern auszuwählen, festzuhalten und Umsetzungen zu finden. Verblüffende Bilder und ein bestechend raffinierter Umgang mit dem Raum entstanden. Kostproben aus dem guten Dutzend Szenen: Zwei wollen Menuett tanzen in barocken Kostüm-Ungeheuern aus steifem Papier. Jeder Schritt endet im Sturz - zueinander kommen sie bloß, wenn die ganze Pracht zerfetzt wird. Ein Gag vielleicht nur, aber doch einleuchtendes Bild für die Verhinderung einer Beziehung durch angenommene starre Rollen.

Einmal fallen vier Wände, und man blickt in ein aufgeschnittenes Wohnhaus, in vier nächtliche Kammern, deren einsame Bewohner ihren unauffälligen Gewohnheiten bis an den Rand des Wahnsinns frönen. Ein Typenkabinett, Madame Tussots Monstrositäten-Berlin 1989. Je mehr sie sich vor sich selber gruseln, desto lauter schwillt das unterdrückte Kichern der Zuschauer an.

Leicht angestrengte Versuche, philosophisch tief und poetisch knapp die katastrophale Lage der Welt zu resümieren und im Symbolismus der Gesten und Farben universelle Bedeutungen anzulegen, blieben nicht aus. Doch das Problem, nicht jeden Furz bedeutungsvoll zu überhöhen, kann oft erst überwinden, wer genügend Freiheit zum Experimentieren hat. Unter Druck schlägt der hohe inhaltliche Anspruch leicht ins Strapaziöse um. Am Ende zählte die Gruppe, die sich als nächstes ein Forschungssemester für Studierende wünscht, träumerisch auf, wovon ihr Theater noch erzählen könnte, und zwischen der „Milchstraße“ und den „roten Plastiktüten am Straßenrand“ ist ihnen nichts zu klein oder zu groß.

Katrin Bettina Müller

„Zusammensetzen Auseinandersetzen“ nur noch heute um 19 Uhr in der Glogauer Straße 2, Eintritt frei.

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