North-Prozeß belastet einen Entrückten

■ Der Mann für's Grobe in der ehemaligen Reagan-Administration beschuldigt den Ex-Präsidenten / Dokumente sollen die Schuld der Chefs beweisen / Obwohl durch den Kongreß verboten, autorisierte Reagan..

Washington (taz) - Es piept. Der Schlüsselbund. Nochmal durch den Metalldetektor. Es piept immer noch. Der Polizist im „US Court House“ in Washington fährt mit einem Detektor die Beine hoch, den Arm hinab, da pfeift es ganz laut. Die Armbanduhr, eines der stählernen Prä-Quarzmodelle, stellt sich als die Quelle des lästigen Piepsgeräusches heraus. Ich darf durch, und einige Minuten später, nachdem ein weiterer, uniformierter Türwächter sich vergewissert hat, daß noch Plätze auf den Pressebänken frei sind, sitze ich im wichtigsten Politprozeß, den die Vereinigten Staaten seit Watergate erlebt haben. Doch Zustände wie in Stammheim sind hier unvorstellbar, der Metalldetektor und eine flüchtige Taschenkontrolle stellen die gesamten Sicherheitsvorkehrungen dar. In einer Verhandlungspause bahnt sich der Angeklagte, Reagans ehemaliger Mitarbeiter Oliver North, mit drei Begleitern den Weg zur Toilette mitten durch die Zuschauer.

Nachdem die schwerwiegendsten Anklagepunkte gegen Reagans eifrigsten Sandinisten- und Terrorbekämpfer schon vor Beginn der Verhandlung fallengelassen worden waren und nach den wichtigsten Zeugenaussagen hat das Interesse am North-Prozeß vorübergehend nachgelassen. Nur etwa zwanzig meist jugendliche ZuschauerInnen warten draußen in der Halle auf freiwerdende Plätze, abgelegte Anoraks und zerfledderte Exemplare der 'Washington Post‘ dienen als Zeugnisse ihrer Geduld wie ihrer Langeweile. Dies wird sich rasch wieder ändern, da Norths Sekretärin, Fawn Hall, in den nächsten Tagen wieder im Zeugenstand Platz nehmen wird. Am Donnerstag nachmittag berichtete sie bereits, wie sie North im November 1986 half, wichtige Dokumente über dessen Aktivitäten durch den Reißwolf zu jagen.

Schlagzeilenträchtige News hat der Prozeß bisher nur wenige produziert; die meiste Zeit wird von der Anklage damit verbracht, der Jury Norths Aktivitäten in den Jahren 1985 und 1986 haarklein zu erläutern. Insgesamt 19 Geschworene sitzen im Gerichtssaal, zwölf von ihnen werden am Ende über Norths Schuld oder Unschuld zu entscheiden haben. Es dauerte einige Zeit, bis in der US-Hauptstadt genügend Männer und Frauen gefunden waren. Sie durften bisher keine Aufmerksamkeit auf Norths Hilfeleistungen für die Contras und auf seine Versuche verwendet haben, den im Libanon festgehaltenen US-Geiseln zur Freiheit zu verhelfen. Es war schwer, solche Leute zu finden, schließlich stand North monatelang in fetten Lettern auf den Titelseiten US -amerikanischer Zeitungen und flimmerte sein Gesicht eine ganze Woche über alle Fernsehsender.

Doch am Ende fand sich eine Jury, die in der Mehrheit aus afro-amerikanischen Frauen besteht. Nun werden sie von Staatsanwalt Keker durch die verworrenen Ereignisse geführt, erhalten Detail um Detail durch Zeugen oder anhand von Dokumenten erläutert.

Während Keker einen Schweizer Bankier befragt, der im Auftrag von Norths Partnern Richard Secord und Albert Hakim Millionensummen über den halben Globus transferierte, sitzt North still an seinem Platz, macht sich Notizen und bespricht sich mit seinem Anwalt, dem während der Kongreß -Untersuchung vor anderthalb Jahren bisweilen bissigen und aufbrausenden Brendan Sullivan. Wird er einmal persönlich vor den Richter gerufen, antwortet North, der die ordensgeschmückte Uniform eines Marineleutnants mit einem dunklen Anzug vertauscht hat, nur mit einem militärisch knappen: „Ja, Sir. Absolut, Sir!“

North, dem im schlimmsten Fall immerhin 60 Jahre Haft drohen, will in diesem Prozeß beweisen, daß seine Aktionen als Mitarbeiter von Reagans Nationalem Sicherheitsrat auf Anordnung seiner Vorgesetzten geschahen, daß die Schuld also weiter oben in der politischen Hierarchie, womöglich sogar im Oval Office von Ronald Reagan persönlich, zu plazieren sei.

Seine Verteidigung hat Dokumente vorlegen können, die dem Untersuchungsausschuß des Kongresses entgangen waren und die diese These belegen sollen. So präsentierte der Anwalt ein von Reagan im April 1985 abgezeichnetes Memorandum über einen geheimen Plan, Honduras 110 Mio. Dollar zusätzliche Hilfe zu gewähren, wenn die Regierung Cordovas den Contras weiter Unterstützung gewähre. Außerdem schrieb Reagan einen Brief an den honduranischen Präsidenten, in dem er ihm versicherte, daß die US-Regierung weiter hinter den Contras stehe - obwohl der Kongreß in jener Zeit jegliche Hilfe für die bewaffneten Antisandinisten untersagt hatte. Ähnliche Tauschhandel wurden im Laufe der Iran-Contra-Operationen auch mit anderen Staaten ausgemacht. So erhielt Guatemala US -Hilfe, nachdem es falsche Lieferzertifikate für eine Waffensendung ausgestellt hatte. Bisher ist nicht bekannt, ob derlei Abmachungen auch mit Ländern im Nahen Osten getroffen wurden.

Der Inhalt eines zweiten Dokuments fand ebenfalls Reagans Zustimmung, zumindest notierte der damalige stellvertretende Sicherheitsberater John Poindexter dies auf dem Deckblatt der Akte. In dem Dokument wurde eine „außergewöhnliche“ und „teure“ Geheimaktion vorgeschlagen, durch die die Contras mit speziellen Geschützen und den notwendigen Informationen versorgt werden sollten, um Munitionsschiffe der Sandinisten zu versenken. Das Dokument mit dem Datum 30.10.1985 stammte aus der Feder Norths. Falls diese neuen Einzelheiten während der Kongreß-Anhörungen im Sommer 1987 bekannt geworden wären, hätte mit einigem Recht die Forderung nach einem „Impeachment“, einer Anklage Reagans durch den Kongreß, erhoben werden können. Diese Ansicht vertreten Iran-Contra -Experten wie Scott Armstrong, Direktor des Washingtoner „National Security Archive“, das eine umfangreiche Chronologie der Affäre publiziert hat. Doch heute, nach Reagans Abtritt, wird der North-Prozeß von den US -amerikanischen Medien, aber auch von Reagans Kritikern im Kongreß, als eine Angelegenheit für Historiker betrachtet.

Stefan Schaaf