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Behütete „Calle de Bremen“

■ Ein Ostersonntag in Madrider Idylle / Weiße Rüschen und Priester gegen den Punk

Carajo“, ruft die Mutter der kleinen Tochter zu, die sich mit ihren weißen Rüschen im Sand zwischen parkenden Autos niederlassen will, „steh sofort auf, oder ich zieh Dir das Kleid wieder aus.“ Die Drohung wirkt, die Kleine träumt im Stehen vier knallrot geschminkten Teenies nach, die auf der anderen Straßenseite vorbeikichern. Es ist Sonntag, der Lärm, den die achtspurige Autobahn herüberbläst, unterstreicht die Großstadtidylle aus Familienklatsch, Vogelgezwitscher und Babygeschrei. Die Calle de Bremen (Bremer Straße) ist schmal. Die typischen fünfstöckigen Wohnblocks der 60er Jahre säumen dichtbeparkte Bürgersteige. Gleich um die Ecke, in den breiten Avenidas, die nach Brüssel und Bonn benannt sind, flanieren die Pärchen händchenhaltend in den lauen Frühlingsabend. Die Alten sitzen auf der Terrasse der Bar Brüssel, ein Straßenschild mit Brüssel-Bild auf bunten Kacheln betont die Bedeutung der Hauptstraße. In der Bremer Straße gibt es keinen Laden, keine Bar und noch nicht mal eine Bushaltestelle.

Aber die Kirche hat sich in Gestalt der Gemeinde San Bonifacio am Ende der Bremer Straße niedergelassen. Am Ostersonntag-Nachmittag schlendet der Priester zwischen kleinen Palmen und Agaven den Kreuzgang auf und ab. „Unsere Kirche ist jeden Sonntag voll, manchmal sogar dreimal“, freut er sich und hat für den Besucher aus Bremen auch noch Zeit für eine Privat-Messe. Die katholische Kirche ist der göttlichen Wahrheit am nächsten, versichert er dem protestantischen Deutschen wiederholt. Der Franquismus hat die katholische Kirche vor der roten Gefahr beschützt, klärt der Priester den ungläubigen Ausländer auf. Heute ist die christliche Moral vom Punk bedroht: „Hier gibt es so viele, die sagen ‘ Leck mich am Arsch, ich mach nur, was mir gefällt'“, empört sich der Priester.

Doch in der Bremer Straße ist weit und breit kein Punk zu sehen, wo sich doch sonst an jeder zweiten Hausfassade ihr Grafitti findet. Dafür klebt in der Bremer Straße an einem öffentlichen Plastik-Mülleimer (Haltet Madrid sauber“) ein kopierter Zettel: „Si al papa, PSOE no!“, Ja zum Papst, Nein zur sozialistischen Partei. Das saubere Gefühl, das die Bremer Straße verbreitet, läßt erst nahen im Metro-Schacht wieder nach. Dort findet sich auf einem Großplakat der Kaufhauskette „Corte Ingles“ auch wieder eine Punk-Parole: „Cadena del water ya!“, auf Deutsch müßte es heißen: „Es lebe die Klospülung!“ Gemeint ist damit allerdings nicht der Abort, sondern ein beliebtes freies Radio, das im März von der sozialistischen Regierung geschlossen wurde. In der Bremer Straße gibt es andere Sorgen. Um 100 Prozent sind in den letzten drei Jahren die Wohnungspreise in Madrid gestiegen. Das trifft vor allem die Jungen. Abschied von den Eltern, ein eigenes Leben in eigener Bude - bei 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und diesen Mieten ein unbezahlbarer Traum. Die Bremer Straße ist eine ruhige Gegend. Während auf der einen Seite der Priester Wacht hält, wird die Idylle in weißen Rüschen auf der anderen Seite von einem Grünstreifen vor dem Durchgangsverkehr behütet. Die Bremer Straße ist nämlich eine Sackgasse.

Dirk Asendorpf (Madrid)

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