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Hungerstreik: Die Zeit läuft ab

Die politisch Verantwortlichen müssen jetzt handeln  ■ K O M M E N T A R E

Der „Osterappell 1989“ prominenter Persönlichkeiten aus Kirche und öffentlichem Leben hat keine „Osterdebatte“ über die alarmierende Situation im Hungerstreik der RAF -Gefangenen ausgelöst. Der Aufruf verpuffte weitgehend auf den hinteren Seiten der überregionalen Presse. Die „Funkstille“, die sich die verantwortlichen Politiker selbst verordnet haben, dauert an. Damit ist die Hoffnung der Initiatoren des Appells vorerst fehlgeschlagen, den „österlichen Frieden“ zum Ausgangspunkt für eine Lösung ohne Tote zu machen.

Nach fast acht Wochen Hungerstreik macht es wenig Sinn, die vor allen anderen geforderten Justizminister erneut daran zu erinnern, daß Karl-Heinz Dellwo und Christa Eckes täglich in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten können. Das ist allen Beteiligten bekannt. Das allgemeine Schweigen ist kein Zufall, auch nicht - wie allenthalben glauben gemacht wird - nur Folge der Schwerfälligkeit des föderalistischen Systems. Vielmehr verdichtet sich mit jedem weiteren Tag der Verdacht, daß ein wie auch immer geartetes „Angebot“ erst dann unterbreitet werden soll, wenn den Gefangenen kaum noch Zeit bleibt, sich untereinander über Annahme oder Ablehnung zu verständigen. Schlimmer noch: Sollten Karl-Heinz Dellwo und Christa Eckes zu diesem Zeitpunkt bereits im Koma liegen, würden die anderen Gefangenen zwangsweise zu Herren über Leben und Tod. Perverses Kalkül des Staatsapparats oder nur vorhersehbares Ergebnis der behördlichen Unfähigkeit, sich auf eine einheitliche Linie zu einigen?

Die bisher gegen die Zusammenlegung vorgebrachten Argumente machen die Spielräume für Verhandlungen zusätzlich eng. Wer den „Rechtsstaat“ in Gefahr wähnt, wenn ein oder zwei Dutzend Gefangene in besonders gesicherten Gefängnissen zusammenkommen, kann zwei Wochen später nur schwer ein realistisches Angebot unterbreiten. Mit großem Pathos beschworen Politiker von CSU bis SPD zum Beispiel in der aktuellen Stunde des Bundestags die „Gleichheit vor dem Gesetz“. Der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen, einen „Sonderstatus für terroristische Gewalttäter“ dürfe es nicht geben. Auf ein Mal! Da sorgen sich dieselben Politiker um das Staatsganze, die in der Vergangenheit immer brav die Hand hoben, wenn es um Sondergesetze ging, um Sonderfahndung und Sonderdateien, Sondergerichtsverfahren, um Sonderhaftanstalten und Sonderhaftbedingungen. RAF-Gefangene sind keine „normalen“ Gefangenen. Jeder weiß das, und dennoch wird diese Fiktion immer dann hervorgeholt, wenn es den Verantwort lichen in den Kram paßt.

Die Zusammenlegung, lautet das andere zentrale Argument, sei geeignet, den Zusammenhalt der Gruppe zu stärken. Das kann sein. Die Erfahrungen in Italien, wo die Gefangenen der Roten Brigaden stets in großen Gruppen konzentriert wurden, sprechen dagegen. Dennoch: Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Gefangenen an ihren Zielen und schlimmstenfalls auch an gewalttätigen Mitteln festhalten. Hinter Gittern geht das nur verbal. Eine RAF im Knast kann es nicht geben. Der Staat wäre nicht bedroht. Sicher ist dagegen: Der Hungertod eines oder mehrerer Gefangener wird den Zusammenhalt der RAF festigen. Und zwar außerhalb der Mauern - mit allen Folgen.

Gerd Rosenkranz

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