: Hungerstreik mit tödlichem Ausgang
Bei dem Hungerstreik der IRA-Gefangenen im Frühjahr 1981 starben zehn Menschen / Das erste Todesopfer, Bobby Sands, wurde von 100.000 Menschen zu Grabe getragen / Die Hungerstreikenden hatten sich der Aktion nach und nach angeschlossen / Nach 217 Tagen wurde der Streik erfolglos abgebrochen ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Als der IRA-Gefangene Bobby Sands am 5.Mai 1981 nach 66tägigem Hungerstreik in einem Militärkrankenhaus in Belfast starb, war das Interesse der Weltöffentlichkeit am Krieg in Nordirland längst wieder erwacht. Der Hungerstreik
-der zweite innerhalb weniger Monate - stand am Ende einer jahrelangen erfolglosen Kampagne gegen die britische Kriminalisierungspolitik. Seit die britische Regierung am 1.März 1976 den politischen Status für die Gefangenen der IRA und INLA (Irische Nationale Befreiungsarmee) abgeschafft hatte, saßen die Gefangenen nur mit einer Decke bekleidet in ihren Zellen, weil sie die Gefängnisuniform ablehnten. 1978 wurden die Protestaktionen ausgeweitet. 350 Gefangene begannen einen „Waschstreik“. Sie wuschen und rasierten sich nicht mehr und weigerten sich, ihre Toilettenkübel auszuleeren. Statt dessen schmierten sie die Exkremente an die Wände und gossen den Urin unter den Zellentüren hindurch. Dieser Protest war durch die Gefängniswärter ausgelöst worden, die die Gefangenen auf dem Weg zur Latrine ständig schikanierten und die Kübel in den Zellen umstießen, so daß sich der Inhalt über die Matratzen und Decken - das einzige „Kleidungsstück“ der Gefangenen - ergoß.
Viele Gefangene standen im Herbst 1980 vor dem physischen und psychischen Zusammenbruch. Am 27.OKtober begannen sieben IRA-Gefangene einen Hungerstreik, den sie als letzte Möglichkeit sahen, die Zustände in den Gefängnissen zu verändern. Im November schlossen sich drei Frauen im Armagh -Gefängnis dem unbefristeten Hungerstreik an, und ab Dezember 1980 verweigerten 30 weitere Gefangene die Nahrungsaufnahme. Zu diesem Zeitpunkt hatten die ersten sieben Hungerstreikenden bereits ein kritisches Stadium erreicht. Einer von ihnen, der 27jährige Sean McKenna, war erblindet und dem Koma nahe. In dieser Situation zeigte sich das Nordirland-Ministerium scheinbar zum Einlenken bereit. Den Gefangenen wurde ein 34seitiges Papier vorgelegt, das einige Vorschläge zur Verbesserung der Situation in den Gefängnissen enthielt. Da einer von den sieben Männern, die den Hungerstreik begonnen hatten, in Lebensgefahr schwebte, mußten die anderen sechs nun entscheiden, ob sie ihn sterben lassen oder der britischen Konzessionsbereitschaft vertrauen sollten. Nach Beratungen mit dem Kommandanten der IRA -Gefangenen Bobby Sands brachen die Gefangenen am 18.Dezember den Hungerstreik ab.
Schon bald zeigte sich jedoch, daß die britische Regierung sie hintergangen hatte und keine Absicht bestand, die Kriminalisierungspolitik zu beenden. Deshalb entschlossen sich die Gefangenen zu einem zweiten Hungerstreik. Dieser Hungerstreik sollte am 1.März 1981 beginnen, dem fünften Jahrestag der Beendigung des politischen Status. Die Gefangenen hatten diesmal eine andere Taktik gewählt. Um den Druck auf die britische Regierung langsam zu steigern, trat zunächst nur Bobby Sands in den Hungerstreik. In bestimmten Zeitabständen sollten sich weitere Gefangene anschließen. Dadurch sollte eine Situation wie im Dezember vermieden werden, als mehrere Gefangene gleichzeitig vor dem Hungertod standen. Man ging davon aus, daß der gleichzeitige Tod von mehreren Hungerstreikenden keine größere Wirkung auf die britische Regierung haben würde als der Tod eines einzelnen. Die Unterstützung der Gefangenen im In- und Ausland war enorm. Bei einer Nachwahl für das britische Unterhaus wurde Bobby Sands am 40.Tag seines Hungerstreiks zum Westminster -Abgeordneten gewählt. Zwei weitere IRA-Gefangene, von denen sich einer im Hungerstreik befand, wurden in das Dubliner Parlament gewählt. Dennoch blieb die britische Premierministerin Thatcher unnachgiebig.
Bobby Sands‘ Beerdigung wurde zu einer massiven Demonstration der Solidarität mit den Hungerstreikenden. Über 100.000 Menschen begleiteten den Sarg von Bobby Sands‘ Elternhaus zum Friedhof in West-Belfast. Auf die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik übertragen, hieße das, daß über vier Millionen Menschen durch die Straßen Bonns marschiert wären! Die Unterstützung der Gefangenen reichte inzwischen weit in das bürgerlich-demokratische Spektrum hinein. In Teheran wurde sogar die Straße, in der die britische Botschaft lag, in „Bobby-Sands-Straße“ umbenannt. Doch die weltweiten Appelle und Demonstrationen machten nach wie vor keinen Eindruck auf Thatcher. Nachdem neun weitere Hungerstreikende gestorben waren, brachen die Gefangenen ihre Aktion nach 217 Tagen am 3.Oktober 1981 ab. Da Thatcher ihren Ruf als „eiserne Lady“ gewahrt hatte, zeigte sie sich nun konzessionsbereit. Die meisten Forderungen der Gefangenen wurden praktisch erfüllt. Lediglich in der Frage der Zwangsarbeit blieb London hart.
Der Hungerstreik hatte zehn Menschen das Leben gekostet. Wie kein anderes Ereignis seit Ausbruch des Konflikts hatte er die internationale Aufmerksamkeit auf Nordirland gelenkt. Die Unterstützung der IRA in den katholischen Ghettos war beträchtlich gewachsen. Darüber hinaus hatte Sinn Fein, der politische Flügel der IRA, zum ersten Mal bei Wahlen unter Beweis stellen können, daß die Partei eine ernstzunehmende politische Kraft geworden war.
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