: VOM GEMEINSCHAFTLICHEN GITARRENUNTERRICHT ...... IN DIE PHILHARMONIE
■ Ein Interview mit der neuen Kultursenatorin Anke Martiny über Erblasten, echte Linke und weiblichen Wandschmuck
taz: Frau Martiny, bundespolitisch waren Sie bisher hauptsächlich bei wirtschaftlichen Themen engagiert, etwa im Verbraucherschutz, in der Agrarpolitik, aber auch im Umweltschutz. Wie kommen Sie jetzt ausgerechnet zur Kultur?
Anke Martiny: Normalerweise wird mir immer die umgekehrte Frage gestellt, wie ich von der Geisteswissenschaft zur Wirtschaftspolitik komme. Ich bin promovierte Musikwissenschaftlerin mit den Nebenfächern Germanistik, Theaterwissenschaften und Soziologie. Aber im Bund ist ja die Kultur kaum ein Thema, einmal abgesehen von der Filmförderung. Da habe ich mich dann auch engagiert. Aber wenn man von Defiziten reden will, dann ist das größere Defizit, was wir Senatorinnen haben, nicht, daß wir vielleicht in unsern Fächern nicht so ausgewiesen sind, sondern vielmehr, daß wir den Umgang mit Verwaltung noch nicht gewohnt sind. Und das ist der Punkt, wo ich jetzt am meisten lernen muß.
Und Sie müssen die Stadt kennen lernen. Sie kommen ja aus Bayern.
Natürlich muß ich mir hier einen Überblick verschaffen. Ich habe zwar hier schon vor vier Jahren im Schattenkabinett von Hans Apel ein halbes Jahr Kulturpolitik gemacht und habe etwa die Premieren der letzten Jahre in den Feuilletons regelmäßig verfolgt, aber ich bin selten drin gewesen, von daher haben Sie natürlich recht. Ich glaube aber, gerade in der Kulturpolitik, wenn man ein politisch wacher Mensch ist, dann ist das in relativ kurzer Zeit zu lernen. Ich habe vorige Woche verschiedene Leute, die hier in der Museumswelt und den Galerien eine wichtige Rolle spielen, getroffen bei Freunden, die dort eingeladen hatten, damit ich sie alle möglichst rasch kennenlerne, und habe dem Leiter der Berlinischen Galerie sofort gesagt, ich brauche dringend einen Ersatz für dieses Bild hier in meinem Büro. Und natürlich möchte ich gerne eine weibliche Berliner Künstlerin da hängen haben, und ich hätte also an Elvira Bach oder Eva Maria Schön oder Monika Sieverding gedacht, und dann haben sie mir auch gleich gesagt, einige Sachen hätten sie, und dann hat der Herr Roters hinterher zu meiner Mitarbeiterin gesagt, also eine solche Kultursenatorin hatten wir noch nie, die eine genaue Vorstellung davon hat, welchen Künstler und was für Bilder sie sich an die Wände hängen will.
Sie kennen ja auch schon mindestens vier...
Ich lerne jetzt das Verwaltungsspinnennetz dieses Hauses gerade kennen und hab‘ ja nun auch schon einige Probleme, die schnell entschieden werden müssen. Das ist einmal eben das Geld für dieses Intendantenquartett, für die Staatlichen Schauspielbühnen, bestehend aus Alfred Kirchner, Alexander Lang, Volkmar Clauss und Vera Sturm, das schon angeheuert worden ist. Die Verträge sind zwar von Herrn Hassemer noch nicht unterschrieben worden, aber für die Zeit bis August nächsten Jahres - also allein für die Zeit, in der sie noch gar nicht hier sind - haben die Intendanten ein monatliches Entgelt ausgehandelt. Das sind insgesamt 1,2Mio. Mark, für die es im Haushalt noch keine Deckung gibt. Es muß sowieso jetzt ein Nachtragshaushalt gemacht werden, und ich muß, wenn ich dieses Geld bereitgestellt haben will, gut begründen, warum und wofür ich dieses Geld haben will. Ich bin da ganz offen, aber ich denke, irgendwie ist das nicht ordentlich gewirtschaftet vom alten Senat. Ich hab‘ Herrn Hassemer ja immer gelobt, aber an diesem Punkt muß ich ihn tadeln. Das ist eine Erblast, die mir hinterlassen wurde, wo ich auch nicht weiß, wie man damit anständig umgehen kann. Denn weder ist es möglich, daß ich nun die künstlerische Verantwortung für eine solche Entscheidung übernehme, denn ich kenne die vier noch nicht einmal und kann ihre Fähigkeiten nicht einschätzen. Noch ist es möglich, daß ich diese Entscheidung nicht akzeptiere. Gleichzeitig ist es eine merkwürdige Verhandlungstaktik von Herrn Hassemer, daß er sie engagiert, ohne zu wissen, ob das Geld bewilligt wird.
Wenige Tage vor der Amtsübergabe an Sie hat Ihr Vorgänger auch noch die Gründung einer Europäischen Filmakademie auf den Weg gebracht...
Das zweite aktuell drängende Problem ist die Ausgestaltung des Europäischen Filmpreises. Er soll im November zum zweiten Mal verliehen werden, diesmal in Paris. Die Vorarbeiten sind bisher so gelaufen, daß das Sekretariat hier in Berlin bleiben soll. Es war schon wieder großartig die Rede davon, daß da eine Akademie draus gemacht werden soll. Aber natürlich auch wieder separat von allem übrigen, was wir hier filmpolitisch haben. Das muß auch relativ schnell entschieden werden.
Am 1. und 2. April - im direkten Anschluß an die Oscar -Verleihung - kommen ja noch auf Einladung von Herrn Hassemer 15 Filmemacher und Produzenten nach Berlin mit samt dem spanischen Kulturminister Jorge Semprun um die Gründung einer Akademie zu diskutieren...
Ja, ich spendiere ihnen ein Abendessen. Aber was die Akademie und den Filmpreis betrifft: Hier müssen inhaltlich neue Akzente gesetzt werden, und zwar rasch. Ich bin nicht der Meinung, daß man immer gleich einen neuen Laden aufmachen muß, wenn man eine neue Fragestellung sieht, sondern man kann ja auch versuchen, das, was vorhanden ist, ein bißchen umzustrukturieren. Es gibt hier in Berlin viel Sachverstand, und es gibt nach wie vor auch eine ganze Menge Geld, das in die Filmwirtschaft geht. Es ist natürlich unbestreitbar, daß gerade beim Film diese Schlüsselstellung zwischen Ost und West ein Pfund ist, mit dem man wuchern soll. Ich denke, daß wir eine Berliner kulturelle Filmförderung aufziehen sollten und die bisher rein wirtschaftliche Filmförderung ein bißchen umstrukturieren oder anreichern sollten. Aber wie das im einzelnen laufen soll, ob das nur über die Konzeption des Filmhauses „Esplanade“ gehen soll oder ob man sich bestimmte Dinge im Rahmen der Filmfestspiele zunutzemacht, darüber weiß ich noch gar nichts.
Was machen Sie, wenn die Filmleute am 2. April kommen und wirklich eine Akademie gründen wollen?
Es macht wirklich keinen Sinn, daß diese Koalition antritt und auf der einen Seite die Akademie der Wissenschaften schließt und auf der anderen Seite eine Filmakademie aufmacht. Ich finde auch, daß man mit diesem Wort „Akademie“ ein bißchen behutsamer umgehen muß. Das hatte eine große Geltung, und die bestehenden Akademien der Wissenschaften und der Künste haben hohen Rang. Was man da jetzt aus dem Boden stampft, das ist immer vergleichsweise eine mickrige Veranstaltung.
Hassemer hat sein Projekt „Academy“ genannt...
...in Anlehnung an die Oscar-Vergeber. Aber ob man sich da nicht überhebt?! Gerade in Berlin nach diesen beiden Jubel und Festjahren muß man mit weiteren Ankündigungen sehr vorsichtig sein. Es läßt sich kulturelle Qualität nicht beliebig vermehren, schon gar nicht mit Hau-Ruck und Zack -Zack. Gerade Kultur braucht Zeit, braucht Erfahrung, sie muß wachsen. Und ich denke, daß das, was in Berlin schon ist, genügend Möglichkeiten schafft, daß nun Neues erwächst, aus der Spannung, die in der Stadt ohnehin steckt. Also: Spektakuläre Aktionen brauchen wir zur Zeit nicht.
Bei solchen Projekten, wie etwa der sogenannten „Academy“, die niemand sieht und von der niemand etwas hat, außer daß in der Zeitung stehen kann, daß soundsoviele Filmleute irgendwo in der Stadt sind, ging es ja nach dem Bekunden Hassemers gar nicht um einen direkten Nutzen oder um eine weithin sichtbare spektakuläre Aktion. Es ging eher um das Flair, um das, was Hassemer den „hohen atmosphärischen Nutzen“ nannte.
Natürlich setzte ich auch auf das „Atmosphärische“ von Berlin. Aber atmosphärisch könnte ja beispielsweise auch Seriosität heißen. Es muß ja nicht immer heiße Luftballons geben. Man könnte ja auch mit gediegenen Gegenständen handeln.
Dann wird es also auch den „Sommernachtstraum“ und das „Wintermärchen“, beides Veranstaltungen des Wirtschaftssenators, nicht mehr geben?
Ja, wobei ich eines allerdings auch ganz deutlich sagen möchte: Die Kultur ist für Berlin natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor. Nicht nur, daß es Zehntausende von Menschen sind, die in diesem Kultursektor beschäftigt sind die Kultur zieht natürlich auch zehntausende von Touristen und Kongreßbesuchern im Laufe eines Jahres hierher nach Berlin. Infolgedessen muß man auch unter wirtschaftlichem Aspekt mit diesem Pfunde wuchern. Ob man das nun mit solchen Eintagsfliegen wie einem großen Feuerwerk machen muß, da bin ich auch sehr skeptisch. Gerade an diese Punkte denke ich: das könnte man auch billiger haben, und es wäre wahrscheinlich genauso lustig. Aber daß man die Kultur rein vom Verkaufstechnischen her, vom Reise- und Tourismusgewerbe her als wichtigen Faktor auf der Haben-Seite verbucht, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich glaube schon, daß es gut ist, daß die Kultur auch in der Angebotspalette in den Tourismusbroschüren Berlins mitenthalten ist, denn die Kultur gehört da auch hin als ein Faktor unter vielen. Aber man muß jetzt für die Touristen auch nichts Besonderes veranstalten. Berlin ist in sich schon Qualität genug. Und man darf eben, die über zwei Millionen Menschen, die hier leben, nicht vergessen.
Ihre sozialdemokratischen Kollegen in Frankfurt, Köln oder Nürnberg setzen ja schon länger auch auf Repräsentation...
Die deutschen Großstädte, die ja auch alle Kongreß- und Messestädte sind, erkennen, daß es in diesem Zusammenhang auch auf Spitzenkultur ankommt. Und das heißt, sie brauchen wunderbare Museen, vorzügliche Orchester usw. Und es ist unbestreitbar, daß sich die Städte hier auch Konkurrenz machen. Aus diesem Konkurrenzdenken auszusteigen wird nicht möglich sein. Da würde man seiner Stadt schaden. Aber wir sozialdemokratischen Kulturpolitiker wollen auch ein bißchen gerechter messen, also nicht nur für die, die auf Firmenkosten hier ein spektakuläres Wochenende spendiert bekommen, Kultur veranstalten, sondern auch für die Menschen, die hier wohnen, wollen wir Dinge zu tun. Und da geht es eben nicht zu Spitzenpreisen. Da muß man eben auch ermöglichen, daß die eigenen Leute eben auch an Eintrittskarten kommen, und von dieser Kultur mitbedient werden. Und wir versuchen eben auch, Kultur nicht als Schaufensterdekoration zu sehen, sondern als das Eigentliche, als Substanz.
Welche Rolle sollte dabei das Sponsoring spielen?
Ich stehe dem Sponsoring nicht negativ gegenüber, weil ich finde, daß Leute, die Geld haben, nicht nur das SOS -Kinderdorf spenden dürfen, können, sollten, sondern dies auch für eine Ausstellung, ein Konzert tun sollten. Ich sehe das Sponsoring auch als ein Korrektiv zu der in Deutschland oft zu einseitig festgelegten Subventionsmentalität, die immer auf den Staat blickt. Natürlich heißt es - Kultur für alle: der Staat hat dafür zu sorgen, daß es keine Schranken des Zutrittes zur Kultur gibt. Aber darüber hinaus können die Menschen auch vieles selber machen. Und das kann sich eine Verwaltung auch zunutzemachen und Gelder einwerben. Aber man muß sich auch darüber klar sein, daß immer aus eigennützigen Erwägungen gesponsert wird. Deshalb bleibt für den Staat noch genug zu tun.
Kultur spielt ja nicht nur in der Tourismusförderung eine entscheidende Rolle, sondern auch in der Wirtschaft ganz allgemein. Sie ist ein Faktor der Standortpolitik geworden, insofern sie eine Stadt für die Ansiedlung von Gewerbebetrieben attraktiver machen soll. Eine Mark, die man in Kultur investiert, kommt so - via Umwegrentabilität dreimal wieder heraus. Dieser ganze Bereich kommt allerdings in den Koalitionsvereinbarungen gar nicht vor. Will man denn nun hier weiter unter diesem Aspekt investieren oder nicht?
Die Vorarbeiten für eine Untersuchung über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kultur in Berlin sind geleistet. Ich werde in den nächsten Wochen Schritte unternehmen, daß diese wichtige Untersuchung auch durchgeführt werden kann. Es ist mit Sicherheit nicht so, daß Kultur sozusagen der Sahnetupfer auf der Torte oder die Petersilie auf dem kalten Büffet ist. Kultur ist ein integraler Bestandteil für humanes Leben. Dennoch muß man transparent machen, wie das mit Kosten und Nutzen rein materiell tatsächlich aussieht. Und dann wird es sicher leichter sein, auch mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft oder für Finanzen bestimmte Projekte auf die Beine zu stellen, wenn man sagen kann: das wirkt sich in der und der Weise arbeitsplatzschaffend oder erhaltend aus.
Wird dann auch die soviel beschworene dezentrale Kulturarbeit mit zum Wirtschaftsfaktor und zum Tourismusförderungsprogramm?
Zum Wirtschaftsfaktor wird sie ganz sicher, wenn man den Sektor der Volkshochschulen oder des öffentlichen Bibliothekswesens betrachtet, zum Faktor im Tourismusbereich eher weniger. Ich glaube, daß die dezentrale Kulturarbeit wirklich für die Berliner und Berlinerinnen da ist. Und da gibt es eben in einzelnen Bezirken große Defizite. Wenn in einer Gegend als einziges Kommunikationsangebot nur Kneipen da sind, dann darf man sich nicht wundern, wenn als Kulturleistung dabei Stammtischsprüche herauskommen. Und das geht eben in Richtung Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Deshalb kommt es darauf an, eine kulturelle Infrastruktur zu schaffen. Aber für die Außenwirkung kommt es sicher mehr auf die Deutsche Oper, die Museen und so weiter an.
Die Deutsche Oper wird also nicht geschlossen. Aber im Koalitionspapier geht es nur um dezentrale Kulturarbeit...
Das haben sie expressis verbis reingeschrieben, und das finde ich wichtig. Schon vor vier Jahren habe ich es sehr bedauert, daß es nur in Neukölln einen Kulturentwicklungsplan gegeben hat, den es für alle Bezirke geben müßte. In jedem Bezirk gibt es ja Gruppen, die eine Kulturferne besitzen, weil sie entweder arm sind oder nicht mobil sind, weil sie alt oder Kinder oder Jugendliche sind und deshalb nur eingeschränkt von dem Angebot im Stadtzentrum Gebrauch machen können. Die Kulturferne dieser Gruppen zu überwinden halte ich für eine wichtige Aufgabe, wobei ich nie das eine gegen das andere - Stadtteilkultur gegen Philharmonie - ausspielen möchte. Diejenigen, die etwa in der Musikschule im Gemeinschaftsunterricht Gitarrenspielen gelernt haben, haben natürlich eine viel geringere Hürde zur Philharmonie zu überwinden als diejenigen, die selbst dieses nicht gelernt haben. Aber ob man jetzt als ersten Schritt sagt, wir tun etwas für die Kunstämter, oder ob man sagt, wir bauen eine Modellbibliothek, oder ob man sagt, wir schicken einen Knabenchor auf Reisen - das sind alles Sachen, die ich jetzt noch nicht gewichten kann.
Ist hier nicht Kultur verlängerte Bildungspolitik oder gar Sozialpolitik?
Ich glaube, Kulturpolitik ist tatsächlich zum Teil Bildungs - und Sozialpolitik. Ich wehre mich sehr gegen ein Kulturverständnis, das bei den Leuten, die Kultur produzieren oder konsumieren, Abitur oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium voraussetzt. Ich glaube, daß wir mehr auf die Art, wie die Menschen zusammenleben und ob sie sich vertragen oder nicht vertragen, sehen müssen, und ob sie im Stande sind, das Fremde neben sich stehen zu lassen, ohne es nun gleich integrieren zu wollen oder zu überfallen und zu usurpieren. Dies sind vielleicht entscheidendere Kulturfaktoren als die Fragen, wie oft man ins Konzert geht und ob man hundert Bücher in seiner Bücherwand stehen hat oder nicht.
In den siebziger Jahren hat die SPD das recht pädagogische Schlagwort von der „Kultur für alle geprägt“. Inzwischen hat sich die selbstverwaltete Kultur stark entwickelt, und die SPD ist auf dem Weg in die „Kulturgesellschaft“. Wie hat sich das Kulturkonzept der SPD gewandelt?
In der SPD hat sich ein Ansatz gezeigt, der wirklich bei der politischen Kultur beginnt. Nach allem, was wir in der letzten Zeit mitgekriegt haben - angefangen von den Parteispenden bis zur Barschel-Affäre - sind in unserer Demokratie doch beträchtliche moralische Defizite erkennbar gewesen, die eigentlich mehr für Unkultur als für Kultur Zeugnis abgelegt haben. Die Art, wie mit den Fremden umgegangen wird, die Art, wie die Mehrheit für sich in Anspruch nimmt, bloß weil sie die Mehrheit ist, habe sie recht - dieses sind Dinge, die in der Sozialdemokratie sehr reflektiert worden sind und einen bestimmten kulturpolitischen Ansatz schaffen.
Ist die Antwort auf all diese Fragen das berühmte „multikulturelle Zentrum“?
Ich glaube, hier sind in der Alternativen Liste „echte Linke“. Die glauben dann auch immer gleich daran, daß Dinge organisiert und etatisiert werden müssen. Dazu bin ich, glaube ich, inzwischen schon zu alt, um diesen Glauben zu haben. Ich glaube, daß Politik sich auch immer übernimmt, wenn sei meint, sie könne alles planen und festlegen. In Berlin kommt es entscheidend darauf an, durch die Politik Kommunikation geschehen zu lassen, ohne daß man meint, man müßte für alles und jedes ein besonderes Haus oder eine besondere Konzeption haben.
Wie werden Sie denn dann in Zukunft die Förderungsgelder verteilen? Wie werden Sie beispielsweise den Beirat für die Freien Gruppen organisieren? Im Koalitionspapier ist vorgesehen, ihn zur Hälfte mit sachkundigen Persönlichkeiten zu besetzen und zur anderen Hälfte mit Vertretern der freien Gruppen zu besetzen. Die haber nicht alle eine gemeinsame Organisation.
Eben, dann wird man ihnen abverlangen müssen, daß sie sich auf die eine oder andere Weise organisieren. Entweder sie wollen mit einbezogen sein in die Verantwortung für die Vergabe der Mittel, dann müssen sie sich über die Kriterien dafür einig werden. Da wäre ja auch ein rotierendes System denkbar.
Ein weiteres beliebtes Thema ist die ausstehende Medienkonzeption...
Da haben Sie völlig recht. Wir brauchen ja auch ein Landesmediengesetz. Aber da tappe ich noch völlig im dunkeln.
Würden Sie denn die medienpolitischen Forderungen aus dem Koalitionspapier grundsätzlich unterschreiben? Das spielt ja schon hart an die Grenze der Einschränkung der Pressefreiheit: beispielsweise „Programmvielfalt muß gewährleistet sein“, „Minderheiten müssen überall zu Wort kommen“: Das hieße, Radio 100 müßte auch Kirchenfunk machen. Oder auch die zwangsweise Einrichtung eines „Redaktionsstatuts“: Das wäre, als ob es eine Pflicht zur Gewerkschaftsmitgliedschaft gäbe.
Da ist sicher noch eine Menge Diskussionsbedarf.
Jetzt müssen wir Sie natürlich noch nach der Frauenpolitik fragen. Einmal abgesehen von dem geplanten Frauenkulturzentrum - so etwas ist ja noch relativ naheliegend - gibt es denn eine Frauenpolitik in der Kulturpolitik?
Die Senatorinnen haben alle schon gesagt, wir wollen alle andere Bilder in unseren Büros. Und natürlich wollen wir weibliche Künstler haben. Und wir haben auch schon daran gedacht, ob wir nicht das Verborgene Museum bei der Senatorin für Bundesangelegenheiten in Bonn ausstellen können. Aber wir wollen natürlich gerade - auch was die politische Kultur angeht - manche Dinge anders machen. Wir machen regelmäßig vor den Senatssitzungen ein Hexenfrühstück, wo diese Dinge besprochen werden.
In einem Interview haben Sie gesagt: „Ich glaube auch, daß Frauen einen anderen Zugang zu allem Künstlerischen haben, weil Frauen - selbst wenn sie nicht Mutter sind - immer die Option haben, Mutter zu werden. Diese Option trägt ein spezifisches Spannungselement in das weibliche Leben hinein. Und Kreativität lebt immer aus Spannung.“ Haben Sie sich das beim Hexenfrühstück als Formel ausgedacht?
Nein, das ist wirklich meine feste Überzeugung. Ich wäre ohne meine Kinder ein anderer Mensch. Das ist eine Erfahrung, die das gesamte Leben prägt, auch den Zugang zum Lebendigen und damit auch einen anderen Zugang zu allem Künstlerischen.
Im Hinblick auf die soziale Erfahrung wäre so eine These ja noch akzeptabel, aber doch nicht hinsichtlich der biologischen Disposition!
Das sei Ihnen unbenommen...
Interview: Dorothee Hackenberg/Gabriele Riedle
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