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Im Kosovo herrscht Hochspannung

Politiker machen keine Angaben über die Zahlen der Opfer bei den Unruhen / Verhaftungswelle unter Intellektuellen / Weiterhin werden Sabotageaktionen gegen das Militär unternommen / Slowenien und Kroatien kritisieren Politik der Serben in der Provinz  ■  Aus Wien Roland Hofwiler

Niemand glaubt mehr an die offiziellen Angaben über die Zahl der Toten bei den Unruhen im Kosvo. Gerüchte, die in weiten Landesteilen im Umlauf sind und die Spannungen weiter anheizen, sprechen von 137 ermordeten DemonstrantInnen. Die amtliche Nachrichtenagentur bleibt weiterhin bei der Zahl von 23, die Belgrader 'Vecernji novosti‘ nennt 29, „davon zwei Polizisten, ansonsten albanische Nationalisten die sich gegenseitig umlegten„; die Pristianer 'Jedinstvo‘ differenziert gleich gar nicht mehr: „Unzählige Verletzte, Schwerverletzte und Tote forderten die konterrevolutionären Ereignisse.“

Bezeichnenderweise trat noch kein Minister mit einer offiziellen Zahl an die Öffentlichkeit und schreiben die Medien nur oberflächlich und widersprüchlich über die Vorgänge. Pauschal heißt es „Konterrevolutionäre Albaner, die mit ausländischen Geheimdiensten zusammen arbeiteten, haben die Unruhen von langer Hand vorbereitet.“ Namen werden nicht genannt. Albanische Bürger, auch kommunistische Parteimitglieder können sich nirgends zu Wort melden.

Für die taz war es auch gestern nicht möglich, nach Pristina zu telefonieren, so bleibt weiterhin unklar, wieviele Albaner in den letzten Tagen verhaftet worden sind und was hinter der Nachricht steckt, „unter den Hochschullehrern der Universität Pristina wurde eine Reihe von Rädelsführern ausgemacht“. Angesichts hunderter Verhafteter allein unter Intellektuellen sollen sich zahlreiche bekannte Philosphen und Schriftsteller albanischer Nationalität versteckt halten oder aus dem Unruhegebiet nach Slowenien emigriert sein, war aus Nordjugoslawien zu erfahren. Die Politik der serbischen Führung im Kosovo wird inzwischen auch von den jugoslawischen Terilrepubliken Slowenien und Kroatien kritisiert. So urteilte der slowenische Parteichef Kucan am Dienstag in Ljubljana, daß der vor einem Monat verhängte Ausnahmezustand sein Ziel verfehlt habe. Er macht die Behörden für die Toten verantwortlich.

Währenddessen tobt ein Propagandakrieg zwischen Albaniens Hauptstadt Tirana und Belgrad. Albanien beschuldigt seinen Nachbarn des „Terrors und der unmenschlichen Unterdrückung. Jugoslawien kontert, Tirana wolle den Vielvölkerstaat „ins Verderben stürzen“.

Entgegen anderslautenden offiziellen Verlautbarungen, nach denen in der letzten Nacht endlich Ruhe im Kosovo eingekehrt sei, sollen sich vor allem in ländlichen Gebieten der Provinz weiterhin Sabotageaktionen gegen das stationierte Militär unternommen werden. Mit Spannung wird auch der Samstag erwartet; morgen vor acht Jahren waren bei albanischen Protesten gegen den serbischen Druck im Kosvo neun Menschen getötet worden.

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