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Fundamentalismuskritiker exekutiert

■ Doppelmord in Brüsseler Moschee / Oberhaupt der belgischen Moslems hatte Mordaufruf an Rushdie kritisiert

Brüssel (dpa/taz) - „In einem demokratischen Land können wir dieses Todesurteil nicht vollstrecken.“ Der Schriftsteller Rushdie habe ein Recht auf seine eigene Meinung. So hatte Abdullah Ahdel, das Oberhaupt der 225.000 Moslems in Belgien, die Morddrohung des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini kommentiert. Am Mittwoch abend wurde der 35jährige Geistliche, saudiarabischer Herkunft in seiner Moschee erschossen. Das gleiche Schicksal erlitt der 48jährige tunesische Bibliothekar des angeschlossenen Kulturzentrums. Beide wurden durch Kopf- und Nackenschüsse exekutiert. Für die Brüsseler Staatsanwaltschaft liegt der Hintergrund für den Mordanschlag noch im dunkeln. Da keinerlei Spuren auf ein Handgemenge hindeuten, nehmen die Ermittler an, daß die Ermordeten den Täter gekannt haben. Nur wenige Stunden vor dem Doppelmord hat der Moslemführer an einer Sitzung moslemischer Würdenträger zur Affäre um Salman Rushdie teilgenommen. Nachdem Abdullah Ahdel wegen seiner gemäßigten Haltung eine Reihe Morddrohungen erhalten hatte, veranlaßte das Innenministerium, ihm diskreten Schutz zu gewähren. Der Ermordete, war von der Islamischen Weltkonferenz, die sich vor kurzem von Khomeinis Haltung im Fall Rushdie distanziert hatte, nach Brüssel entsandt worden. Er galt als Gegner des Fundamentalismus und hatte im vergangenen Sommer im Gespräch mit der belgischen Tageszeitung 'Libre Belgique‘ erklärt, seine Aufgabe in Belgien bestehe darin die Jugendlichen vom Verbrechen, der Droge, der Fortsetzung auf Seite 2

Arbeitslosigkeit und gleichzeitig vom Fundamentalismus abzuhalten. Als die Amerikaner vor drei Jahren die libysche Hauptstadt Tripolis bombardierten, weigerte er sich, den „Heiligen Krieg“ gegen die USA zu predigen. In einem Interview, das er der Tageszeitung 'La Derniere Heure‘ kurz vor seinem Tode gegeben hatte, sagte Abdullah Ahdel, der Rummel um den Autor Rushdie habe selbst jene aufgeweckt, die schon mit dem Tode kämpfen. Wie Khomeini.“

Das geistliche Oberhaupt der Schiiten in Europa, Ajatollah Mehdi Ruhani, hat die Ermordung des Rektors der Brüsseler Moschee, Abdullah Ahdel, und seines Bibliothekars „förmlich verurteilt“. Gleichzeitig

machte Ruhani in Paris jedoch Salman Rushdie und sein von vielen Moslems als gotteslästerlich empfundenes Buch für das Verbrechen verantwortlich.

„Salman Rushdies Buch war ein krimineller Akt, dazu ausersehen, die Gemüter zu entflammen, Haß und Gewalt zu fördern und eine Schranke zwischen der freien Welt und der islamischen Welt zu errichten“, sagte der Geistliche Donnerstag nacht. „Ich verurteile förmlich die Morde (...) und jeden Akt des Terrors und des Terrorismus.“

Die Moschee, die am Rande des Brüsseler Jubelparks nur wenige hundert Meter von den EG-Gebäuden entfernt liegt, war zum Zeitpunkt der Bluttat gut besucht. Weder Besucher noch ein Angestellter des Kulturzentrums hatten jedoch Schüsse gehört. Die Frau von Abdullah Ahdel wurde wenige Stunden nach Bekanntwerden des Mordes völlig verwirrt vor der Moschee aufgegriffen.

sl

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