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Pro Lorbeerbäumchen 15 Mark am Tag

Heute öffnet die größte Industrie-Schau der Welt in Hannover ihre Pforten / Die Großen stehlen den Kleinen die Schau / Der eigene Stand darf nicht fotografiert werden / Polizei gegen Handtaschendiebstähle und Industriespionage / Zwang zur Repräsentation / Frage Nummer Eins: Was bringt das alles?  ■  Von Reiner Reichel

Was bringt den Großunternehmen ein Stand auf der Messe? Kann sich ein kleines Mittelstandsunternehmen den Nepp, dem die Aussteller seitens des Messemanagements ausgesetzt sind, überhaupt leisten? Das industrielle Showbusineß hat offensichtlich seine eigenen Gesetze. Ab heute ist es wieder so weit. Das größte Messespektakel der Welt, die Industrie -Messe Hannover, öffnet am Mittwoch, dem 5.April, ihre Tore. 6.010 Aussteller aus 48 Ländern warten auf eine halbe Million Menschen. Sie alle sind bereit, sich für 24 Mark Eintritt - Dauerkarten kosten 58 Mark - Hochtechnologie auf einem Gelände so groß wie 70 Fußballfelder vorführen zu lassen. So weit die Füße tragen, können sie sich dem „Erlebnisraum Messe“ hingeben. So nennt Rolf Baeune vom Lagersystemhersteller Jungheinrich die Schau, in deren Mittelpunkt die „personale, reale und mediale Kommunikation“ steht. Gemeint sind das Gespräch zwischen Anbieter und Messebesucher, dessen Blickkontakt zum Exponat und die längst übliche Berieselung mit Videovorführungen. Der Standbesucher soll Teil des Messegeschehens werden, Knöpfchen drücken, mit der ausgestellten Maschine spielen. Das erzeugt bleibende Erinnerungen, die bei der nächsten Auftragsvergabe schon ihre Wirkungen zeigen können. Denn die Aussteller wissen genau: Investitionsgüter werden ebenso wenig nach rein rationalen Gesichtspunkten gekauft wie das neue Auto.

Natürlich sind es wieder mal die Großen, die den mehrheitlich kleinen und mittelständischen Ausstellern die Schau stehlen. Krupp beispielsweise, mit insgesamt 5.700 Quadratmetern flächenmäßig größter Aussteller und einem im letzten Jahr fertiggestellten Messepalast, dessen Baukosten alleine 7,8 Millionen Mark betrugen. Siemens bietet auf 5.000 Quadratmeter Elektronik und Elektrotechnik, von der Standardmaschinensteuerung bis zur modernen Solartechnik. Während die Großunternehmen die perfekte Selbstdarstellung inszenieren, sind die kleinen Aussteller froh, nach monatelanger Vorarbeit einen ansprechenden Stand hergerichtet zu haben. Durch knapp 50 Seiten „Richtlinien für die Standgestaltung“ haben sie sich gekämpft. Die Messegesellschaft überläßt nichts dem Zufall. Alle sichtbaren Flächen sind zu gestalten, heißt es darin. Nur auf der Hälfte der Standfläche dürfen Besprechungskojen stehen, selbst die Größe der Firmenschilder ist reglementiert. Elektrische Anlagen, Wasser und Druckluftanschlüsse dürfen ausschließlich von Vertragsinstallateuren der Deutschen Messe AG montiert werden, und die angelieferten Maschinen stellt der von der Messegesellschaft zugelassene Messespediteur auf. Seinen Messestand zu fotografieren ist untersagt, dafür ist der offizielle Messefotograf zuständig.

Der so gegängelte Aussteller darf vor allem eines: zahlen. 200 Mark kostet der Quadratmeter Hallenboden - der Basispreis. Ansonsten erinnert die Preisgestaltung an die Automobilindustrie. Aufpreise, wohin man sieht: 16 Mark Werbekostenbeitrag, pro Quadratmeter versteht sich, 25 Prozent Aufschlag, wenn der Stand nach zwei Seiten, 40 Prozent, wenn er nach drei Seiten zu den Gängen offen ist. Statistisch betrachtet, machen die Standmieten nur ein Fünftel der Messekosten aus. Die Standgestaltung haut erst so richtig ins Messebudget. Das Angebot der Messebaufirmen reicht vom „VW-Käfer“, wie Rainer Winnen, Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes „International Federation of Exhibition Services“ (IFES) die Billiglösung für runde 200 Mark Quadratmeterpreis ohne Hallenmiete nennt, bis zum „Mercedes“, für den der Aussteller dann über 1.000 Mark je Quadratmeter hinlegen muß. Zu diesem Preis erhält der Aussteller dann auch alles, was „trendy“ ist. Einen perfekt unter „Corporate Identity„-Gesichtspunkten durchgestylten Messestand, bei dem auf Wunsch die Imbißhäppchen an der Besprechungsbar noch mit den Firmensignets verziert werden. „Full Service“ heißt das komplette Messepaket in der Fachsprache.

Und die Kleinen? Die staunen und fragen sich, wie sie es schaffen sollen, auf sich aufmerksam zu machen. Winnens Empfehlung lautet: „Weniger Technik - mehr Human Touch!“ Vielleicht mit etwas Grün. „Gerne“, werden die Gärtner auf dem Messegelände sagen. Sie bieten den Pflanzen-Leihservice. Ein Lorbeerbäumchen gefällig? - Macht 15 Mark pro Tag. Mancher Aussteller zahlt letztendlich für die eigene Faulheit.

Statistiker haben errechnet, daß bundesdeutsche Firmen etwa 30 Prozent ihres Werbeetats für Messen ausgeben. Wenn Gerald Böckel, Inhaber der Firma Nassovia, einem kleinen Hersteller von Bohrwerkzeugen aus dem hessischen Weilburg, damit hingekommen wäre, hätte er nicht das Handtuch geworfen. „Eigentlich war die Hannover-Messe für uns ein Muß“, sagt er, „doch 50.000 Mark Messekosten sind für einen 35-Mann -Betrieb nicht zu verkraften. Wir werden uns auch in Zukunft nicht mehr beteiligen.“ „Falsches Messemarketing“, vermutet Winnen. Ins gleiche Horn stößt Hubert Lange, Finanzvorstand der Deutschen Messe AG, denn es komme „auf das Kosten-Nutzen -Verhältnis an“. Aber wovon soll ein solcher Kleinbetrieb auch noch die vorherige Erfolgsanalyse bezahlen? Zumal ihn oft ganz andere Zwänge hindern wegzubleiben.

Ist dagegen der große Konkurrent auf der Messe präsent, kann der kleine nicht zu Hause bleiben. Von der Standgröße wird auf die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens geschlossen. Wer ins Gerede gekommen ist, muß also erst recht repräsentieren. Und: Die Konkurrenten beobachten sich. Firma A schickt ihren neuen, in der Branche noch unbekannten Mann zum Spionieren zu Firma B. Kein Wunder, wenn die Polizei auf der Messe es neben den Handtaschendiebstählen vor allem mit Industriespionage zu tun hat.

Wenn dann am 12.April um 18 Uhr die Messe beeendet ist, suchen die Manager der ausstellenden Firmen wieder eine Antwort auf die Frage: „Hat sich der ganze Aufwand eigentlich gelohnt?“ Auftragsabschlüsse sind kein Kriterium. Die wenigen auf der Messe besiegelten Aufträge, das können alte Messehasen bestätigen, werden lange vor der Messe ausgehandelt und dort nur publikumswirksam mit Unterschriften versehen. Neue Kontakte knüpfen und damit zukünftige Aufträge anbahnen sollen die Firmen. Also werden hinterher schön säuberlich die Visitenkarten gezählt und die Interessentenkarteien gefüllt. Ob sich hinter der Visitenkarte aber ein ernsthafter Kaufinteressent verbirgt, wird sich erst herausstellen, wenn die Messe längst vergessen ist. Fazit: Der Messeerfolg ist nicht meßbar. Wer an ihn glaubt, wird aber auch im nächsten Jahr beim großen Spektakel wieder dabei sein.

Wie lange wird sich der Profilierungsdrang der Großen noch auf der Spirale des „immer größer, immer schöner“ drehen, und wie lange wird die Vielzahl der kleinen 50-Quadratmeter -Aussteller noch das Drumherum abgeben, wenn die Großunternehmen ihre Selbstdarstellung zelebrieren? Solange 5.000 Journalisten auf unzähligen Zeitungsseiten und in insgesamt 25 Hörfunk- und Fernsehstunden das Messegeschehen vorführen. Von Firmen wie der Nassovia wäre in diesen Beiträgen sowieso nie die Rede gewesen.

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