piwik no script img

„Grundsätze eines neuen Rechts“

Italiens Theoretikerinnen der Geschlechterdifferenz diskutieren über die Möglichkeit eines „weiblichen Rechts“ / Welche Grundsätze müßte es haben und in welchem Verhältnis stünde es zur bestehenden Rechtsordnung?  ■  Von M. Campari und L. Cigarini

Die Tatsache, daß die Frauen im Recht ein- und ausgeschlossen sind - sie sind Objekt von Rechtsvorschriften, tragen aber den Namen des Vaters und des Ehemanns - hat uns jahrelang daran gehindert, unserer Lust an der Rechtswissenschaft eine Richtung zu geben. Die Arbeit an einer emanzipationistischen Gesetzgebung (viele Gesetze zur Gleichstellung mit den Männern, die jedoch im Widerspruch stehen zu den vielen Gesetzen zum Schutz der spezifisch weiblichen Eigenschaften) stellte für uns keine geistige Herausforderung dar, denn der ganze theoretische Apparat war schon vom fortschrittlichen männlichen Denken festgelegt.

In unserer Funktion als Anwältinnen konnten wir also lediglich den Frauen, die sich von ihrem Ehemann trennen wollten, und der verschwindend kleinen Anzahl von Arbeitnehmerinnen, die die Gleichstellungsgesetze nutzten, guten Rechtsbeistand bieten. (...)

Wir kamen zu dem Schluß, daß das Problem im Grunde für alle Frauen dasselbe ist: Wir sind nur stückweise in die Rechtsordnung integriert, und wir können nur in jenen Teilbereichen, in denen unsere Interessen mit denen der Männer zusammenfallen, durch das Gesetz geschützt werden, das Gesetz in Anspruch nehmen. Wo es dagegen zum offenen Konflikt zwischen Mann und Frau kommt, zum Beispiel in der Familie oder bei der Arbeit, merken wir sofort, daß es sich um Schutz handelt, der - trotz der verschiedenen Korrekturen - obendrein ungenügend ist. Das hat einen einfachen Grund: in der herrschenden Rechtsordnung ist der Konflikt zwischen den Geschlechtern nicht vorgesehen und folglich nicht geregelt. (...) Das weibliche Recht wird aktuell

In unserer Mailänder Juristinnengruppe haben wir den Prozeß als Ort gewählt, wo wir uns am konkretesten und am genauesten darüber klar werden können, was wir vom Gesetz wollen, und wo wir die scheinbar paradoxe Position der Frauen aufzeigen können, in der die Erlangung von bürgerlichen Rechten und von Gleichheit die Negation der weiblichen Differenz bedeutet, und somit diese Rechte im Konkreten als nicht anwendbar erscheinen.

Die Lust an der theoretischen Auseinandersetzung erwachte erst, als wir erkannt hatten, wo der Ursprung des weiblichen Rechts liegt: in den Tauschbeziehungen unter Frauen (das heißt für uns im Prozeß die Beziehung zwischen Rechtsanwältin und Klientin; zwischen Anwältinnen, die einen Prozeß gemeinsam führen; zwischen Richterin und Anwältin usw.), im Wissen und im Begehren, das diese Beziehungen aufrechterhält sowie in der richtigen Einschätzung der Veränderung, die der Kampf der Frauen im Kräfteverhältnis der Geschlechter bewirkt hat. In diesem Verhältnis, in diesen Beziehungen zeichnen sich mehrere Momente immer deutlicher ab: die Interessen der Frauen; unsere neue Kraft und das Wissen, das wir erworben haben; die durch dieses Bewußtsein entstehenden Konflikte zwischen Frauen und Männern und die Notwendigkeit der Vermittlung. Auf dieser Basis entstehen die Normen einer Rechtsordnung, die das Zeichen des weiblichen Geschlechts trägt. In diesen spiegeln sich die Werte wider, die die Beziehungen zwischen den Frauen prägen. Ausgehend von diesen Normen wird es möglich sein, die Grundsätze der Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Werten der beiden Geschlechter ins Recht einzuschreiben - Grundsätze, die heute in der eingeschlechtlich-männlichen Perspektive fehlen.

Unserer Auffassung nach muß sich die Reflexion der Frauen über das Recht auf der Grundlage von drei Punkten weiterentwickeln: von der durch den Feminismus geleisteten Aufdeckung der sexistischen Herrschaft in allen Sprachbereichen - einschließlich des juristischen; von der Inhaltslosigkeit immer neuer Gesetze und Rechte, die keine konkrete Umsetzung erfahren (L.Muraro); und vom Grundsatz der Unverletzbarkeit des weiblichen Körpers.

Dieser Grundsatz bedeutet nicht allein, daß Vergewaltigung ein Verbrechen ist - das wird schon vom geltenden Strafrecht anerkannt -, sondern daß die Frauen nicht mehr dem männlichen Maßstab unterworfen werden (Vergewaltigung auf der Ebene des Symbolischen). Daß die Unverletzbarkeit ins Recht eingeschrieben wird, ist unseres Erachtens keine Frage des Strafrechts, sondern der Konstitution der Rechtsordnung. Wir werden öfter von Frauen - vor allem von Berufspolitikerinnen - gefragt, was wir mit „sexueller Differenz“ meinen. Nun, für uns liegt das Wesen der Differenz in der Freiheit der Frauen und in der Unverletzbarkeit des weiblichen Körpers.

Die symbolische Einschreibung dieser Grundsätze ist aktuell geworden, denn viele Frauen haben und vermitteln die Vorstellung von Unverletzbarkeit: sie sind autonom in ihren Urteilen, haben Kraft und Wissen gewonnen und sich andere als die ihnen vom Patriarchat zugestandenen Lebenszusammenhänge aufgebaut. Sie sind also unverletzbar auch im Fall einer eventuellen Vergewaltigung -, da sich ein weibliches Rechtsbewußtsein durchzusetzen beginnt.

Die Geschlechter sind zwei, und diese Dualität beginnt zu existieren, wenn die weibliche Differenz in das System der Symbole eingeschrieben wird. Die Geschlechter bleiben zwei, auch nach der Durchsetzung des weiblichen Rechts. Dieses wird, wie jedes Recht, universale - das heißt für Frauen und Männer gültige - Regeln und Vermittlungsinstanzen hervorbringen. Denn das weibliche Recht trägt das Zeichen des Geschlechts; es entsteht aufgrund der Feststellung, daß die Geschlechter zwei sind: Seine Universalität ist eine historisch und logisch gesehen neue Form, die auch einer philosophischen Reflexion bedarf. In diesem Zusammenhang mag die Bemerkung von Nutzen sein, daß eine Frau Mutter einer Tochter wie eines Sohns werden kann, und wenn sie der weiblichen Generationenfolge den Vorrang einräumt, weil diese ihr Kraft und symbolische Existenz verleiht, so wird sie es dennoch nicht versäumen, sich um ihren Sohn und um ihre Beziehung zu ihm zu kümmern.

Schließlich meinen wir, daß das weibliche Recht als Tertium im Konflikt zwischen den Geschlechtern steht. Diese Funktion erfüllt es aus dem Grund, den wir eben nannten: die Feststellung, daß die Geschlechter zwei sind, und auf dieser Grundlage entwickelt es sich weiter. Ursprung des weiblichen Rechts

Die Rechtsnormen, die uns als universal präsentiert wurden, sind in Wirklichkeit eine Gesamtheit von Regeln zur Strukturierung einer Gesellschaft, in der die Frau nicht als Subjekt betrachtet wird. Aufgrund dieser Normen bleibt die Frau der subjektiven Rechte beraubt (L.Irigaray). Das Recht, das wir kennen, ist also durch die ihm innewohnende Unmöglichkeit charakterisiert, wirklich für alle Subjekte gültig zu sein. Der Anspruch auf Universalität ist eine Fiktion, die sich nur dank der Tatsache aufrechterhalten konnte, daß soziale Beziehungen unter Frauen fehlten (oder extrem schwach waren). (...)

Im Prozesses kommt die mögliche Vermittlung zwischen den jeweils durch das Geschlecht geprägten - kontrastierenden Interessen zum Ausdruck. So beginnen Regeln weiblichen Ursprungs zu existieren, die eingeschlechtlich männliche Ordnung hat einen Riß bekommen, und eine zweigeschlechtliche Ordnung beginnt sich abzuzeichnen. Im Prozeß sehen wir ganz konkret, wie die Freiheit der Männer die der Frauen einschränkt und umgekehrt. Natürlich müssen wir wissen, worum es geht, denn was Vorrang hat - für uns die weibliche Freiheit - ist fundamental für die Interpretation des Rechts. Als Juristinnen haben wir einige Regeln gefunden, die wir für fundamental halten und die wir zur Diskussion stellen möchten, um zur Formulierung einiger Grundsätze des weiblichen Rechts zu gelangen.

Der fundamentale Wert besteht in der Treue zur eigenen geschlechtlichen Identität, in der Bejahung einer menschlichen Identität als Frau. Diese wird dadurch möglich, daß die weibliche Genealogie Wert bekommt (L.Irigaray).

Die subjektiven Rechte der Frau können also nur entstehen, wenn sie eng an ihren geschlechtlich geprägten Körper-Geist gebunden sind, nur wenn darin der sexuellen Differenz Anerkennung und Wert gezollt werden.

Die Grundsätze des weiblich begründeten Rechts können mit den Grundsätzen des männlichen Rechts in Konflikt geraten, in Übereinstimmung stehen oder autonom sein.

Als Beispiel für ein Recht, das mit dem männlichen in Übereinstimmung steht, kann die Rechtsnorm gegen Vergewaltigung genannt werden. Das männliche Recht schreitet hier mit Gesetzesvorschriften ein, die der Verbrechensbekämpfung und dem Schutz des geordneten Zusammenlebens der Bürger dienen. Das weibliche Recht bietet autonom (jedoch - zumindest teilweise - in Übereinstimmung mit dem männlichen Recht, was die gesellschaftlichen Konsequenzen betrifft) eine Gewähr für die Unverletzbarkeit des weiblichen Körpers. Dies wird möglich durch die positive Bewertung der weiblichen Genealogie, durch die Verantwortlichkeit der Frau-Mutter ihrem Geschlecht - also dem Geschlecht der vergewaltigten Frau - gegenüber, und durch Entzug der Solidarität mit dem Vergewaltiger-Sohn. So drückt sich eine mütterliche Autorität aus, die im Namen des eigenen Geschlechts ausgeübt wird.

Ein Beispiel für ein Recht, das mit dem männlichen Recht in Konflikt gerät, ist das Paar- und das Familienrecht. Das weibliche Recht steht in diesem Fall mit dem männlichen in Konflikt, da die Freiheit des einen Geschlechts die des anderen einschränkt. Die derzeitige Rechtsordnung zieht das Recht des Paares nicht in Betracht, wie Luce Irigaray als erste aufgezeigt hat. In der Familie gibt es, formal gesehen, keine Differenzierung, das heißt, jedes erwachsene Familienmitglied trägt die gleiche Verantwortung, während in Wirklichkeit eine starke Ungleichheit zwischen der Macht des Vaters und der der Mutter herrscht. Auch in den Rechten und Pflichten von Brüdern und Schwestern läßt sich oft eine große Ungleichheit feststellen. Es fehlt ganz allgemein eine Vermittlung zwischen den beiden Geschlechtern, das heißt also eine Regel, ein differenziertes Recht, das die jeweiligen Werte und Bedürfnisse der beiden Geschlechter zum Maßstab nimmt.

Hier kann der Grundsatz, der die weibliche Freiheit begründet, zum Beispiel im Recht der Frau Gestalt annehmen, über die Reproduktionsfähigkeit ihres Körpers, über die Zahl ihrer Kinder zu entscheiden oder über die standesamtliche Eintragung der Kinder als ihre Nachkommen oder über die Rechte und Pflichten, die die Mutter den Kindern gegenüber übernimmt und umgekehrt. Grundsätze des weiblichen Rechts

Wir können also schon einige grundlegende Prinzipien einer weiblich geprägten Rechtsordnung nennen, und zwar:

-weibliche Freiheit

-Unverletzbarkeit des weiblichen Körpers

-Neue politische Formen, die das Begehren und die Projekte des/der Einzelnen umsetzbar machen - Begehren und Projekte, die heute in einer nach dem Mehrheitsprinzip und dem Repräsentativsystem organisierten Gesellschaft wie der unsrigen nicht als dem Gemeinwohl dienend anerkannt werden.

Die grundlegenden Prinzipien der weiblich geprägten Rechtsordnung werden tiefgreifende Veränderungen in der italienischen Verfassung bewirken (A.Cavarero). Als die Verfassung niedergeschrieben und verabschiedet wurde, schwiegen die Frauen zum Thema weibliche Freiheit (vielleicht war sie für sie gleichbedeutend mit der männlichen) und zum Thema Unverletzbarkeit des weiblichen Körpers. Wir können also sagen, daß der Verfassungsvertrag von den Frauen nicht unterschrieben wurde. (...)

Es war keine Frage von zahlenmäßiger Stärke, daß die Feministinnen eigene Entscheidungen treffen und sich neue Bereiche gesellschaftlicher Existenz erobern konnten. Ihr Ausgangs- und Orientierungspunkt war ihr Begehren, ihr - oft ganz beziehungsweise teilweise individuelles - Projekt, und in diesem Begehren nahmen sie etwas wahr, was sich in den meisten Fällen als zutiefst richtig erwies, etwas, was von vielen Frauen geteilt, aber noch nicht wahrgenommen wurde. So entzogen sie sich dem Erdrücktwerden durch die Mehrheit und richteten sich nach den Entwicklungen in den Liebes- und Freundschaftsbeziehungen oder in der Familie, wo nicht abgestimmt wird und wo alles gut geht, wenn die Freiheit siegt.

Das politische und juristische Denken der Männer ist an vielen Punkten festgefahren: in der Frage des Verhältnisses Gleichheit-Unterschiede, des Funktionierens der numerischen Demokratie, der Ausweitung der Rechte, ohne neue Mittel und Institutionen zu schaffen, um sie auch umzusetzen. So wird das Recht lediglich proklamiert, aber nie verwirklicht. Die Diskussion ist also mehr als offen und die Theoriebildung der Frauen im Bereich der Justiz wird für die Männer wie für die Frauen wertvoll sein.

Von den Autorinnen gekürzte Version des Artikels fonte e principi di un nuovo diritto in: 'Sottosopra‘, hrsg. von Libreria delle donne, Milano 1989. Aus dem Italienischen von Traudel Sattle

Mit Mariagrazia Campari und Lia Cigarini sowie Traudel Sattler kann demnächst live über ihre Themen diskutiert werden. Sie kommen nach Berlin, Hamburg und Bremen, um ihr Buch Wie weibliche Freiheit entsteht vorzustellen.

Termine:

Freitag, 7.April 1989 - Berlin, 19.30 Uhr, Symposion der Internationalen Assoziation von Philosophinnen: „1789/1989 Die Revolution hat nicht stattgefunden.“ Mathematikgebäude der TU, Straße des 17.Juni 136;

Samstag, 8.April 1989 - Hamburg, 19 Uhr, Martin-Luther-King -Haus, Grindelallee, veranstaltet vom Frauenbuchladen und vom Frauenbildungszentrum;

Sonntag, 9.April 1989 - Bremen, 20 Uhr, Veranstaltungsort: Kubo, Paulskloster 12, veranstaltet vom Frauenbuchladen;

Montag, 10.April 1989 - Berlin, 20.30 Uhr, veranstaltet von und in der Begine, Potsdamer Str.139.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen