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Ein Schritt vor, ein Schritt zurück

Keine Revolutionsromantik in Bremens neuer Partnerstadt / Corinto profitierte von Somoza und arrangiert sich mit dem Sandinismus / Armut, Sturmflut und Contra-Krieg bedrohen tropische Schläfrigkeit  ■  Aus Corinto Dirk Asendorpf

Das vom Erdbeben zerstörte Managua ist keine schöne Stadt. Aber wer dort nach dem häßlichsten Ort Nicaraguas fragt, bekommt immer wieder die gleiche Antwort: Corinto. Schlechter kann der Ruf einer Stadt kaum sein, als der der künftigen Bremer Städtepartnerin. Heute wird Bürgermeister Wedemeier zum offiziellen Freundschaftsbesuch mit Vertragsunterzeichnung in Corinto erwartet.

Wenn er sich dabei in den ungepflasterten Straßen der wichtigsten nicaraguanischen Hafenstadt staubige Hosenbeine holen wird, spricht das nicht gegen Corinto. Denn Armut ist hier keine Ausnahme. Unter dem Wirtschaftsboykott der USA verhindert eine Inflationsrate von über 1.000 Prozent jede langfristige Investition. Und der aus dem imperialistischen Norden finanzierte Contra-Krieg hat die junge Revolution nicht weniger als eine Milliarde Dollar gekostet. Corinto wäre fast von der Landkarte verschwunden, als US -Schnellboote im Oktober 1983 die Öltanks im Hafen beschossen und zwei in Brand setzten.

„Hier wohnt ein Somozist“, steht in großen Lettern an einigen

Fassaden im Stadtzentrum. Die BewohnerInnen der Häuser scheint es nicht zu stören, als AnhängerInnen des von der Revolution vertriebenen Diktators zu gelten. Sie wissen sich in guter Gesellschaft. „Das war hier wie Somozas Privatbesitz“, erinnert sich ein Corinter, „viele haben im Hafen am Schwarzmarkt, am Drogenhandel, an der Prostitution mitverdient.“ Damit ist es jetzt weitgehend vorbei „deshalb findet die Revolution hier keine Unterstützung“, meint er.

Zwei Schulen gab es vor 1979, heute sind es zehn mehr! Aber nach der Prüfung droht den SchülerInnen die Arbeitslosigkeit. Obwohl fast ein Drittel der 30.000 EinwohnerInnen in den vergangenen Jahren ausgewandert ist, finden von den Übriggebliebenen viele keine Anstellungen. Und wenn sie doch das Glück haben, als Krabbenpulerin in der Fischfabrik oder als Stauer im Hafen eine zermürbende Schichtarbeit zu finden, reicht der Lohn gerade für Reis, Bohnen und Mais, die Hauptbestandteile jeder Mahlzeit. Deshalb hat Selbstversorgung einen hohen Stellenwert in Corinto. Kühe, Schweine und Hühner laufen zwischen den riesigen Container-Transportern herum, die den Ha

fen in Richtung Managua verlassen. In den Höfen der wellblechgedeckten Hütten schnattern Enten unter Obstbäumen.

In der großen Markthalle herrscht gespenstische Leere. Zwar biegen sich die Stände unter dutzend Sorten Gemüse und Obst. Aber kaum eine Käuferin kann sich das Angebotene leisten. „Was wir hier nicht verkaufen, das schmeißen wir weg“, sagt eine Marktfrau resolut und erklärt: „Würden wir den Preis senken, könnten wir bei dieser Inflation bald selber nicht mehr einkaufen.“ Jeden Tag veröffentlicht die Zeitung die neuen Preise - und den täglich steigenden Dollarkurs, an dem sie sich orientieren. Zwar ist die Inflationsrate von über 10.000 Prozent im vergangenen Jahr inzwischen auf weniger als 1.000 Prozent gesunken. Trotzdem muß jeder Verdienst schnell ausgegeben werden.

Nicht nur die Kriegswirtschaft bedroht Corinto. Der Ort liegt auf einer flachen Insel. Dort wo im letzten Jahr noch Häuser am Strand standen, frißt sich heute die Brandung ins Land. Ein einziger Sturm hat 100 Familien obdachlos gemacht. Sie leben heute in rasch hochgezogenen Neubauten. Bisher gibt es weder Strom noch Wasser. Doch dafür sind alle Häuser bereits in den Besitz der Evakuierten übergegangen. Ausländische Hilfsgelder haben die schnelle Hilfe ermöglicht.

Nebenan feiert die von Bremer und Kölner Solidaritätsgruppen finanzierte KFZ-Werkstatt ge

rade Richtfest. Jürgen und Uwe, zwei deutsche Fachleute, haben monatelang mit den Widrigkeiten des Materialmangels, des verzögerten Nachschubs aus Deutschland und der nicaraguanischen Bürokratie gekämpft und hoffen, noch vor dem zehnten Jahrestag der Revolution im Juli junge Corinter zu Automechanikern und -elektrikern ausbilden zu können.

Der Wind bläßt dichte Staubwolken durch Corintos Straßen. Im April, dem heißesten Monat kurz vor Beginn der Regenzeit, ist die tropische Natur ausge

dörrt. Die Sonne steht senkrecht, der dunkle Strand brennt den wenigen Badelustigen unter den Füßen. Mit müden Schritten tragen die Hafenarbeiter nach Schichtwechsel ihre leeren Plastikgefäße nach Hause. Dicht gedrängt stehen die BewohnerInnen der unmliegenden Dörfer auf einem vollgestopften Planwagen, der über die lange Brücke zum Festland rattert. Verblichene Pastellfarben blättern von den Holzwänden. Im Schatten der Vordächer aus Wellblech dösen die Alten in Schaukelstühlen dem kühleren Abend entgegen.

„Ein Schritt vor, ein Schritt zurück, aber mit Maß“, röhrt aus dem Transistor der neueste cubanische Salsa-Hit. Manchem Corinter juckt es da in den Beinen. Aber feurig getanzt wird nicht, es bleibt beim rythmischen Wiegen der Köpfe und Körper. Revolutionäres Pathos ist in Bremens Partnerstadt genausowenig zu finden, wie lautstarke Opposition.

Ein Corinter faßt das Lebensgefühl seiner Stadt so zusammen: „Wir leben gerne hier, aber wer einmal weggegangen ist, kommt nie mehr wieder“.

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