Begegnung mit dem alltäglichen Faschismus

■ Diskussionsveranstaltung an der Neuköllner Fritz-Karsen-Schule, die durch rechtsradikale Schüleraktivitäten in die Schlagzeilen geraten ist / Ausländerbeauftragte Barbara John für „Buntheit und Vielfalt“ / Schüler erklärt: Meine Opas waren beide in der SS

„Wir müssen lernen, daß Buntheit und Vielfalt ein Wert des Humanen ist“, hatte die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, (CDU), in ihrem Einleitungsstatement gefordert und damit das Zusammenleben mit Berlins ausländischen BürgerInnen gemeint. Donnerstag abend in der Neuköllner Fritz-Karsen-Schule, eine Schule, die in letzter Zeit wegen rechtsradikaler Schüleraktivitäten in die Schlagzeilen geraten ist. „Wir haben nichts gegen Ausländer, aber...“ hatten die Neuköllner Falken die von ihnen organisierte Ausstellung genannt. Mindestens 300 Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen drängten sich in der überfüllten Aula. Nach Barbara Johns Plädoyer für rechtliche Gleichstellung der „ausländischen Berliner, die eigentlich Berliner sind und die nichts weiter von uns unterscheidet als ihr ausländischer Paß“, war viel von Zivilcourage, Haltung und Toleranz zu hören - vor allem aus dem Mund von PädagogInnen und SchulpolitikerInnen. Die simple Frage einer Anwohnerin der Schule, wie denn konkret mit rechtsradikalen Tendenzen umgegangen werde, wurde aber nicht oder nur kaum beantwortet. Was tun? Zum Beispiel mit den Ansichten eines Herrn Lehmann, der - wie als Demonstrationsbeispiel bestellt - sich unter anderem als Sympathisant und Wähler der „Republikaner“ zu erkennen gab. Herr Lehmann, mit Bierbach und vor Erregung sich rot verfärbend, wies Barbara Johns multikulturelle Berlin-Visionen mit den Worten zurück: „Wir sind alleine klargekommen vor dreißig Jahren und waren glücklicher ohne Buntheit.“ Oder Schüler W., mit schwarzer Bomberjacke und exaktem Kurzhaarschnitt, etwa 15 Jahre, der von „Kanacken“ erzählte, die seine Cousine im Schwimmbad angegrapscht haben sollen. Der stolz sagte: „Meine beiden Opas waren in der SS, und deshalb steht eindeutig fest, daß ich ein Deutscher bin, und ich bin stolz darauf.“ Der vor rund 300 Leuten behauptete, die meisten Ausländer in Berlin seien ehemalige Asylbewerber, und deshalb eine Änderung des Asylgesetzes forderte.

„Wir müssen uns doch überlegen, wie man in den Köpfen der Leute den Haß gegen Ausländer bekämpfen kann“, hatte kurz vorher ein anderer Schüler gesagt. Schulleiter Hinkel, seit 22 Jahren Leiter der Fritz-Karsen-Schule, verwies zunächst auf den Lehrplan: „Wir führen regelmäßig mit den 10. Klassen Fahrten nach Sachsenhausen und Oranienburg durch.“ Doch er sehe diese Fahrten nur als „Ergänzung zu dem, was das Eigentliche ist.“ Toleranz nämlich, die im Alltag erworben werden müsse, und das den Schülern beizubringen sei die „Alltagsarbeit der Pädagogen“. Jeder einzelne Lehrer möge sich prüfen, ob er das, was er im Unterricht vermittele, auch wirklich praktiziere, fordert ein Kollege. Die Behandlung des Faschismus dürfe nicht benotet werden, so die Forderung eines dritten Pädagogen, denn sonst sei das für die SchülerInnen, „als ob da Friedrich der Große oder irgendein anderes Thema“ behandelt würde.

Das Gespräch mit der „braunen Fraktion“ in der Aula, wie es eine Schülerin bezeichnet hatte, suchte eigentlich nur die Ausländerbeauftragte. Sie wollte Herrn Lehmann eine gewisse Zivilcourage nicht absprechen, in dieser Versammlung seine Meinung zu äußern. Sie warnte davor, „Menschen wie Herrn Lehmann“ zu dämonisieren: „Herr Lehmann ist ein richtiger Berliner Bürger. Solche Denkweisen gehören zu uns, sie sind Teil unserer Gesellschaft.“ John warnte davor, neue Feindbilder aufzubauen. Sie halte nichts davon, so die Ausländerbeauftragte, die Schule aufzuspalten in Faschisten und Antifaschisten. Das Gespräch mit den Rechten müsse gesucht werden: „Fragen Sie nach! Setzen Sie sich mit ihren Meinungen auseinander!“

„Inhaltliche Diskussion statt dumpfe Auseinandersetzung“ forderte auch der bei der Kripo für „Skinhead-Delikte“ und Gruppengewalt zuständige Kommissar Voss. Die Schüler könnten auch etwas tun, um Auseinandersetzungen mit den Rechten zu verhindern. „Sie haben die Chance, Gewalt abzuschöpfen, indem Sie mit dem anderen reden!“ appellierte der Kommissar. Derweil mehrere Polizeibeamte vor der Schulaula postiert waren, um den ungestörten Verlauf der Diskussionsveranstaltung zu sichern. Auf der immer wieder SchülerInnen und auch Eltern berichteten, sie hätten Angst vor den Aggressionen der rechtsextremen Schüler. Ganz zum Schluß erst meldete sich eine Schülerin, nach eigenen Worten selber „Berlinerin mit fremdländischen Eltern“. Sie frage sich, warum sich in dieser Diskussion keine ausländischen Mitschüler zu Wort gemeldet hätten. „Wir sind zu verschreckt, öffentlich zu reden.“ Sie forderte ihre Mitschüler auf, sich zu beteiligen: „Die Deutschen reden über uns, aber ohne uns.“

-guth