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Stichwahlen bestätigen Reformer

■ Prominentester Wahlsieger vom Sonntag war in Moskau Regimekritiker Roy Medwedew / Wahlbeteiligung bei über 67 Prozent / Für fast 200 Wahlkreise finden am 14.Mai Neuwahlen statt

Moskau (dpa/ap/afp) - In der Sowjetunion fanden am vergangenen Sonntag Stichwahlen in 76 Wahlkreisen statt, in denen beim ersten Durchgang am 26.März keiner von drei oder mehr Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit für ein Mandat im neuen Kongreß der Volksdeputierten erhalten hatte. Gewählt wurde in beiden Kategorien von Wahlkreisen - in Unionswahlkreisen („territoriale“ Wahlkreise) und in nationalen Gebietswahlkreisen („national-territoriale“ Wahlkreise).

Neuwahlen finden am 14. Mai in 195 Wahlkreisen statt, in denen es am 26. März nur einen oder zwei Bewerber gab und trotzdem keiner der beiden mehr als 50 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, sowie in drei Wahlkreisen, in denen die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent lag. Hier müssen neue Kandidaten aufgestellt werden.

Der prominenteste Sieger der Stichwahlen ist der regimekritische Historiker Roy Medwedew. Wie seine Ehefrau der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Montag bestätigte, erhielt er in einem Moskauer Wahlkreis 52 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Ebenfalls in Moskau gewählt wurden der Journalist der Zeitschrift 'Ogonjok‘, Juri Tschernitschenko, und ein Mitglied einer „Initiativgruppe Volksfront“, Sergej Stankewitsch. Weiterhin gewann der Ingenieur Juri Andrejew, einer von 15 Unterzeichnern eines Unterstützungsschreibens für Boris Jelzin. Insgesamt wurden bislang elf der 15 Unterzeichner zu Volksdeputierten gewählt.

Der Wahlkampf für die Stichwahl war vor allem in den acht Moskauer Wahlkreisen oft sehr hart und teilweise von persönlichen Angriffen geprägt.

In Leningrad konnten Kandidaten des „Komitees Wahlen '89“ fünf der sechs Plätze erringen. Für den siegreichen Kandidaten Boris Nikolski war sogar das Wahlgesetz geändert worden. Nachdem sein Gegenkandidat bereits nach dem ersten Durchlauf aufgeben hatte, wurde verfügt, daß nur noch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und nicht die der eingeschriebenen Wähler entscheidend ist. Nach Angaben der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur 'Tass‘ lag die Wahlbeteiligung am Sonntag bei 67,1 Prozent.

Der Kongreß der Volksdeputierten soll nach seiner Konstituierung aus seinen Reihen ein neues, häufig tagendes Parlament wählen. Diese Volskvertretung soll nach dem Willen von Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow sehr viel weitreichendere Vollmachten und Rechte erhalten als das bisherige Parlament, der Oberste Sowjet.

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