: „Warum sitzen wir hier?“
■ Richter rügt engstirnige Abteilung 67 der Staatsanwaltschaft / Kein Verständnis für Verfahren gegen Häftling in einem Bagatellfall / Keine Einstellung möglich
Die von Rot-Grün beschlossene Auflösung der Abteilung 67 der Staatsanwaltschaft - zuständig für Strafsachen im Strafvollzug - wird nicht nur von Gefangenen und Rechtsanwälten für dringend erforderlich gehalten, sondern auch von Richtern und Staatsanwälten. Das wurde gestern in einem Prozeß gegen einen 20jährigen offenbar, der sich aufgrund einer Anklage der Abteilung 67 wegen Diebstahl und Freiheitsberaubung vor dem Jugendschöffengericht verantworten mußte.
Der Hintergrund: Der 20jährige verbüßt bis zum Feburar 1991 eine mehrjährige Jugendstrafe im Jugendknast Plötzensee. Am 18.Dezember vergangenen Jahres betrat er gegen 20 Uhr das Stationsbüro, wo sich ein Beamter und zwei Jugendliche aufhielten. In einem unbeobachteten Moment schnappte er sich das auf dem Tisch liegende Schlüselbund des Beamten, rannte aus dem Büro und schloß die Tür hinter sich ab. Bei seiner Flucht in den Keller schloß er sich drei Türen auf und versteckte sich unten in einem Gulli. Aufgrund des Alarms, den der eingeschlossene Beamten sofort mit seinem Handfunkgerät ausgelöst hatte, wurde er dort eine Stunde später gefunden. Die Strafe folgte auf dem Fuße: Drei Tage Arrest und dann nochmals vier Wochen Arrest, die der 20jährige über Weihnachten und Sylvester auf einer unbelegten Station in völliger Isolation verbringen mußte.
Daß das Verfahren spätestens aufgrund dieser langen Hausstrafe eingestellt gehört hatte, darüber waren sich die Prozeßbeteiligten gestern einig. Eingestellt werden konnte es aber nicht, weil Prozesse, die Strafsachen im Vollzug zum Inhalt haben, nur mit Zustimmung der anklageerhebenden Abteilung 67 eingestellt werden können - was diese nahezu grundsätzlich verweigert. So blieb dem gestern wortführenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, dem Jugendstaatsanwalt Fiebig, nichts anderes übrig, als das Verfahren durchzuziehen und am Ende eine Verwarnung für den 20jährigen zu beantragen.
Fiebig bedauerte in seinem Plädoyer, daß ihm durch den Stempel in der Akte - keine Einstellung ohne Zustimmung der Abteilung 67 - die Hände gebunden seien. Er hoffe jedoch, daß es in Zukunft von poltischer Seite aus möglich werde, über die Einstellung solcher Verfahren auf „Sitzungsebene“ zu entscheiden. Jugendrichter Herrlinger pflichte dem Staatsanwalt bei, als das Urteil einer Verwarnung verkündete: Das Verfahren beweise, daß „zu Recht“ erwogen werde, die Abteilung 67 aufzulösen. Angesichts einer solch „spontanen Bagelltat“, so Herrlinger, frage man sich wirklich, „warum man hier sitzt“.
plu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen