: Hausbesetzungen: Auf wessen Seite steht die AL?
■ Mehr als ein Dutzend Haubesetzungen und fast ebensoviele Räumungen haben in den ersten Wochen der rot-grünen Koalition in Berlin den Nerv der Alternativen Liste getroffen / Strategielose ALer wurden von der SPD über den Tisch gezogen / „Alternative Berliner Linie“, ein Ausweg aus dem Loyalitätsdilemma?
Berlin (taz) - Erste Szene: Bausenator Nagel (SPD) und Umweltsenatorin Schreyer (AL) geben eine Pressekonferenz. „Ab 14 Uhr werden alle am Vormittag besetzten Häuser nach der Berliner Linie geräumt“, verkündet der Bausenator. Den Journalisten stockt vor Überraschung kurz der Atem, der AL -Senatorin offenbar auch. Die Nachricht des Tages lautet: Die AL trägt die „Berliner Linie“ mit, Neubesetzungen werden also nicht zugelassen. Die bürgerliche Presse überschlägt sich vor Lob.
Zweite Szene: Die Besetzer des ehemaligen Arbeitsschutzmuseums bleiben hartnäckig bei ihren Forderungen. Die Umweltsenatorin und ihr Staatssekretär denken laut über eine Räumung nach, um das Gebäude besenrein und pünktlich dem Bund zu übergeben. „Räumen“, fordert die AL-Abgeordnete Lena Schraut, und spricht damit aus, was andere denken. Der AL-Vorstand beschließt: Rot-grün darf die Räumung nicht von sich aus betreiben. Schließlich gehen die Besezter freiwillig, das Problem ist erst mal vom Tisch.
Dritte Szene: Birgit Arkenstette vom AL-Vorstand hängt ein altes AL-Plakat im großen Versammlungsraum auf. Der Text: „Es ist besser, unsere Jugend besetzt fremde Häuser als fremde Länder.“ Da müssen alle lachen.
Vierte Szene: Die AL lädt Stadtteilgruppen und Mieterläden zu einem „Wohnungspolitischen Ratschlag“ ein. Die Veranstaltung wird von der linken Szene gesprengt. Ungefähr 50 Leute skandieren lauthals: „Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten! Wer verrät uns schneller? Die ALer!“ Die ALer gehen.
Vier Szenen aus den ersten vier Wochen der rot-grünen Koalition. Die Besetzungen waren zeitweise das Thema in der AL. Und die stolperte tagelang ohne eigene Position zwischen der SPD und den Aktionen der BesetzerInnen hin und her. Die aus München eingeflogene Umweltsenatorin Michaele Schreyer ist weder mit der AL noch mit den Problemen der Stadt vertraut, war jedoch für das Arbeitsschutzmuseum zuständig und dementsprechend überfordert.
Kopflos der „Berliner Linie“ zugestimmt
Klar war in diesem Tagen nur die Linie von SPD-Innensenator Pätzold, und - kopflos wie sie war - hat sich die AL darin einfach einbinden lassen. Im Nachhinein kritisieren viele, die AL habe sich an jenem Dienstag vor Ostern im Senat von der SPD „über den Tisch ziehen lassen“, indem sie den Angaben von SPD-Bausenator Nagel blind vertrauten. Nagel hatte den Senatsbeschluß zur Räumung damit begründet, daß sich diese Häuser alle in einem „ordentlichen Modernsisierungsverfahren“ befänden. Doch zumindest in einem Fall traf dies nicht zu; eines der an diesem Dienstag geräumten Häuser steht seit Jahren als Spekulationsobjekt leer. „Hier war eine Räumung nicht akzeptabel“, sagt Volker Härtig, AL-Fachmann auf dem Gebiet Wohnungspolitik. Die SPD habe die Räumung jener Häuser einfach „aus ordnungspolitischen Gründen“ beschlossen.
Das Thema Hausbesetzung ist in Berlin freilich noch lange nicht vom Tisch. Alle rechnen damit, daß in der nächsten Zeit immer wieder Häuser besetzt werden, und die letzten Wochen nur ein Vorgeplänkel waren. Mit dem Beginn der achtziger Jahre, als in Berlin um die 1.000 Häuser wegen der Spekulation leerstanden, ist die Situation von heute zwar nicht zu vergleichen, doch den spekulativen Leerstand gibt es immer noch. In der Hausbesetzerszene spricht man von etwa 100 Häusern, die AL-Politiker sagen, eine Zahl um die 50 sei realistisch. Genaue Zahlen kennt niemand. In den letzten Wochen wurden jedoch auch Wohnungen und Häuser besetzt, die gerade modernisiert werden und deshalb leerstehen. Das Gros des Leerstands geht heute nämlich auf das Konto der behutsamen Stadterneuerung, und da ist nicht alles Gold was glänzt: Auch die Häuser, die von städtischen Wohnungsbaugesellschaften saniert werden, stehen oftmals viel zu lange leer, weil die Bürokratie zu schwerfällig arbeitet. Ein Teil der Hausbesetzer möchte gezielt auf Mißstände dieser Art aufmerksam machen, andere Besetzungen richten sich jedoch ganz grundsätzlich gegen das Konzept der behutsamen Stadterneuerung, weil sie in diesen Modernisierungsprogrammen auch ein Konzept zur „Umstrukturierung“ des Kreuzberger Bezirks sehen.
„Alternative Berliner Linie“
Keine sofortige Räumung
Die AL brauchte Wochen, um eine eigene Position zu formulieren, die sie selbstbewußt nach außen tragen kann: Einmal berief der Vorstand ein Sonderplenum der Basis, des „Delegiertenrats“ ein, aber es kamen zu wenige, das Gremium war nicht beschlußfähig. Dann sollte der „Delegiertenrat“ auf seiner regulären Sitzung eine Position formulieren. Doch auch daraus wurde nichts, weil sich die Delegierten aus allen Bezirksgruppen zu lange mit der Wahl von Pressesprechern befaßten. Also galt die von der SPD formulierte „Berliner Linie“ weiterhin. Gleich am nächsten Tag wurde wieder ein Haus besetzt und sofort geräumt. Der AL -Baustadtrat Orlowsky aus dem Bezirk Kreuzberg unterstützte im Nachhinein die Aktion: Bei dem Haus handele es sich offensichtlich um einen Fall von spekulativem Leerstand. Der Besitzer betreibe das lukrative Geschäft der Umwandlung von Wohraum in ein Wohnheim für Aussiedler.
Weil es so nicht mehr weitergehen konnte, haben sich nun am Wochenende Fraktion und Vorstand auf einer Klausurtagung über die Position der AL verständigt und so etwas wie eine „alternative“ Berliner Linie beschlossen. Und die sieht nun folgendermaßen aus: Die AL ist gegen das Prinzip einer sofortigen Räumung und verlangt mindestens drei Tage Zeit, um mit den BesetzerInnen eine friedliche Lösung zu suchen. Diese „Drei-Tages-Frist“ soll genutzt werden, um jede Besetzung im Einzelfall zu prüfen: Die AL unterscheidet dabei zwischen „legitimen“ und „illegitimen“ Besetzungen: Besetzungen von Häusern soll der Senat dann nicht hinnehmen, wenn sie „ein mit den Mietern abgestimmtes Sanierungsverfahren“ behindern. Polizeiliche Räumung will die AL nicht ausschließen, allerdings soll die Polizei erst dann eingesetzt werden, wenn es eine andere Möglichkeit nicht mehr gibt. Im Sinne einer friedlichen Lösung sollen auch Mieterorganisationen vermitteln. Die AL grenzt sich damit gegen die BesetzerInnen aus autonomen Zusammenhängen ab, die diese Modernisierungspolitik grundsätzlich ablehnen.
„Illegitime“ und
„legitime“ Besetzung
Besetzungen sind für die AL dann „legitim“, wenn Wohnungen zum Beispiel aus Spekulationsgründen leerstehen: Hier möchte die AL nicht hinter die Kriterien des SPD-Senats unter Hans -Jochen Vogel aus dem Jahre 1981 zurückfallen: Eine Räumung setze hier ein vertretbares Nutzungskonezpt, seine unverzügliche Realisierung sowie ein Räumungsbegehren des Besitzers voraus. Eine einvernehmliche Lösung mit den BesetzerInnen sei auch hier das Ziel, betont die AL, wobei die BesetzerInnen aus ihrer Aktion keinen „unbedingten Anspruch“ auf Nutzungsverträge ableiten dürften.
Dieser Beschluß ist letztlich strömungsübergreifend gefaßt worden. Die Grundlage bildete ein Papier von Volker Härtig, Mitglied der „Panther-Gruppe“ und damit des Realo-Flügels der Liste. „Die AL darf sich aus ihrer Geschichte nicht völlig verabschieden“, sagt er, und fügt hinzu, daß die AL eine Politik der „Entdramatisierung, Deeskalation und Gelassenheit gegenüber Hausbesetzungen“ einnehmen müsse. Volker Härtig hat damit viele erstaunt. Aber „Panther“ und „Realos“ waren sich in diesem Falle durchaus nicht einig: Der Realo-Abgeordnete Michael Michaelis, in der neuen Fraktion für Baupolitik zuständig, wollte gerne, daß die AL ein Besetzungs- (und Räumungs-)moratorium beschließt: So lange sollte wie bisher verfahren und jede Neubesetzung sofort geräumt werden. Begründung: Jetzt seien Veränderungen über Regierungshandeln gefragt, und der neue Senat brauche erst einmal „Luft“. Udo Knapp, Bonner Vordenker der Realos, provozierte gar mit dem Satz, Hausbesetzungen könnten zwar weiterhin stattfinden, aber die AL stehe jetzt auf der anderen Seite.
Überhaupt war auffällig, wie leicht vielen ALern plötzlich das Wort „Räumung“ von den Lippen ging. Weil der Beigeschmack manchmal doch etwas komisch war, verstiegen sich einige zu wunderbaren Wortschöpfungen, sprachen von „Leermachung“ oder von „administrativen Maßnahmen“. Natürlich steht fest, daß diese Besetzung auch auf die Entlarvung von rot-grün angelegt waren. Trotzdem fiel auf, daß viele Aler diese Hausbesetzungen nur unter die Rubrik „Provokation“ oder „Kampfansage gegen rot-grün“ einsortiert haben. Da trafen sich überraschenderweise Realos, Grüne Panthern mit ALern aus den bisher als linksradikal verschrieenen Bezirksgruppen: Obwohl die SPD die Koalitionsfrage gar nicht aufgeworfen hatte, diskutierte auch ein Teil der traditionell gewerkschaftlich orientierten Linken flugs unter der Prämisse, daß man sich das rot-grüne Projekt nicht durch eine Handvoll BesetzerInnen kaputtmachen lassen darf und darum notfalls auch zum Mittel der polizeilichen Räumung greifen muß.
Der AL fehlte es in diesen ersten Wochen an politischem Mut, und vor allem an analytischen und strategischen Überlegungen. Sie hatte plötzlich Mühe, sich darauf zu besinnen, daß sie auch als Regierungspartei dem über das mit der SPD Machbare hinausgehenden Protest Unterstützung und Ausdruck geben wollte. „Da sind nicht wenige Leute, die wollen am liebsten Friedhofsruhe, um jetzt mal hübsch rot -grün zu machen, und diese Attitüde geht weit über die Hausbesetzungen hinaus“, kritisierte eine ALerin, die zu den „Undogmatischen Linken“ zählt. „Und viele haben ununterbrochen im Kopf, daß man der SPD keinen Ärger machen darf“, fügt sie hinzu.
Also wurde sozialer Protest plötzlich eher als störend empfunden. Wie schrieb doch der Politikprofessor Bodo Zeuner kurz vor der Regierungsbildung in der taz? Anders als die Sozialdemokraten kann die AL „die Minderung und Unterhöhlung von sozialem Protest nicht zu ihrem (Mit)regierungsziel machen“. Das würden alle sofort unterschreiben - wie schnell sich unter Hand solche Mechanismen entwickeln, haben wohl viele gerade am eigenen Leibe erfahren.
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